# taz.de -- SPD-Fraktionschef über seine Ambitionen: „Wir werden stärkste K… | |
> SPD-Fraktionschef Raed Saleh will mit Franziska Giffey Parteichef werden. | |
> Er fordert grünes Umdenken beim U-Bahn-Ausbau – und Respekt vor der | |
> Polizei. | |
Bild: Geht doch ganz gut zusammen: Raed Saleh gemeinsam mit Franziska Giffey ru… | |
taz: Herr Saleh, wir wollten doch eigentlich mit dem Rad unterwegs sein? | |
Raed Saleh: Da ist was dazwischengekommen, ich bin nachher mit meinen | |
Kindern noch mit dem Bus unterwegs. | |
Hätten Sie uns all die Pop-up-Radwege zeigen wollen, die Ihnen nicht | |
gefallen? | |
Warum? Ich unterstütze die doch. | |
Na, vor ein paar Tagen haben Sie vor Aktionismus bei Pop-up-Radwegen | |
gewarnt. | |
Hätten Sie den Text ganz gelesen, hätten Sie gesehen, dass ich ein großer | |
Unterstützer der Pop-up-Radwege bin. Aber wie immer im Leben ist nicht | |
alles schwarz-weiß – die sollen nur dorthin, wo sie Sinn machen. | |
… das ist ja nun ganz subjektiv. | |
Für mich macht auf jeden Fall der [1][Pop-up-Radweg in der Kantstraße] so | |
keinen Sinn. | |
Wieso? | |
In der Kantstraße hat es keine Bürgerbeteiligung gegeben, die wir uns als | |
rot-rot-grüne Koalition doch auf die Fahne geschrieben haben. Freunde von | |
mir bei der BVG sagen: Das funktioniert auch nicht richtig – die Busse | |
stehen im Stau, und für die Radfahrer bleibt es gefährlich.Ganz anders als | |
etwa am Schöneberger Ufer am Landwehrkanal. Dort schützt der Radweg die | |
Radfahrer. Da funktioniert es gut. | |
Aber wenn man Platz im Verkehr neu verteilen will, dann können nicht alle | |
alles behalten. | |
Das meine ich auch gar nicht. Aber man darf das nicht gegen die Leute | |
machen: Wir als Sozialdemokraten wollen nicht verbieten, sondern durch ein | |
gutes Angebot überzeugen. Nur weil man die Macht hat, muss man nicht alles | |
machen – manchmal muss man auch in den Rückspiegel schauen und fragen: | |
Nehmen wir hier die ganze Stadt mit, oder sind wir in der ein oder anderen | |
Sache zu schnell? | |
Da müssen Sie aber mal ein Beispiel nennen. | |
Gerne. Die von den [2][Grünen vorgeschlagene Flatrate für den ÖPNV] – ich | |
bin dagegen, einen Radfahrer zu zwingen, im Jahr bis zu 700 Euro für eine | |
Fahrkarte zu bezahlen, die er gar nicht braucht. Und wer immer noch über | |
den von der SPD geforderten U-Bahn-Ausbau sagt, dass der keinen Sinn macht, | |
der betreibt reine Ideologie. | |
Jetzt sollten Sie noch hinzufügen, dass Sie auch damit Ihren grünen | |
Koalitionspartner meinen. | |
Man muss immer schauen: Was ist das Beste für Berlin, was ist das Beste für | |
die Stadt? Dann muss man auch mal über seinen eigenen Schatten springen. | |
Politik läuft manchmal gerade dann gut, wenn man es auch mal den eigenen | |
Leuten unbequem macht, wenn es beim eigenen Parteitag nicht gut ankommt. | |
Deshalb sollten die [3][Grünen ihre Position zum U-Bahn-Ausbau] überdenken. | |
Sie hätten doch eines Ihrer Koppelgeschäfte vereinbaren können. | |
Was für Koppelgeschäfte? | |
Na, Zustimmung der Grünen für den U-Bahn-Ausbau im Gegenzug fürs Mitgehen | |
der SPD-Fraktion beim neuen Antidiskriminierungsgesetz, von dem sich die | |
Polizei unter Generalverdacht gesetzt sieht – davon waren ja nun wirklich | |
nicht alle Ihre Fraktionskollegen begeistert. | |
Das eine mit dem anderen zu koppeln geht gar nicht. [4][Das | |
Antidiskriminierungsgesetz ist richtig], weil es notwendig ist … | |
Bei SPD-Innenpolitikern klang das etwas anders – das Gesetz hätte es nicht | |
gebraucht, war etwa zu hören. | |
Der Entwurf von Justizsenator Behrendt, der quasi druckfrisch vom | |
Grünen-Parteitag kam, den hätten wir echt nicht gebraucht, und den haben | |
wir in der SPD-Fraktion geändert. Ich sag Ihnen: Gefühlt die Hälfte meiner | |
Freunde sind Polizisten … | |
… Sie tragen ja auch ganz offiziell den Titel „Ehrenkommissar“. Aber was | |
sagen diese Freunde zu dem Gesetz? | |
Die haben natürlich auch geschimpft, aber ich habe es ihnen erklärt, und am | |
Ende haben es viele von ihnen verstanden. Ich sage es ganz deutlich, gerade | |
hier in den Räumen der [5][taz: Die Polizei] hat unseren Respekt verdient, | |
wir können der Polizei gegenüber nicht genug Danke sagen. Aber natürlich | |
gibt es auch dort und in den anderen öffentlichen Behörden Rassismus, und | |
genau deshalb ist das Gesetz da. Doch eine Gesellschaft, die ihre eigene | |
Polizei nicht respektiert, ist keine gute Gesellschaft. | |
Ende Oktober wollen Sie als Fraktionschef auch den SPD-Parteivorsitz | |
übernehmen, gemeinsam mit Franziska Giffey. Bei Ihrer Werbetour dafür waren | |
Sie beide jüngst auf einer Ruderbootfähre unterwegs – der Fährmann wurde | |
danach mit dem Satz zitiert: „Zwei Kapitäne, das ist schwierig.“ | |
Ich freue mich auf die Aufgabe. | |
Also nicht schwierig? | |
Wir sind zurzeit viel in der Partei unterwegs und erleben ganz, ganz viel | |
Unterstützung, Optimismus und Aufbruchstimmung. | |
Optimismus? Ihre SPD liegt doch in der jüngsten Umfrage wieder nur bei 16 | |
Prozent. | |
Lassen Sie mich erst mal beim Thema Doppelspitze bleiben. Franziska und ich | |
kennen uns seit Langem, schon als sie Stadträtin in Neukölln war … | |
… bei ihrem Ziehvater, Bürgermeister Heinz Buschkowsky. Den mochten und | |
mögen viele SPD-Linke nicht, Sie aber sind mit ihm sogar auf Auslandsreise | |
gegangen. | |
Ja, nach Rotterdam – ich wollte damals zeigen, dass diese permanente | |
Einteilung einer Partei in Linke und Rechte am Ende nicht das Entscheidende | |
ist. Die SPD ist eine Volkspartei, und eine Volkspartei muss versuchen, | |
Positionen in einer Gesellschaft zusammenzubringen. Mit Franziska arbeite | |
ich eng und vertrauensvoll zusammen – und ich hab wirklich das Gefühl, es | |
wird gut. | |
Sie nennen die SPD weiter „Volkspartei“. Ist das nicht vermessen bei nur | |
noch 16 Prozent Rückhalt in der Wählerschaft? | |
Die SPD ist die Volkspartei, und wir müssen diesen Anspruch erfüllen. | |
Den Anspruch kann man ja haben, aber die Wirklichkeit ist eben eine andere. | |
Ich glaube, dass wir es mit unseren Positionen, die Gesellschaft | |
zusammenzuführen, im nächsten Jahr hinbekommen, bei der | |
Abgeordnetenhauswahl wieder stärkste Kraft zu werden. Davon bin ich | |
felsenfest überzeugt. Franziska und ich sind beide leidenschaftliche | |
Wahlkämpfer – und die SPD wird überraschen. | |
Aber noch mal zum Thema Doppelspitze – auf die gerade zitierte Einschätzung | |
des Fährmanns sind Sie ja nicht so richtig eingegangen. Bei einem Ihrer | |
letzten großen Vor-Corona-Termine haben Sie gesagt: „Franziska ist die | |
Nummer 1.“ Wie passt das denn zu einer Doppelspitze? | |
Wir werden die Partei gemeinsam führen, wenn der Parteitag uns sein | |
Vertrauen ausspricht. Die Frage bei diesem Termin war, ob Franziska gut ist | |
für die Stadt, und da habe ich eben genau das gesagt. Sie geht hin, sie | |
hört zu, sie packt an … | |
… das sollte eigentlich jeder Politiker machen. | |
Aber sie macht das in besonderer Weise, ich schätze ihre Art, Politik zu | |
machen, sehr. | |
Dann kann die SPD Franziska Giffey ja bei einem weiteren Parteitag am 19. | |
Dezember tatsächlich und ganz offiziell zur Nummer 1 wählen, nämlich zur | |
Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl. Wird das passieren? | |
Wir konzentrieren uns jetzt auf den Oktober mit der Vorstandswahl. Was dann | |
kommt, werden wir gemeinsam als Partei kommunizieren. Ich gehe fest davon | |
aus, es wird gut. | |
Bleibt denn Michael Müller bis zur Abgeordnetenhauswahl Regierender | |
Bürgermeister? | |
Wir haben einen gewählten Regierenden Bürgermeister, der in der Coronakrise | |
einen guten Job macht. | |
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sieht das ganz anders: Der wirft | |
Berlin lasches Vorgehen gegen Corona vor und sagt, Müller sei an vorderster | |
Front der Lockerer gewesen. Allein für die in Berlin wiederholt kritisierte | |
Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci hat er lobende Worte. | |
Dass Dilek Kalayci einen außerordentlich guten Job gemacht hat, bezweifelt | |
keiner … | |
Die Grünen etwa sehen das anders, und nicht nur die. | |
Die Grünen haben gerade interne Dinge zu klären, nämlich ihre | |
Spitzenkandidatur, und versuchen mit so etwas von eigenen Problemen | |
abzulenken. Dass Söder den Regierenden Bürgermeister Michael Müller so | |
attackiert, empfinde ich als eine Frechheit. Der sollte sehen, dass er | |
seinen eigenen Job macht, und nicht Noten verteilen. Das ist kein guter | |
Charakterzug. | |
8 Jul 2020 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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