# taz.de -- SPD-Abgeordnete steigt aus: „Wir müssen uns wieder Ziele setzen�… | |
> Nach neun Jahren im Abgeordnetenhaus will die SPD-Abgeordnete Clara West | |
> nicht wieder antreten. Ein Grund: mangelnde Debattenkultur ihrer | |
> Fraktion. | |
Bild: Mobiler Infostand von Clara West im Wahlkampf 2016 | |
taz: Frau West, hat Raed Saleh, der Fraktionsvorsitzende der SPD im | |
Abgeordnetenhaus, schon versucht, Sie umzustimmen? | |
Clara West: Bislang nicht. Nein. | |
Sind Sie ihm seit Ihrer Ankündigung persönlich begegnet? | |
Persönlich nicht. Nur in einer Telefonschalte. Da gibt es natürlich wenig | |
Gelegenheit, sich darüber zu unterhalten. | |
Sie haben vor zwei Wochen bekannt gegeben, im kommenden Jahr nicht mehr für | |
das Abgeordnetenhaus kandidieren zu wollen. Zur Begründung schrieben Sie | |
auf Facebook: „Ein Mandat ist kein normaler Job. Es kann nie Selbstzweck | |
sein. Meiner Überzeugung nach ist es immer damit verknüpft, dass man in | |
einer bestimmten Rolle und in bestimmten Aufgaben etwas verändern kann.“ | |
Konnten Sie nichts mehr verändern? | |
Für jetzt kann ich das gar nicht sagen, aber so etwas ist auch immer ein | |
Blick in die Zukunft. Ich wollte nicht den Moment abwarten, wo ich morgens | |
aufwache und feststelle, dass ich das nicht mehr kann oder dass es nicht | |
mehr weitergeht. Ich wollte lieber vorher von mir aus die Entscheidung | |
treffen und sagen: Nichts kann ewig so bleiben, also ist es endlich. Wie | |
heißt es so schön: Man soll immer gehen, wenn es am schönsten ist. | |
Wann ist der Entschluss in Ihnen gereift? | |
Ich habe mir damit Zeit gelassen. Gegen Anfang der Wahlperiode habe ich mir | |
vorgenommen, nach zwei Jahren Bilanz zu ziehen, auch um auf die Frage eine | |
Antwort zu finden, die dann immer kommt: Trittst du nochmal an? So ist es | |
dann gekommen mit der Entscheidung. Aber natürlich war es auch eine | |
Abwägung zwischen den verschiedenen Pros und Contras. | |
Wenn Sie sagen, man soll gehen, wenn es am schönsten ist: War es denn noch | |
schön für Sie? Und welche Rolle spielte dabei der Fraktionsvorsitzende? Mit | |
13 anderen Abgeordneten gehörten Sie Ende 2017 zu den Verfasserinnen eines | |
offenen Briefs an Raed Saleh. Darin haben Sie ihm einen Egotrip vorgeworfen | |
und dass er sich zu wenig um die Fraktion kümmere. | |
Meine Entscheidung war nicht von einer einzelnen Person abhängig. Es ging | |
auch darum, ob ich das Gefühl habe, neue Ideen einbringen oder neue | |
Projekte anstoßen zu können. | |
Immerhin gab es nach dem Brief eine Aussprache in der Fraktion, und Raed | |
Saleh hat Besserung gelobt. | |
Alles in allem würde ich sagen, dass sich nicht viel geändert hat. | |
Zumindest nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe. In dem Brief ging es | |
auch darum, wie wir uns eine Arbeit in der Fraktion vorstellen. Dass es | |
auch mehr Diskussionen um Themen gibt. Also mehr Streit um Positionen. | |
Und das gab es nicht? | |
Vielleicht ist das ein generelles Problem der SPD. Es gibt viele dringende | |
Fragen, auf die wir Antworten finden müssen. Wir müssen uns wieder Ziele | |
setzen. Das entsteht aber nicht durch schweigenden Konsens, sondern durch | |
inhaltliche Debatten. | |
Sie hätten auch selbst Ihren Hut in den Ring werfen und als | |
Fraktionsvorsitzende kandidieren können. | |
Das ist richtig. Wichtig wäre aber gewesen zu schauen, ob man was | |
Gemeinsames hinbekommt. Das war aber nicht möglich. Da hätte auch eine | |
einzelne Kampfkandidatur nicht weitergeholfen. | |
War die festgefahrene Situation in der Fraktion ausschlaggebend für Ihre | |
Entscheidung? | |
Es spielten verschiedene Faktoren eine Rolle. Da ist die Lage der | |
Gesamtpartei. Die SPD tut sich schwer damit, in Debatten neue Inhalte zu | |
finden. Entweder wir gehen diesen Diskussionen aus dem Weg oder wir führen | |
sie an der falschen Stelle. Da habe ich schon lange das Gefühl, dass wir | |
uns im Kreis drehen und nicht weiterkommen. | |
Nun versucht die Berliner SPD gerade etwas Aufbruchstimmung zu verbreiten. | |
Der Landesvorsitz wird in diesem Jahr neu gewählt, Franziska Giffey soll | |
mit Raed Saleh eine Doppelspitze bilden. Mit Giffey als potentieller | |
Spitzenkandidatin rechnet sich die SPD im Wahljahr auch Chancen aus, das | |
Umfragetief zu verlassen. Glauben Sie an diesen Aufbruch? | |
Ich gebe ehrlich zu, dass ich nach 24 Jahren in der SPD nicht mehr so | |
wahnsinnig schnell enthusiastisch werde. Ich finde es aber eine gute Sache, | |
mit Franziska Giffey etwas Neues zu versuchen. Nun könnte man auch sagen, | |
dass das ein Hinterzimmerdeal war. Aber ich sehe das nicht so negativ. Wenn | |
ich sehe, wie unfähig man teilweise ist, überhaupt miteinander ins Gespräch | |
zu kommen, dann ist das eine gute Lösung. | |
Sie beklagen, dass sich die SPD schwer damit tut, personalpolitische | |
Entscheidungen einvernehmlich zu lösen. Schauen Sie da auch mit ein wenig | |
Neid auf die Grünen? Da steht die Frage im Raum, wer Spitzenkandidatin | |
wird, aber das wird bisher sehr geräuschlos ausgetragen. | |
Ich bin gar nicht so eine Geschlossenheitsfanatikerin. Es kommt doch immer | |
darauf an, über was man redet. Warum soll man nicht deutlich machen, wenn | |
es verschiedene Positionen gibt? Entscheidend ist, dass es einen | |
Diskussionsprozess gibt, der am Ende ein Ergebnis hat, das man miteinander | |
trägt. Aber es ist schwierig, die SPD mit den Grünen zu vergleichen. | |
Warum? | |
Weil wir an einem anderen Punkt stehen. Die SPD befindet sich in einer | |
nicht gerade einfachen Ausgangslage. Wir müssen erst mal einen Konsens | |
finden, wie wir uns in den nächsten Jahren aufstellen. Bei den Grünen ist | |
das nicht so grundsätzlich wie bei uns. | |
Warum nicht? | |
Die Grünen sind im Moment in einer Position, wo sie relativ gut dastehen. | |
Bei uns geht es ja immer noch darum zu fragen, wie schaffen wir es, unserem | |
Anspruch gerecht zu werden, eine Volkspartei zu sein. Bei den Grünen ist | |
die Frage, wer sind wir eigentlich und wozu braucht es uns, nicht ganz so | |
im Vordergrund wie bei uns. | |
Wo steht Rot-Rot-Grün Ihrer Ansicht nach gerade? | |
Wir bleiben schon hinter dem Potential zurück, was man haben könnte. | |
Haben Sie ein Beispiel? | |
Das Thema Zusammenarbeit und die Entwicklung von gemeinsamen Projekten, da | |
gibt es noch Luft nach oben. Wir haben zwar gute Dinge auf den Weg | |
gebracht, vom Mietendeckel bis zum kostenlosen Schulessen. Aber oft war das | |
alles auch ein organisiertes Einzelkämpfertum. Da würde ich mir wünschen, | |
dass wir da mehr als Koalition auftreten. | |
Ist das Binnenklima bei Rot-Rot-Grün unterm Strich besser als in Ihrer | |
Partei? | |
Das kann man so pauschal nicht vergleichen. In beiden Bereichen gibt es | |
Leute, mit denen man sehr gut zusammenarbeitet, woanders klappt es nicht so | |
gut. | |
Hätten Sie sich in der Vergangenheit mehr Unterstützung aus Ihrem | |
Kreisverband in Pankow gewünscht? | |
Zum Teil ja. | |
Sie wollten 2015 Kreischefin werden, haben aber nur 38,7 Prozent der | |
Stimmen bekommen. | |
Ich hatte vielleicht seitdem auch nicht mehr die Erwartung, dass aus meinem | |
Kreis sich alle ständig bemühen zu unterstützen, was ich tue. Ich kann aber | |
auch nicht sagen, dass da gezielt gegen meine Arbeit auf der Landesebene | |
gearbeitet wurde. Der Kreis war bei meiner Entscheidung kein besonders | |
entscheidender Faktor. | |
Könnte es sein, dass Sie mit Ihrer Entscheidung einem Votum des Kreises | |
zuvorgekommen sind? Dass Sie vielleicht nicht mehr als Direktkandidatin in | |
Ihrem Wahlkreis hätten antreten können oder einen schlechten Listenplatz | |
bekommen hätten? | |
Da kann man viel erzählen, aber das hat an der Stelle wirklich gar keine | |
Rolle gespielt. Ich gehe davon aus, dass es sehr unwahrscheinlich gewesen | |
wäre, dass mir meinen Wahlkreis jemand streitig machen würde. | |
Wenn Sie auf neun Jahre Abgeordnetenhaus zurückblicken, wo haben Sie Ihrer | |
Ansicht nach die meisten Spuren hinterlassen? | |
Von den Themen her vor allem Verwaltungsreform. Ein breites Feld, wofür ich | |
aber eine gewisse Leidenschaft entwickelt habe. Allerdings hätte ich mir da | |
gewünscht, etwas mehr zu erreichen als uns bisher gelungen ist. Aber vieles | |
ist angeschoben worden. | |
Die digitale Akte ist bis auf Weiteres vertagt. | |
Das würde ich so nicht sagen. Es gibt jetzt immerhin den Verwaltungspakt. | |
Vor ein paar Jahren war die Stimmung noch: Wie machen hier ein bisschen was | |
und da. Jetzt gehen wir grundsätzlicher an das Thema heran. | |
Ihr Partner wurde vor einigen Jahren bei einer Wahlkampfveranstaltung | |
angegriffen und verletzt. Politikerinnen und Politiker werden immer mehr zu | |
Zielscheiben. Wie ist das bei Ihnen? | |
Als Politikerin bin ich natürlich jederzeit auf dem Präsentierteller. Das | |
heißt auch, dass Leute sich an einem in verschiedenster Form abarbeiten. Da | |
war so ziemlich alles mit dabei. Es gab sogar Drohungen gegenüber meinen | |
Mitarbeitern, was mir sehr nahegegangen ist. Auch mein Bürgerbüro ist | |
regelmäßig angegriffen worden, es gab eingeschlagene Scheiben, Eierwürfe, | |
Farbbeutel. Das nagt an einem. Aber es gibt auch viel Zuspruch. | |
Sie sind Diplompädagogin von Beruf. Haben Sie schon einen Job? | |
Nein, aber das ist ja noch eine ganze Zeit hin. Wenn ich jetzt eine | |
Bewerbung rausschicke, dann krieg ich die Antwort, melden Sie sich nächstes | |
Jahr nochmal. Ein paar Sachen kann ich aber ausschließen. | |
Welche? | |
Ich würde sehr ungern etwas machen, wo sich meine jetzigen Wirkungskreise | |
mit den zukünftigen zu doll überschneiden. | |
Also das Sigmar-Gabriel-Prinzip scheidet aus. | |
Definitiv. Ich hoffe nicht, dass ich jemals so werde wie Sigmar Gabriel. | |
14 Jul 2020 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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