# taz.de -- Büchnerpreis 2020 für Elke Erb: Gniggerndes Lachen | |
> Der Büchnerpreis geht an eine Poetin. Und jetzt lesen Sie bitte weiter, | |
> auch wenn Sie Elke Erb noch nicht kennen. Es könnte sich lohnen. | |
Bild: Poetin Elke Erb kann auch ziemlich ernst schauen. Macht sie aber nicht im… | |
BERLIN taz | In den Statuten des [1][Büchnerpreises] steht die klangvolle | |
Forderung, der oder die ausgezeichnete Schriftsteller*in solle „an der | |
Gestaltung des gegenwärtigen deutschen Kulturlebens wesentlichen Anteil | |
haben.“ Was, bitte schön, hat man sich im Jahr 2020 darunter vorzustellen? | |
Beflissene Kulturbeamte, die im Dauerlauf Inaugurationsbänder | |
durchschneiden oder Kunstwerke einweihen? Moderierende Welterklärer*innen? | |
Oldschool Pfeifenraucher? Hippe Kulturbespaßer*innen? Oder vielleicht doch | |
gerade jemand wie die Poetin und [2][Übersetzerin Elke Erb]? | |
Erb ist keine Schriftstellerin, die durch Talkshows jettet, in | |
leichtgängigen Worten die Welt erklärt oder regelmäßig Theatersäle füllt. | |
Ihre frühen Bücher sind fast alle vergriffen, vielen | |
Feuilletonleser*innen ist sie vielleicht nur ein ferner Name oder sie | |
kennen die Autorin gleich gar nicht. Und doch hat Elke Erb an der | |
Gestaltung des gegenwärtigen deutschen Kulturlebens einen so regen, so | |
lebendigen, so neugierigen Anteil, wie ich es von kaum einer anderen | |
Kulturschaffenden kenne. | |
Vielleicht lässt es sich mit einer kleinen Anekdote am besten beschreiben, | |
von der ich nicht einmal sicher weiß, ob sie stimmt, aber ist sie erfunden, | |
dann überaus passend. Nach einem Treffen mit der Lyrikerin Ann Cotten | |
begleitete diese Elke Erb ein Stück Richtung Zuhause, sie redeten sich aber | |
so fest, dass sie plötzlich vor Erbs Wohnung standen. Daraufhin wurde | |
wieder ein Stück in die Richtung der anderen gegangen, wieder redete man | |
sich fest, wieder verpasste man die Hälfte des Weges und stand plötzlich | |
vor Ann Cottens Wohnung. Über Poesie gibt es eben doch immer noch etwas zu | |
sagen, zu fragen, zu denken, und es wäre eigentlich nicht verwunderlich, | |
wenn die beiden noch immer unterwegs wären zwischen ihren beiden Wohnungen. | |
Und wozu überhaupt stehen bleiben, wenn man ebenso gut im Prozess bleiben | |
kann, in einer stetigen Wiederbegehung der eigenen Wahrnehmung? | |
## Früh emigriert in die Lyrik | |
Wenn sich Erb schon einem allzu festen Standort in der Gegenwart entzieht, | |
lässt sich vielleicht erst einmal fragen, woher sie denn kommt. Herkunft | |
aber ist selten bruchlos, jedenfalls bei Schriftsteller*innen. Man zieht | |
vermutlich nicht in die Literatur, wenn es drumherum zu bequem ist. Erbs | |
Herkunft lässt sich wie folgt zusammenfassen: Gelebt in drei Staaten, früh | |
emigriert in die Lyrik, immer auf der Suche geblieben, skeptisch den | |
Verhältnissen gegenüber. Ist das eine statthafte Beschreibung eines | |
Lebenslaufs? | |
Geboren wurde Elke Erb jedenfalls [3][1938 in einem kleinen Dorf in der | |
Eifel], wo sie in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs. 1949 zog sie ihrem | |
Vater nach in die DDR. Sie studierte in Halle Germanistik und Pädagogik, | |
legte eine Lehrerinnenprüfung ab, war kurze Zeit Lektorin beim | |
Mitteldeutschen Verlag, ehe sie 1975 ihren ersten eigenen Band, „Gutachten. | |
Poesie und Prosa“ vorlegte, auf den mehrere Dutzend weitere Bände mit | |
Gedichten, Prosa und Übersetzungen folgten. | |
Ganz sicher war sie keine systemkonforme DDR-Dichterin, so wenig, wie sie | |
heute eine konsumkonforme BRD-Dichterin ist. Zu sperrig, widerborstig ist | |
sie, dabei immer überraschend. Sperrig, das mag als Beschreibung für manche | |
Leser*in eher abschreckend klingen, aber lese ich ihre Gedichte, strahlt | |
stets etwas Warmes daraus, eine verwunderte Neugier, mit der sie | |
doppelgesichtig zwischen Innen- und Außenwelt schreibt. Schöner haben es | |
vielleicht Michael Braun und Bert Papenfuß gefasst: „Elke Erb war, ist und | |
bleibt ausgeflippt, dem Teufel sei’s gedankt“ (Papenfuß) und eine | |
„sprachverrückte Poetin“ mit ihren „Stützpunkten poetischer Aufsässigk… | |
(Braun). | |
Elke Erb mag keine Breitenwirkung im herkömmlichen Sinne haben, aber | |
Tiefenwirkung hat sie dafür umso mehr. Sie, Jahrgang 1938, gehört so | |
selbstverständlich, so unwegdenkbar zur jungen Lyrikszene wie vielleicht | |
niemand sonst, und ich vermute, dass ihr Einfluss auf das Schreiben und | |
poetische Denken anderer Lyriker*innen der Gegenwart nur mit dem von Thomas | |
Kling und Friederike Mayröcker vergleichbar ist – und es ist übrigens | |
schön, dass Mayröcker als Grande Dame der Lyrik nun nicht mehr so allein | |
auf dem Büchner-Preis-Thron sitzen muss. | |
Wobei, Thron? Was sollte Erb oder auch Mayröcker mit etwas so Starrem, | |
Macht und Perfektion Vortäuschendem anfangen? Ist die Frage nach der | |
eigenen Unzulänglichkeit nicht die viel interessantere? „Gegen die Aura des | |
Perfekten“, schrieb Erb einmal in einem Gedicht über das Dichten: „Das Werk | |
ist Hervorbringung. / Das Werk ist ‚Hervorbringung‘, griech.: Poesie / (…) | |
und nicht Inthronisation, nicht wahr?“ Wie hier selbst beim Aufbegehren | |
gegen den Thron noch zuletzt eine Frage bleibt, als Unsicherheit, ist | |
geradezu typisch für Erbs Sprechen, das sich von allen einfachen | |
Eindeutigkeiten frei macht und niemals zu stolz ist, stets die eigenen | |
Überlegungen wieder und wieder zu überdenken, zu hinterfragen, zu | |
revidieren. Beharrlich gegen das Beharren, könnte man sagen. | |
Wie sehr Erb geschätzt wird, merkte man auch an der großen Freude, die | |
viele Lyriker*innen direkt nach der Bekanntgabe äußerten. Nicht nur hat sie | |
Fans, nicht nur freut man sich, weil sie selbst so sympathisch ist, nicht | |
nur stellt man sich unweigerlich ihr gniggerndes Lachen vor, mit dem sie | |
den Anruf aus der Akademie entgegengenommen haben mag. Fragen Sie mich | |
nicht, was gniggern bedeutet – wenn sie Elke Erb einmal lachen gesehen | |
haben, wissen Sie es. | |
Und nicht nur ist es eine exzellente Antwort auf einen Literaturbetrieb, | |
der in den letzten Jahren allzu oft aus Angst vor dem eigenen | |
Bedeutungsverlust dem ganz Jungen und möglichst Leichtgängigen panisch | |
hinterhergehetzt ist, ohne zu merken, dass damit dem Bedeutungsverlust eher | |
Vorschub geleistet wurde. Mit ihr wird auch die Lyrik selbst ausgezeichnet, | |
eine bestimmte Art des sprachlichen Denkens, die immer auch ein Versuch der | |
Welterkenntnis ist. „Versuch“ ist dabei mindestens ebenso wichtig wie | |
„Welt“ und „Erkenntnis“, es ist ein sich selbst korrigierender, erkunde… | |
Prozess. Ein Gang zwischen hier und dort, der die Mitte zwar findet, aber | |
niemals bei ihr verharrt. | |
7 Jul 2020 | |
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## AUTOREN | |
Nora Bossong | |
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