# taz.de -- Fischsterben im Norden: Tödliche Gewässer | |
> Hitze und Trockenheit führen zu einem Sauerstoffmangel im Wasser, an dem | |
> Fische sterben. Zudem gibt es weitere Todesursachen, zum Beispiel | |
> Elbbagger. | |
Bild: Auch in Belgien gibt es derzeit ein Fischsterben: Tote Fische in einem Se… | |
BREMEN taz | Angler gelten gemeinhin nicht als geschwätzig. Das gilt auch | |
für die kleine Gruppe Freizeitfischer, die an diesem schwül-heißen | |
Nachmittag gleich hinterm Bremer Weserstadion ihre Köder in den Fluss | |
tunken. „Nö“, sagt einer der Männer auf die Frage, ob denn heute schon was | |
angebissen habe. Und wie kommt das? „Zu warm.“ Damit ist das Gespräch auch | |
schon beendet. Ob sich die Fische in der Weser nach Meinung des Anglers bei | |
der Wärme womöglich zu träge fühlen, um nach den auf die Haken gespießten | |
Würmern zu schnappen, oder viele vielleicht schon am Sauerstoffmangel | |
verreckt sind, ist hier nicht mehr zu ermitteln. | |
Dabei steht fest: Auch Klimawandel und Wetter machen den Gewässern und | |
ihren Bewohnern schwer zu schaffen. In und um Bremen sind – wie fast | |
überall im Norden – aufgrund der anhaltenden Trockenheit mit langer | |
Sonnenscheindauer und großer Hitze die Temperaturen in den Flüssen, Seen | |
und Teichen gestiegen und die Wasserstände gesunken. Und hohe Temperaturen | |
beschleunigen den Stoffwechselumsatz, sagt Bremens Umweltsenatorin Maike | |
Schaefer (Grüne) – mit der Folge, dass Bakterien beim Abbau der organischen | |
Substanz den im Wasser gelösten Sauerstoff verbrauchen. Wasserpflanzen und | |
Algen kommen mit der Sauerstoffproduktion tagsüber nicht mehr nach, es | |
entwickelt sich im Gewässer ein Sauerstoffdefizit. | |
Darüber hinaus sinkt mit steigenden Temperaturen zusätzlich die | |
Wasserlöslichkeit des Sauerstoffs. Von der Entwicklung sind zunächst | |
Kanäle, Fleete und kleinere sowie flachere Gewässer betroffen. | |
Verschlimmern könnte sich die Situation, wenn durch Niederschläge | |
angesammelte Schmutzstoffe in die Gewässer gespült werden und zusätzlich | |
zum Sauerstoffabbau führen. | |
Während in Bremen nach Angaben der Senatorin in diesem Sommer bislang nur | |
vereinzelt tote Fische beobachtet werden, ist das Fischsterben anderenorts | |
längst in Gang. Im Klaren See bei Krackow im Südosten von | |
Mecklenburg-Vorpommern trieben schon Anfang Juni Hunderte toter Fische an | |
der Oberfläche. „Mir wurde gesagt, dass das trübe Wasser auf | |
Sauerstoffmangel schließen lässt, der See daher gekippt ist und die Fische | |
verendet sind“, sagt der Vorsitzende des Krackower Angelvereins, | |
Hans-Dieter Bobrowski. | |
## Tote Fische auch in Hamburg | |
Am 17. Juni meldet die Polizei ein Fischsterben im Bereich des Käseburger | |
Sieltiefs bei Övelgönne im niedersächsischen Landkreis Wesermarsch. Auf | |
einem nur wenige Hundert Meter langen Teilstück wurden rund 100 verendete | |
Brassen festgestellt. | |
Zwei Wochen später, am 2. Juli, machen Anwohner in den Hamburger | |
Stadtteilen Wandsbek und Volksdorf eine erschreckende Entdeckung. Etwa | |
tausend tote Fische treiben auf der Wasseroberfläche des Lottbeker Teichs, | |
Möwen machen sich bereits über die Kadaver her. Auch an der Fuhlsbütteler | |
Schleuse und der Alsterkrüger Kehre werden massenhaft tote Fische gefunden. | |
Das Bezirksamt Wandsbek nennt als Grund einen zu niedrigen Sauerstoffgehalt | |
in den Gewässern. Das warme Wetter der vergangenen Wochen sorge für eine | |
höhere Wassertemperatur. Hinzu komme noch Niedrigwasser, sodass die Fische | |
Sauerstoffmangel erleiden und ersticken. | |
Auch andere Ursachen hat wohl ein massives Fischsterben in der Elbe sowie | |
an der Nordseeküste von Niedersachsen und Schleswig-Holstein, das seit | |
Wochen andauert. Hierfür machen Umweltverbände wie WWF, BUND und Nabu die | |
Elbvertiefung und die dafür vorgenommenen Baggerarbeiten verantwortlich – | |
viele der verendeten Fische hätten sichtbare Verletzungen, hieß es. | |
Tausende toter Fische, überwiegend Heringe, waren unter anderem im Watt vor | |
Cuxhaven und Otterndorf angeschwemmt worden. | |
Die drei im Bündnis „Lebendige Tideelbe“ zusammengeschlossenen | |
Umweltverbände haben Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt und verlangen | |
einen sofortigen Stopp der Baggerarbeiten, bis die Ursache für das | |
Fischsterben geklärt ist. Der Verdacht liege nahe, dass der Einsatz der | |
Baggerschiffe im Bereich der Elbmündung zu einer Schädigung der Fische | |
führe. | |
Fachleute vom Forschungs- und Technologiezentrum Westküste (FTZ) in Büsum | |
haben noch andere Beobachtungen gemacht: „Wir haben geschwächte Jungfische | |
gefangen, die relativ schlecht genährt wirken und deutlich von Parasiten | |
befallen sind“, sagte Fischforscherin Katja Heubel vom FTZ dem NDR. Die | |
Ursache könnte Nahrungsmangel durch Veränderungen des Nordseeplanktons nach | |
dem sehr warmen Winter sein. | |
Dass die toten Fische mit einem Massenauftreten von Jungfischen | |
zusammenhängen, bestätigten auch Fischer. So beklagten Krabbenfischer, dass | |
dänische Kutter mit riesigen Fangnetzen derzeit in den Küstengewässern | |
Schleswig-Holsteins als sogenannte Gammelfischer aktiv seien. Bei der | |
Gammelfischerei wird mit Netzen von der Größe eines Fußballfeldes alles aus | |
dem Meer gefischt, was zwischen Meeresgrund und Oberfläche im Wasser ist – | |
und ausschließlich zu Fischmehl und Fischöl verarbeitet. In Deutschland ist | |
diese Praxis verboten, EU-Recht erlaubt sie aber anderen in deutschen | |
Gewässern. | |
Niedersachsens Umweltministerium hat nun Proben genommen und lässt sie | |
untersuchen, um der Ursache auf die Spur zu kommen. „Das Fischsterben ist | |
aus Sicht des Artenschutzes eine Tragödie“, sagt Umweltminister Olaf Lies | |
(SPD). „Wir wissen aber noch nicht, was wirklich dahintersteckt. Wenn die | |
Ergebnisse und dann hoffentlich belastbare Fakten auf dem Tisch liegen, | |
sehen wir hoffentlich klarer und können entscheiden, was weiter zu tun | |
ist.“ | |
19 Aug 2020 | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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