| # taz.de -- Gedenken an Bert Papenfuß: zersammelt und zerfernt | |
| > Weggefährt:innen verabschiedeten sich vom Dichter Bert Papenfuß in | |
| > der Berliner Volksbühne. Als Referenzpunkt diente der Mythos Prenzlauer | |
| > Berg. | |
| Bild: Bert Papenfuß bei einer Lesung 1984 in Berlin Prenzlauer Berg | |
| Wenn ein Schriftsteller ein Vermächtnis aus schlagkräftigen Formulierungen | |
| hinterlässt, ist es ein Leichtes, eine davon diesem Leben voranzustellen. | |
| „Freiheit wird nicht kommen, Freiheit wird sich rausgenommen“, wäre so | |
| einer dieser passenden Papenfuß-Sätze. Oder lyrischer: „lieber / mich | |
| selbst zu be- und ent- / haupten wie’s mir gefühlt! / als beherrscht zu | |
| werden / oder selbst zu herrschen“. | |
| In der Berliner Volksbühne fällt der Abschied von [1][Bert Papenfuß] am | |
| Freitagabend wortreich aus. Einstige und letzte Weggefährt:innen | |
| gedenken des Literaten, Musikers und Kneipiers in eigenen oder den Worten | |
| von Papenfuß selbst, denn die poetische Verwandtschaft zwischen den im | |
| Prenzlauer Berg Sozialisierten lässt sich kaum verleugnen. Barock, | |
| Dadaismus und Futurismus, die die Ursuppe der DDR-Punkliteratur verdickten, | |
| ergaben und -geben „eine ulkige Mischung“, wie Papenfuß selbst in einer | |
| über die Leinwand abgespielten Filmsequenz kommentiert. | |
| Ausdruck fand diese Mischung dann meist im semi-privaten Kontext, auf | |
| Lesungen und in DIY-Zeitschriften. Im heutigen BRD-Literaturbetrieb bleibt | |
| sie meist peripher, blieb in der DDR Underground. Einer der heute | |
| kommerziell erfolgreicheren Prenzlauer Berg-Dichter ist Jan Faktor, der aus | |
| seinem [2][im letzten Jahr für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman | |
| „Trottel“] vorliest. Darin lässt er eine Figur sprechen wie Bert Papenfuß | |
| schreibt. „‚Kann man mit dir normal reden?‘“, fragt der verwunderte | |
| Protagonist. „‚Schleime nicht, harne nicht, staube lieber Trockenharm‘“, | |
| ist noch eine der verständlichsten Antworten, die er daraufhin erhält. | |
| Die Erinnerung an Papenfuß nimmt mitunter eigentümliche Züge an. Robert | |
| Lippok, der mit seiner Band Ornament & Verbrechen in der Volksbühne | |
| auftritt, erzählt von der Ehrfurcht, die er gegenüber dem zehn Jahre | |
| älteren Papenfuß empfand und die sich am Freitagabend bis hin zu | |
| Zeus-Vergleichen auswächst. Schön ist wiederum die Anekdote [3][Annett | |
| Gröschners], die einst mit Papenfuß in einer der zahlreichen | |
| Underground-Redaktionen zusammenarbeite und als einzige Frau in der Runde | |
| Papenfuß’ Gedicht der „Ostfrau an sich“ auf sich bezogen wissen durfte. … | |
| changiert irgendwo zwischen machistisch und augenzwinkernd und dass | |
| Gröschner diese Ambivalenz gutwillig aushält, tut auch dem sonst sehr | |
| männerlastigen Abend gut. | |
| Keine Verklärung der Geschichte | |
| Abgesehen von meist zahmer Räuber- und Revoltenrhetorik bleibt die | |
| Volksbühne friedlich an diesem Abend, der tatsächlich um Punkt 21 Uhr | |
| beginnt. Der Mythos Prenzlauer Berg ist Referenzpunkt, zur Verklärung der | |
| eigenen Geschichte neigt man jedoch nicht. Es scheint, man hat sich | |
| arrangiert mit der Randständigkeit, die der Prenzlauer Berg nicht nur an | |
| und für sich beanspruchte, sondern auch in der jüngeren | |
| Berlin-Geschichtsschreibung einnahm, als Kreuzberg das unangefochtene | |
| Underground-Verkaufsargument darstellte, das junge Menschen in die | |
| Hauptstadt lockte – und bis heute Zinsen abwirft. Den „Rauch-Haus-Song“ | |
| grölen auch englischsprachige Zugezogene mit, die „Prenzlauer Berg | |
| Connection“ ist selbst bei deutschen Neu- und Jungberlinern meist | |
| unbekannt. | |
| Angesichts der Endrunden-Gentrifizierung im einstigen Ostberliner | |
| Szenebezirk bleibt Guillaume Paoli selbstbewusst. „Die Avantgarde stirbt, | |
| aber sie ergibt sich nicht“, sagt er. Das Publikum belohnt seinen | |
| Waterloo-Schlenker mit Lachen, in Teilen sich wohl des eigenen Kurses | |
| rückversichernd. Einige der Dabeigewesenen und Zeitzeug:innen | |
| unterstehen heute dem Uniform-Dreiklang aus Hemd, Armbanduhr und Ehering | |
| oder schälen sich aus frühherbstlicher Steppwesten-Funktionalität. Viele | |
| aber auch nicht. Die Piratendichte ist hoch an diesem Abend. | |
| Bert Papenfuß ist unbequem geblieben. Was normalerweise Floskel ist, trifft | |
| auf den offen zum Wahlboykott aufrufenden Anarchisten zu, der aus seiner | |
| Geringschätzung für Demokratie im Angesicht des real existierenden | |
| Kapitalismus nie ein Geheimnis machte. Auch für Geld hatte er nur | |
| Verachtung übrig. Moderator Jürgen Kuttner weist daher zuletzt noch auf den | |
| Spendentopf hin, der am Ausgang der Volksbühne hängt: Jetzt müsse man | |
| Papenfuß nur noch ordentlich unter die Erde kriegen. | |
| 9 Oct 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Julia Hubernagel | |
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