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# taz.de -- Büchnerpreisträgerin Elke Erb: Mit den Gedanken fliegen
> Nach dem Krieg zog ihre Familie von der Eifel in die DDR. Beim Versuch,
> den Sozialismus zu verstehen, entdeckte Erb die Poesie. Ein Hausbesuch
> aus 2018.
Bild: Bücherstapel, Bücherwände, Bücherschränke: Elke Erb auf dem Bett in …
In ihrer Erdgeschosswohnung im Berliner Hinterhaus wirken Worte so, als
wären sie die Wände, an denen sich die Lyrikerin Elke Erb orientiert. „Für
das, was sonst beim Zurechtfinden hilft, brauche ich Geduld“, sagt sie.
Draußen: In der Schwedenstraße im Stadtteil Wedding herrscht
Großstadtdeprivation, untermalt von hupenden Autos, Martinshörnern,
Flugzeuglärm. Bunt ist nur das Lichtgeklimper der Casinos, daneben sind
Imbisse, verstaubte Versicherungsbuden, Handy-Shops. Das Highlight: die
orientalischen Süßigkeiten bei Al-Iman. Baklava und Mamul sind „cok nefis“
– sehr köstlich – „delicious indeed“.
Drinnen: Eine Wortgewaltige lebt in dinggewaltigen Räumen. „Ich bin doch
nicht gewaltig“, sagt sie. Überall Papierberge, Fotos, Notizen,
Bücherstapel, Bücherwände, Bücherschränke, Kinderzeichnungen ihres Sohnes,
Bilder, Erinnerungen, vergilbte Plakate, Plural, Plural, Koffer, ein
Fahrrad, die Dielen rot wie Ochsenblut, geraucht wird auch. Alles, was
gebraucht wird, um mit Worten umzugehen, gibt es im Überfluss.
Herkunft: Elke Erb wurde am 18. Februar 1938 in einem Eifeldorf geboren.
(Bald wird sie achtzig.) „Fünf Häuser nur“, sagt sie, waren dort, wo sie
die ersten elf Jahre verbrachte. Später wird sie sagen, dass sie die
Bundesrepublik nicht kritisieren konnte, sie kannte ja nur dieses Dorf und
Erinnerungen seien auch so eine komische Sache. Sie erinnert sich zum
Beispiel, dass der Freiherr von Sturm und Felseneck für die Konstruktion
des Daches ihres Hauses zuständig war, „das fand ich lustig, weil der Name
so passte“.
Die Mutter: Elke Erb erinnert sich, dass ihre Mutter eigentlich Nonne
werden sollte, wie zwei ihrer Tanten. Aber im Refektorium hätte sie
gelacht. Zur Strafe musste sie auf Glasscherben knien. Das habe sie bekehrt
– in eine andere Richtung.
Der Vater: Er wiederum habe Theologie studiert, sich mit den Apokryphen
beschäftigt und dann aufgehängt ob der Glaubenszweifel. Er wurde gerettet,
kam in eine katholische Nervenklinik, wurde für verrückt erklärt und
schaffte es, da wegzukommen, erzählt Erb. Danach habe sein Leben neu
angefangen, er studierte „Geschichte, Völkerkunde, Mittelhochdeutsch“, war
im Krieg Soldat, kam kurz vor Kriegsende vors Kriegsgericht wegen
Wehrkraftzersetzung und „zum Glück“ dann in britische Gefangenschaft. Nach
dem Krieg ging er in die neu gegründete DDR, „meine Eltern waren so
kommunistisch drauf“, und holte Frau und Kinder bald nach. In Halle an der
Saale kam die Familie unter.
Was bleibt von den Eltern: Fotos und Sätze. Erb erinnert sich, dass ihre
Mutter einmal zu einer Freundin gesagt habe: „Elke ist der seltsamste
Mensch, den ich kenne.“
Der Anfang des Schreibens: „Wissen Sie, wie das anfing mit dem Schreiben?
Nein?“ Und dann erzählt sie, dass sie ja in der DDR aufgewachsen sei und
glücklich dort war. Sie dachte, sie sei mit dem Sozialismus identisch.
„Aber mit dem Sozialismus ging’s schief.“ Um zu ergründen, warum, habe s…
angefangen, Tagebuch zu schreiben. Dabei merkte sie, dass sie beim
Schreiben Subjekt ist, und verstand: Der Sozialismus klappte nicht, weil
der Mensch dort mehr als Objekt gehandelt wird. „Wer will das schon?“ Also
ist sie beim Schreiben geblieben, denn es gehe ja „um die Rettung des Ichs
vor der Gesellschaft“.
Tagebücher: Sie empfiehlt allen, Tagebuch zu schreiben, „dann sehen Sie,
was Sie denken“. Derzeit bearbeitet sie ihre, weil alles ins Archiv soll.
Beim Abschreiben sah sie, dass sie klug ist, „das hatte ich gar nicht
gewusst“, und dass sie Humor hat – weil sie mit ihren Gedanken fliegen
kann. Eine Probe? Da, ein Buch wird aufgeschlagen, der Finger fällt auf
diese Stelle: „Schelte, als bellte im Nachbarhof der Hund. (Welcher Hof,
welcher Hund? Eine Sache mit Grund.)“
Das Schreiben als Beruf: Elke Erb hat auf Lehramt studiert, und gab es auf.
„Zu viel Drill.“ Was sie dann war und ist: Wortarbeiterin, freischaffend
seit 1966. Die Lyrik ist ihre Passion. Passion, also: Leidenschaft und
Leidensweg? Sie widerspricht: „Es ist Leidenschaft und Weg.“
Leidenschaft: Geht es bei Lyrik darum, etwas tief zu sagen? „Ich
protestiere gegen das Wort ‚tief‘“, sagt sie, „es geht um Poesie.“ Ih…
Leidenschaft lässt sie zwischen „Kram-Gedanken“ und „Brombeerranken“ d…
Welt entwerfen: „Ich lag und sann, da kamen Kram-Gedanken. / Natürlich ist
es recht, den Kram im Kopf zu haben. / So hältst die Sterne du in ihren
Bahnen. / Statt aus der Welt heraus zu existieren / und fremd zu sein wie
dir mehr als den Tieren. / Laß deinen Kram wie Himmelskörper strahlen / und
denke dir zum Abschluß Brombeerranken.“ Wikipedia zählt 25 Bücher von ihr
auf.
Weg: „Ich bin nicht ehrgeizig“ sei ein Satz, der in ihren Tagebüchern oft
stehe. Aber: Ist das nicht eine Voraussetzung, um überhaupt Gedichte
schreiben zu können? Denn Erb musste nicht nur ertragen, dass ihre Mutter
sie nicht versteht. „Auch in der DDR galt ich die längste Zeit als
unverständlich.“ Im Kapitalismus nach der Wende wurde dann noch deutlich:
Mit Lyrik kann man die Miete nicht bezahlen. Wovon sie jetzt mit fast 80
lebt? „Ich weiß es bei Gott nicht.“ Fragt sich also: Wofür hatte sie kein…
Ehrgeiz? Fürs Groß-Rauskommen wahrscheinlich, wahnsinnigen Ehrgeiz jedoch
entwickelte sie dabei, alles aus Worten herauszuholen. Neben den eigenen
Gedichten hat sie auch Poesie übersetzt – vor allem aus dem Russischen.
Übersetzen: In der DDR musste sie Russisch lernen. „Ich war schockiert, als
ich das Wort ‚kto‘ hörte und dass das „wer“ bedeutet. Das soll eine Sp…
sein?“ Die Verwunderung hat sich gegeben. Mit der Zeile „Feuerscheite
tanzen Feuerbeine“ habe die Übersetzerei begonnen. Die Zeile sei ihr doch
recht gut gelungen, meint sie. „Von wem die war, weiß ich nicht mehr.“
Marina Zwetajewa: Elke Erb war eine der Ersten, die Gedichte der russischen
Lyrikerin Marina Zwetajewa übersetzte. Sie habe gelernt von ihr: „Bei
Marina hab ich viel gekämpft, weil sie so streng ist, strikt, sehr
gespannt.“ Aber Übersetzen sei wie Kaninchen füttern. „Ich habe die
Kaninchen gerne gefüttert. Diese Fürsorglichkeit, wenn man Löwenzahn sucht
für sie.“ Löwenzahn suchen – Worte suchen. Trotzdem: „Ich war hilflos, …
hilflos, wie kriegst du das hin.“
Wortfindungsstörungen: Sie muss jetzt immer öfter fragen, wie heißt das,
wie sagt man dazu, erzählt Elke Erb. Sie meint nicht die neuen Worte, die
sie bildet, die Worterfindungen – „Kram-Gedanken, das ist ja nicht
Gedankenkram“ – sie meint das Alte. Da, die Espressomaschine etwa, die auf
ihrem Küchenschrank steht, kommt ihr fremd vor, „ich wusste gar nicht, dass
ich die habe“.
Das Vergessen: Eine, die nicht verstanden wird, wird leicht vergessen. Dem
kommt Elke Erb jetzt zuvor. „Wo war ich? Was wollte ich?“ Vergesslichkeit �…
alles noch im Rahmen. „Wie das begann mit der Vergesslichkeit, habe ich
gefragt: ‚Haben die gesiegt oder ich?‘“ Sie kämpft dagegen an: „Ich
diszipliniere mich unglaublich.“ Und dann fragt sie noch: „Ist es
anstrengend, mit mir zu reden? Tut das weh irgendwo?“
16 Feb 2018
## AUTOREN
Waltraud Schwab
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