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# taz.de -- Abgeordnetenhauswahl: Müder Sommer, heißer Herbst
> In den nächsten Monaten klärt sich, wer nach der Wahl 2021 neue Nummer 1
> im Roten Rathaus werden könnte. Corona macht das zu einer
> Herausforderung.
Bild: Ramona Pop oder Antje Kapek? – eine der beiden wird Grünen-Spitzenkand…
Nichts los im Parlament, Senatssitzungen nur alle zwei Wochen, kaum
Parteileben. Berlin scheint politisch ganz tief in der Sommerpause. Scheint
– denn hinter den Kulissen sieht es anders aus. Das streiten sich die
Topleute um Spitzenplätze, Kandidaturen und Wahlkreise für den Bundestag
und das Abgeordnetenhaus – und die Parteimanager suchen händeringend
ausreichend große Räume für die nötigen Parteitage.
Nicht nur Corona macht den anstehenden Herbst zu einer nie gekannten
Vorwahlzeit – es waren auch schon lange nicht so viele relevante
Spitzenkandidaturen offen. Besonders gilt das bei den Grünen, bei denen
seit Monaten die Frage ist: Wird Wirtschaftssenatorin Ramona Pop oder
Fraktionschefin Antje Kapek Nummer 1 für die Wahl?
Vom „Herbst der Entscheidungen“ sprach SPD-Fraktionschef Raed Saleh in
früheren Jahren, wenn es in der damaligen rot-schwarzen Koalition um
Kompromisspakete mit der CDU ging. Im Jahr 2020 steht der Begriff für etwas
anderes: für die Kür jener Menschen, von denen einer oder eine nach der
Abgeordnetenhauswahl 2021, genauer: nach den dann folgenden
Koalitionsverhandlungen, im Roten Rathaus regieren wird.
Dass das weiterhin Michael Müller sein wird, der Ende 2014 Regierender
Bürgermeister wurde, gilt als ausgeschlossen. Bei der SPD genauso wie
außerhalb der Partei geht man davon aus, dass Bundesfamilienministerin
Franziska Giffey Spitzenkandidatin wird, auch wenn sie noch nirgendwo
eindeutig gesagt hat, das sie das will.
## Müller auf dem Weg in den Bundestag?
Mehr Klarheit könnte es schon in zwei Wochen geben, also noch im Sommer.
Denn dann der Kreisvorstand der SPD in Charlottenburg-Wilmersdorf. Ja und?,
könnte man fragen, ginge es nicht bei diesem Termin mutmaßlich auch darum,
wer im September 2021 bei der Bundestagswahl – am Tag auch der
Abgeordnetenhauswahl – dort für die SPD antritt. Wenn Michael Müller das
will, wie immer wieder kolportiert, wird er spätestens in zwei Wochen sein
Interesse anmelden und sich auch beim folgenden Kreisparteitag im September
vorstellen müssen.
Offen bleibt dann immer noch die Frage, ob Müller auch Berliner
SPD-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl wird. Denn auch Juso-Chef Kevin
Kühnert soll Interesse daran haben. Darüber und auch über die
Spitzenkandidatur auf Landesebene, mutmaßlich mit der Kür von Giffey, will
die Partei kurz vor Weihnachten entscheiden. Auf dem Weg dorthin steht Ende
Oktober der schon zu Jahresbeginn angekündigte Wechsel an der Spitze des
Landesverbands an: Giffey soll in einer Doppelspitze mit Saleh dann Müller
als SPD-Landeschef ablösen.
Immerhin haben die Sozialdemokraten schon Termine und Räume für die
anstehenden Parteitage gefunden – was wegen der Corona-Auflagen für alle
Parteigeschäftsführungen ein echte Herausforderung war, nicht nur auf
Landesebene. Bei der SPD hat man gleich für mehrere aufeinanderfolgende
Tage Räume in Moabit gemietet, wo Ende September Schlag auf Schlag fünf
große Kreisverbände mit über 100 Delegierten nacheinander ihre Treffen
abhalten können.
CDU hat noch keinen Parteitagstermin
Bei der Berliner CDU in ihrer immer noch neuen Geschäftsstelle nahe dem
Lietzensee suchen sie noch nach einem Termin für die Kandidatenkür – oder
wollen sich zumindest nach außen hin noch nicht auf einen festlegen. Die
Christdemokraten brauchen dabei noch größere Räume – sie haben bei
Landesparteitagen rund 350 Delegierte, bei der SPD sind es knapp 280. Gegen
Jahresende will sie ihren Spitzenkandidaten klären
Neben allen inhaltlichen Fragen und Diskussionen über das Wahlprogramm hat
die Raumsuche auch die Grünen stark beschäftigt. Sie hätten gern ihre
Kandidaten für das Abgeordnetenhaus und den Bundestag wie sonst auch bei
einer Mitgliederversammlung gewählt – doch der Landesverband hat sich seit
der jüngsten Wahl 2016 auf knapp 10.000 Mitglieder verdoppelt. Dem
Vernehmen nach kommt es wegen der Corona-Abstandsregeln deshalb auch bei
den Grünen zu einem klassischen Parteitag mit üblicherweise rund 140
Delegierten, und zwar am 28. November.
Wer sich dort zur Wahl stellt, ist weiter offen. Theoretisch könnte es zu
einem offenen Wettstreit zwischen Pop und Kapek kommen. Solch ein Duell vor
den Delegierten würde Journalisten äußerst gut gefallen, wäre aber ein
Horrorszenario für Parteistrategen jeglicher Couleur: Die wollen bei diesem
Termin keine Bilder von einem Schlagabtausch oder von Tränen produzieren,
sondern solche von einer geschlossen auftretenden Partei. Ziel ist darum,
sich vor dem Parteitag auf einen Spitzenkandidaturvorschlag zu einigen. Dem
Vernehmen nach tagt dazu bereits eine Sechsergruppe aus den Doppelspitzen
von Partei und Fraktion, also inklusive Kapek, sowie Pop und dem
parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktion, Ex-Parteichef Daniel
Wesener.
Die Linkspartei als dritter Partner in der rot-rot-grünen Koalition,
derzeit in Umfragen im Wechsel mit der SPD auf Platz 3 oder 4, hat bereits
für den 22. August zum Parteitag eingeladen. Das Thema „Spitzenkandidatur“
steht dort, im Neuköllner Estrel, Berlins größtem Hotel, allerdings nicht
auf der Tagesordnung – darum soll es erst Anfang Dezember gehen.
Naheliegendste Nummer 1 wäre Kultursenator Klaus Lederer.
## Unwägbarkeit Bundestagsverkleinerung
Bei der CDU haben Parteichef Kai Wegner und sein Generalsekretär Stefan
Evers lange zu verstehen gegeben, man sei auf der Suche nach einem
Spitzenkandidaten. Aber eine Lösung von der Bundesebene – 2006 mit einem
Staatssekretär nicht erfolgreich – scheint es nicht zu geben. Und auch von
einem hiesigen populären Kandidaten im CDU-Umfeld, wie schon in anderen
Städten erprobt, ist nichts zu hören. Klappt sonst nichts, liefe die Sache
halbwegs automatisch auf Wegner als Parteichef hinaus. Der ist zwar gerade
in Urlaub, verblüffte aber zu Wochenbeginn auch Parteifreunde, als er, der
lange für Friedrich Merz als künftigen CDU-Bundesvorsitzenden warb, sich
via Tagesspiegel plötzlich für Jens Spahn als Parteichef begeistern konnte.
Ganz im Hintergrund all dieser Wahlen und Überlegungen steht eine
Unwägbarkeit, die ausgerechnet Nochregierungschef Müller und seine
Bundestagsambitionen treffen würde: Werden Pläne zu einer
Bundestagsverkleinerung noch im nächsten Jahr Wirklichkeit, würde in Berlin
mindestens ein Wahlkreis wegfallen – und das wäre offenbar wegen seiner
vielen Grenzen zu den Nachbarbezirken ausgerechnet der mutmaßliche
Müller-Wahlkreis in Charlottenburg-Wilmersorf.
29 Jul 2020
## AUTOREN
Stefan Alberti
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