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# taz.de -- Azubimangel im Bau: Knochenjobs zu vergeben
> Überall im Norden fehlt dem Baugewerbe der Nachwuchs. Das liegt an den
> schlechten Arbeitsbedingungen, sagt die IG Bau.
Bild: Bald könnte es auf Baustellen ziemlich einsam werden: Dem Baugewerbe geh…
Hamburg taz | Die Coronapandemie kann der Branche fast nichts anhaben: Im
Baugewerbe sind die Auftragsbücher voll. Doch ein anderes Problem macht der
Bauwirtschaft zu schaffen: [1][Es mangelt an Nachwuchs]. Überall im Norden
ist die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze gestiegen. Spitzenreiter ist
Hamburg.
Laut der Gewerkschaft IG Bau liegt das – trotz vergleichsweise guter
Bezahlung – an den miesen Arbeitsbedingungen im Gewerbe. Das sieht der
Arbeitgeberverband allerdings gänzlich anders und vermutet lediglich ein
schlechtes Image als Ursache.
Nach Angaben der IG Bau waren 70 Prozent aller Hamburger Ausbildungsplätze
auf dem Bau, die am 1. August starteten, zu diesem Stichtag noch unbesetzt
gewesen. Das entspricht einem Anstieg von fast 30 Prozent im Vergleich zum
Vorjahr. Zwar gibt es laut der IG Bau in städtischen Ballungsgebieten
[2][wegen der großen Anzahl an alternativen Ausbildungsplätzen] immer einen
etwas höheren Wert an freien Stellen.
Aber auch im ländlichen Bereich sieht es kaum besser aus. So waren etwa im
Landkreis Göttingen noch 54 Prozent aller Ausbildungsplätze nicht vergeben,
im Emsland 68 Prozent. Ähnliche Werte lassen sich in nahezu allen Regionen
finden.
## Gewerkschaft fordert Wegezeitentschädigung
„Zwar ist das Ausbildungsgehalt vergleichsweise gut, allerdings sind die
Arbeitsbedingungen zu wenig attraktiv für junge Leute“, sagt Andre
Grundmann, Regionalleiter der Gewerkschaft im Norden. Tatsächlich ist das
Ausbildungsgehalt in dieser Branche überdurchschnittlich. Im ersten
Lehrjahr verdienen Azubis 850 Euro und im vierten Lehrjahr sogar 1.580 Euro
pro Monat.
Dass das Interesse dennoch sinkt, erklärt Grundmann einerseits damit, dass
die [3][branchentypisch harte und körperlich anstrengende Arbeit bei Wind
und Wetter] immer mehr junge Leute abschrecke. Besonders problematisch
seien zudem die langen Fahrtwege zu den Baustellen, die von den
Arbeitgebern nicht bezahlt werden.
„Wer einen festen Arbeitsplatz hat, kann sich die Entfernung des Wohnsitzes
dorthin aussuchen – im Bau geht das nicht“, sagt Grundmann. Und so komme
durch das tägliche Pendeln zur Baustelle eine enorme unbezahlte Stundenzahl
zusammen. Laut IG Bau kommen auf jede*n Arbeiter*in für die Fahrtzeiten von
und zur Baustelle im Schnitt etwa 400 unbezahlte Stunden pro Jahr zusammen.
Das will die Gewerkschaft ändern. „Wegezeit ist Arbeitszeit“, sagt
Grundmann.
Aufseiten der Arbeitgeber gibt es dafür kein Verständnis. „Die
Bauwirtschaft ist ein attraktiver Arbeitgeber, auch wenn die IG Bau derzeit
versucht, die Branche schlechtzureden“, sagt der Hauptgeschäftsführer des
Zentralverbands Deutsches Baugewerbe, Felix Pakleppa. Die Gewerkschaft
versuche die Branche in ein schlechtes Licht zu rücken und dadurch junge
Leute abzuschrecken.
Das sieht auch der norddeutsche Regionalverband so – er hält die
Gewerkschaft für Nestbeschmutzer. „Die Gewerkschaft redet die Branche
schlecht“, sagt deren Geschäftsführer Michael Seitz. Außerdem gebe es mit
dem sogenannten Bauzuschlag schon eine unternehmerische Beteiligung für den
ständigen Wechsel der Baustelle.
Grundmann kann die Wutder Arbeitgeberseite nicht nachvollziehen. Die
Unternehmer müssten ja nicht unbedingt mehr zahlen, sagt er. Sie könnten
stattdessen auch die Arbeitszeit auf dem Bau reduzieren. Man könnte auch
darüber reden, nur den Teil der Fahrtzeit, der über eine durchschnittliche
Anfahrtszeit in anderen Berufen hinausgeht, als Arbeitszeit gerechnet zu
berechnen.
Unterdessen ist fraglich, ob wirklich nur das schlechte Image ursächlich
für den Mangel an Azubis ist. Unter den aktuellen Auszubildenden spiegelt
die hohen Abbrecherquote eine große Unzufriedenheit wider. Laut dem
aktuellem Ausbildungs- und Fachkräftereport der Sozialkassen des
Baugewerbes bringt jeder dritte Auszubildende im Baugewerbe seine
Ausbildung nicht zu Ende.
Nun könnte ein Arbeitskampf zwischen der Gewerkschaft und dem Baugewerbe
bevorstehen. Die laufenden Tarifverhandlungen im Bauhauptgewerbe, zu dem
etwa der Rohbau, Hoch- und Tiefbau oder der Straßen- und Landschaftsbau
gehören, hat die IG Bau abgebrochen. Der zentrale Streitpunkt ist auch hier
die Wegezeitentschädigung
Am kommenden Freitag soll deshalb auf dem Hamburger Heiligengeistfeld eine
Kundgebung stattfinden, auch in Bremen wollen Bauarbeiter*innen
protestieren.
20 Aug 2020
## LINKS
[1] /Das-neue-Lehrjahr-beginnt/!5699700&s=corona+azubis/
[2] /Probleme-auf-Bremer-Ausbildungsmarkt/!5651627&s=baugewerbe/
[3] /Unterbringung-von-Bauarbeitern/!5696060&s=baugewerbe/
## AUTOREN
André Zuschlag
## TAGS
IG BAU
Ausbildung
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