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# taz.de -- Geflüchtete auf dem Arbeitsmarkt: Waleed macht jetzt Wasser
> Der Pakistani Waleed Asif arbeitet nun bei den Wasserwerken. Tina
> Brockstedt von der Arbeitsagentur ist daran nicht unbeteiligt.
Bild: Asif in Arbeitskleidung der Berliner Wasserbetriebe
Fünf Jahre Deutschland. Fünf Jahre, in denen Waleed Asif eine neue Sprache
gelernt hat, er ist Vater geworden, Auszubildender bei den Berliner
Wasserbetrieben und seit Februar 2020 ist er Anlagenmechaniker für
Rohrsystemtechnik.
Wem das nichts sagt, dem erklärt Waleed Asif geduldig, was im Berliner
Untergrund passiert und welche Rolle er dabei hat. „Ich mache nur
Trinkwasser“, sagt er. Hausanschlüsse, kaputte Leitungen, so was. Asif
sitzt an diesem Julimorgen im Büro seines Chefs an einem langen
Konferenztisch und erzählt aus seinem Leben in Deutschland, in flüssigem
Deutsch. Ein junger Mann, bald 24 Jahre alt, Pakistani, höflich, ehrgeizig
und dabei bescheiden. Ein Musterschüler.
Waleed Asif, der 2015 als politischer Flüchtling aus [1][Pakistan] kam, hat
es geschafft, so könnte man es ausdrücken. In seinem Erfolg hallt nach, was
Bundeskanzlerin Angela Merkel 2015 den Deutschen versprach: Wir schaffen
das.
Nun, fünf Jahre später wird klar, nicht jeder hat es geschafft. Weder die
deutsche Bevölkerung, in der noch immer zu viele Menschen, die Idee von
Deutschland als Einwanderungsland ablehnen und auch nicht diejenigen, die
in dieses Land kamen.
Ende 2018 lebten rund 1,7 Millionen Geflüchtete in Deutschland, viele von
ihnen kamen im Sommer 2015. Studien zeigen, dass vielen dieser Menschen das
Ankommen leichter fällt als ihren Vorgänger*innen. Mehr Sprachkurse werden
besucht, mehr Schulen und mehr Menschen finden einen Job. Die
Erwerbstätigkeit der neuen Deutschen liegt mittlerweile bei 49 Prozent.
## Sprache ist wichtig, Arbeit auch
Was lässt einen Menschen ankommen? Waleed Asif, sagt, dass Sprache wichtig
sei und Arbeit. Dasselbe sagt Tina Brockstedt. Sie ist Bereichsleiterin des
Arbeitgeberservice in der Agentur für Arbeit Berlin Süd. Ein grauer Kasten
in Berlin-Neukölln. Bevor sich Brockstedt um die Arbeitgeberseite kümmerte,
hat sie hier ein Team geleitet, das sich ausschließlich darum kümmerte,
dass Asylsuchende im deutschen Arbeitsmarkt ankommen.
Will man verstehen, wie Arbeit und die Frage nach dem Ankommen in
Deutschland zusammenhängen und wie die letzten fünf Jahre nicht nur das
Leben von Waleed Asif, sondern die Strukturen des deutschen Arbeitsmarkts
und einer ganzen Behörde verändert haben, ist man bei Tina Brockstedt
richtig.
„In den ersten Wochen und Monaten haben wir hauptsächlich reagiert“, sagt
Brockstedt, wenn man sie nach dem Sommer 2015 fragt, in dem Hunderttausende
Geflüchtete nach Deutschland kamen. Bilder von Menschen, die in Parks
schliefen, und Berichte über überforderte Behörden gingen damals für Wochen
durch die Medien.
Auch die Arbeitsagenturen und Jobcenter in vielen deutschen Städten
gerieten damals an ihre Grenzen. Im Juni 2016 meldeten sich mehr als 32.000
Geflüchtete bei der Agentur für Arbeit. Die meisten von ihnen Männer, jung,
viele davon aus Syrien, Afghanistan, dem Iran oder Irak.
„Wir mussten damals schnell reagieren“, sagt Brockstedt. Teams wurden
gegründet, neue Mitarbeiter*innen eingestellt. Das größte Problem bei
vielen Geflüchteten sei das Sprachproblem gewesen, sagt die 50-Jährige.
Aber auch die Strukturen der deutschen Behörden. Wer nach Deutschland
kommt, hat nicht nur mit kommunalen Behörden wie dem Sozialamt, der
Erstaufnahme und Wohnungsämtern zu tun, sondern auch mit dem
Bundesministerium für Migration und der Bundesagentur für Arbeit. „Wir
mussten vielen erst mal klarmachen, was wir eigentlich tun“, sagt
Brockstedt. Und wie die Jobsuche in Deutschland funktioniert.
Um das zu klären, gingen Mitarbeiter*innen der Arbeitsagenturen in den
ersten Wochen in Unterkünfte und knüpften dort Kontakte zu Trägern und
Geflüchteten. Statt in Einzelgespräche informierten die Mitarbeiter*innen
Gruppen – getrennt nach Sprachen. „Was ist eine Sozialversicherungsnummer,
wo bekomme ich einen Sprachkurs und wie läuft in Deutschland ein
Vorstellungsgespräch ab?“
Für eine Behörde wie die Arbeitsagentur, die eigentlich auf Einzelgespräche
baut, sei das eine ganz neue Erfahrung gewesen, sagt Brockstedt.
Auch Waleed Asif meldete sich nach seiner Ankunft in Berlin bei der
Arbeitsagentur. Ließ sich die nächsten Schritte erklären, besuchte einen
Sprachkurs und überlegte, wie es weitergehen sollte, in seinem neuen Leben.
Dabei begleitete ihn eine Mitarbeiterin der Arbeitsagentur. Diese Dame sei
sehr engagiert gewesen, sagt Asif und lacht. „Die hat mich auch angerufen,
wenn ich mal krank war und nicht zum Sprachkurs gekommen bin. Diese Frau
hat mir sehr viel geholfen.“
## Studieren, jobben, Ausbildung?
Seine Betreuerin half ihm auch herauszufinden, wohin es gehen sollte, in
diesem neuen Leben. Studieren, jobben oder eine Ausbildung? Für Asif war
schnell klar, dass er arbeiten wollte, irgendwas Technisches. Dafür habe er
sich schon immer interessiert, sagt er. Auch schon in der Schule in
Pakistan, die er mit „einer Art technischem Fachabi“ beendet habe, sagt er.
Als dann das Angebot kam, bei den Berliner Wasserbetrieben eine
Einstiegsqualifizierung zu absolvieren, nahm er sofort an. Die
Einstiegsqualifizierung ist ein Programm, das sich eigentlich an deutsche
Jugendliche gerichtet hatte, ab 2015/2016 aber auch geflüchtete Jugendliche
mit der Welt von Berufsschule und der eigentlichen Arbeit im
Ausbildungsvertrieb vertraut machen sollte.
„Wir haben einfach irgendwann gemerkt, dass wir Arbeit und Ausbildung nicht
voneinander trennen können“, sagt Tina Brockstedt. Da sei die
Einstiegsqualifizierung ein gutes Mittel gewesen, nicht nur für die
Teilnehmenden – auch für die Betriebe. „Die konnten dann sehen: „Wer kom…
und wo brauchen die noch Unterstützung?“
Zu Beginn habe er vor allem Probleme mit der Sprache gehabt, sagt Waleed
Asif. Mit den Vokabeln und Fachbegriffen der Berliner Unterwelt. Nicht nur
Asif hatte Schwierigkeiten.
Gemeinsam mit ihm absolvierten acht weitere junge Geflüchtete das Programm
bei den Wasserbetrieben. Seit 2016 wurden dort 15 junge Geflüchtete
ausgebildet, neun sind mittlerweile als Mitarbeiter beschäftigt, so auch
Asif. „Wir haben mit der Einsteigerqualifizierung sehr gute Erfahrungen
gemacht“, sagt Frau Brockstedt. „Vor allem bei jungen Geflüchteten.“
Aber auch mit den deutschen Arbeitgebern. „Da haben sich ganz viele bei uns
gemeldet und gesagt: Wir wollen gerne ausbilden.“ Denn die Arbeitslosigkeit
lag, vor Corona, auf dem tiefsten Stand seit der Wiedervereinigung. Viele
Unternehmen konnten offene Stellen nicht besetzen. Spricht man mit dem Chef
von Waleed Asif, Uwe Fiedler, sagt er: „Wir brauchen diese Jugendlichen, um
hier langfristig den Betrieb am Laufen zu halten.“
Mittlerweile habe man ein gutes Netzwerk mit vielen Firmen aufgebaut, sagt
Tina Brockstedt. Neben den Berliner Wasserbetrieben gebe es
Ausbildungskooperationen mit Siemens, dem Berliner Vivantes Klinikum und
anderen Unternehmen. „Von diesen Partnerschaften, die wir seit 5 Jahren
geknüpft haben, profitieren wir immer noch“, sagt Brockstedt.
Dass die neuen Deutschen auch ein wirtschaftlicher Pluspunkt sein können,
hat auch die Bundesregierung erkannt. 2016 verabschiedete das Kabinett das
Integrationsgesetz, in dem neben aufenhaltsrechtlichen Bestimmungen auch
Arbeitsmarktreformen beschlossen wurden. Wer keinen Aufenthalt in
Deutschland bekommt, hat die Chance auf einen Ausbildungsplatz und, wenn
alles gut geht, auch nach der Ausbildung noch zwei weitere Jahre
garantierten Aufenthalt.
## Flucht macht das Leben in Deutschland zur Kulisse
Im März 2020 trat das Fachkräftegesetz in Kraft, dass Menschen aus
Nicht-EU-Ländern den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erleichtern soll.
Die Anerkennung von Zertifikaten soll vereinfacht und der Aufenthalt zur
Weiterbildung erleichtert werden.
Reicht das? Tina Brockstedt sagt: „Wir haben schon viel erreicht.“ Sie sagt
aber auch, dass nicht jeder Geflüchtete es leicht habe, auf dem
Arbeitsmarkt anzukommen. Flucht, Trauma und die Familie, die in vielen
Fällen zurückbleiben musste, hätten das neue Leben in Deutschland zur
Kulisse werden lassen. „Wir können uns hier leider nicht um jeden so
intensiv kümmern, wie es manchmal nötig wäre“, sagt sie. „Wir versuchen
unser Bestes.“
Asif Waleed hofft, dass die Berliner Wasserbetriebe ihn nach seiner
Probezeit übernehmen werden. Irgendwann möchte er seinen Meister machen,
sagt er noch, verabschiedet sich und macht Feierabend.
7 Aug 2020
## LINKS
[1] /Krise-in-Pakistan/!5034257/
## AUTOREN
Gesa Steeger
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
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