# taz.de -- Nachruf auf die Lyrikerin Elke Erb: Ich diene als Risiko | |
> Die Schriftstellerin Elke Erb ist gestorben. Gegen die Verhältnisse in | |
> der DDR schrieb sie an. Ihr Einfluss auf die deutsche Lyrikszene war | |
> groß. | |
Bild: Bei ihr herrschte „Gedichtverdacht“: Elke Erb (1938–2024) | |
Der Lyrikerin eilte zuweilen der Ruf voraus, in ihren Sprachexperimenten | |
unverständlich zu sein. Wer sich aber auf den wendigen und selbstreflexiven | |
Stil einließ, stellte eine bemerkenswerte Klarheit in der Beobachtung fest. | |
Bei Elke Erb ging es, im wahrsten Sinne des Wortes, zur Sache – zu der | |
immer auch die autobiografische Erkundung gehörte. | |
Mochte das lyrische Ich auch von Kreuzweh geplagt sein, Erb nutzte die | |
Selbstreferenz als Chance, wie sie etwa im Prosanachklapp zu einem Poem mit | |
dem schön-skeptischen Titel „Gedichtverdacht“ ausführte: „Wenn ich Gedi… | |
schreibe – vielleicht auch bei anderem, bin ich die Quelle, nichts weiter – | |
und wie ich das Quellwasser liebe jetzt, wo ich das schreibe, es zwischen | |
Gestein hervorkommen sehe, um sie herum…!!“ | |
Aus der biografischen Quelle konnte auch einiges hervorsprudeln. Die 1938 | |
in der Eifel geborene Schriftstellerin Elke Erb wuchs in einem Elternhaus | |
auf, das sich schon bald in Auflösung befand: Ihr Vater, der marxistische | |
Literaturhistoriker Ewald Erb, galt eine Zeitlang als vermisst, als er | |
seine Familie in die DDR nachkommen ließ. Kaum in Halle angekommen, | |
verbrachte Elke Erb zunächst zwei Jahre in einem Heim. | |
Die Biografie der Autorin ist auch später von zahlreichen Brüchen und | |
Wendepunkten geprägt: Nach der Schulzeit arbeitete sie erst in einem | |
landwirtschaftlichen Betrieb, um dann Russisch und Deutsch zu studieren. | |
Sie bekam einen Job als Lektorin in einem Parteiverlag, doch als sie immer | |
wieder in einer Nervenklinik behandelt werden musste, zog sie schließlich | |
als freie Schriftstellerin nach Ostberlin. | |
Schon bald wurde sie in der [1][Lyrikszene im Prenzlauer Berg] zu einer | |
bekannten Stimme, auch wenn sie als Regimekritikerin nur wenige | |
Möglichkeiten zur Veröffentlichung in der DDR hatte. In Westdeutschland | |
hingegen wuchs ihr Renommee, vor allem innerhalb der Lyrikszene. So erhielt | |
sie 1988 den Peter-Huchel-Preis für ihren Gedichtband „Kastanienallee“. Das | |
war eine große Ehrung, doch ein noch viel größere Auszeichnung sollte | |
folgen. Immer wieder wurde in Rezensionen ihr Einfluss auf die jüngere | |
Lyrik beschrieben; 2020 wurde sie schließlich [2][mit dem | |
Georg-Büchner-Preis geehrt.] | |
## Sprachliche Renitenz | |
In einem viel zitierten Gespräch mit der [3][Schriftstellerin Christa Wolf] | |
hat Elke Erb einmal gesagt: „Ich bin außerhalb der Form. Und das ist eine | |
Chance und ein Risiko. Die Menschheit geht mit mir ein Risiko ein, ich | |
diene als Risiko.“ Auf den ersten Blick könnte man meinen, diese | |
Formulierungen seien kokett, vielleicht sogar größenwahnsinnig. Dabei | |
drückten die 1978 formulierten Sätze vor allem eine sprachliche Renitenz | |
aus, nämlich gegenüber einer Gesellschaft, in der Literatur vor allem | |
linientreu sein musste, die Herrschaft der SED niemals anzweifeln durfte. | |
„Sklavensprache“ heißt ein Gedicht, das Elke Erb im Januar 1980 schrieb. An | |
einer Stelle heißt es unmissverständlich: „Ich habe den Verhältnissen | |
gekündigt, / sie waren falsch.“ | |
So dürfen ihre Arbeiten, die in der DDR entstanden sind, durchaus als | |
Protest gegen staatlich normiertes Schreiben gelesen werden, sind aber auch | |
ohne den historischen Bezug noch immer gültig: Weil es in ihren Arbeiten um | |
grundsätzliche Fragen zur Ästhetik geht, wie etwa der Möglichkeit, den | |
Prozesscharakter von Lyrik abzubilden. Unverständlich war ihr literarisches | |
Schaffen eher selten. Im Gegenteil, die kunstfertige Deutlichkeit prägte | |
ihr Werk, mit dem Elke Erb immer das Risiko einging, im Abseits zu stehen. | |
## Skurriles und Naturlyrik | |
Natürlich standen ihre Texte nie ganz außerhalb der Form. Der pünktlich zur | |
Verleihung des Büchner-Preises von Monika Rinck und Steffen Popp | |
herausgegebene Band „Das ist hier der Fall“ mit Gedichten aus fünf | |
Jahrzehnten zeigt Erbs erstaunlichen Willen zur Formenvielfalt, der sich in | |
einer skurrilen Szene genauso ausdrückt wie in einer naturlyrischen | |
Beobachtung, mal im essayistischen Langgedicht, dann im autobiografischen | |
Zweizeiler, in grafisch aufgelösten Poemen genauso wie in klassischer | |
Lautpoesie, gefolgt von poetologischen Reflexionen und Erörterungen | |
volkstümlicher Redewendungen. | |
Elke Erb dichtete und kommentierte ihre Lyrik gleichermaßen, sie | |
untersuchte und formte Worte und Bedeutungen, immer auf der Suche nach | |
Wahrheiten in der Welt und in der Ästhetik – mögen die auch noch so übel | |
sein: „Kaum setze ich die Feder an, bohrt sie sich in den Grund. / Auch | |
schon ohne Papier, schon im Kopf. – Oder so gesagt. Gehe ich / Dem Übel auf | |
den Grund, kommt es über mich, Übel auf Übel!“ | |
Elke Erb hat die meisten ihrer zwanzig Gedichtbände in kleineren Verlagen | |
veröffentlicht; insbesondere die Editionen von Lyrikförderer Urs Engeler | |
sind zu erwähnen. Mit dem Büchnerpreis wurde sie im hohen Alter noch Teil | |
der Suhrkamp-Kultur. Luftig und leicht wirkten ihre Gedichte jüngeren | |
Datums, obwohl es beziehungsweise gerade weil es um die eigene | |
Gebrechlichkeit geht. Elke Erb schien sich in der Paradoxie besonders | |
heimisch zu fühlen. Am Montag starb die Dichterin im Alter von 85 Jahren in | |
Berlin. | |
23 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Carsten Otte | |
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