# taz.de -- Der Hausbesuch: Traubenkirsche geht gar nicht | |
> Er will die Schönheit der Natur den Städtern nahebringen. Hans Lippert | |
> lebt im Berliner Stadtwald und liebt alle Bäume – bis auf einen. | |
Bild: Sein Haus atmet Vergangenheit, aber regelmäßig kommen Kindergruppen bei… | |
Es ist ein Leben mit und für den Wald, Hans Lippert wurde in der DDR zum | |
Forstarbeiter ausgebildet. Später wurde er Förster im Westberliner | |
Grunewald. Dort lebt er bis heute. Und freut sich, wenn Naturliebhaber | |
vorbeikommen. | |
Draußen: Eine Kreuzung mehrerer Waldwege, neuerdings mit „Infopunkt“. Der | |
urbane Waldgänger wird hier über CO2-Ausstoß, Grundwasser und biologische | |
Vielfalt aufgeklärt. Gegenüber des Infopunkts stehen zwei unscheinbare | |
Backsteinhäuser, dazwischen ein Blumenbeet mit bunten Fähnchen und | |
Windspielen. Eine bunt gekleidete ältere Dame schaut aus dem Dachfenster | |
eines Gebäudes, dessen unterer Teil ein Hühnerstall ist. „Einfach mal | |
klingeln und ans Küchenfenster klopfen, wenn er sich danach fühlt, kommt er | |
dann schon ans Fenster“, ruft sie. | |
Und tatsächlich, nach dem Rufen erscheint aus dem Dunkel des Haupthauses | |
Hans Lippert. Er geht an einer Krücke. Seit einem Fahrradunfall im vorigen | |
Jahr ist seine Hüfte angeschlagen. Er möchte sich davon aber nicht | |
einschränken lassen. Vielen Joggern und regelmäßigen Hundegängern ist er | |
hier gut bekannt, dank der Trinkwasserfontäne vor seinem Haus. Ein | |
Treffpunkt, viele halten dort einen kurzen Schwatz über das Wetter und den | |
Wald. Lippert erklärt dann gern, was es auf sich hat mit dem alten Haus | |
mitten im Wald. Noch lieber erzählt er aber vom Wald selbst, bringt Jung | |
und Alt etwas bei, über „seine“ Bäume. | |
Die Hühner müssen noch gefüttert werden. Selbst den Hennen ist es an diesem | |
Tag zu nass, aufgereiht sitzen sie auf ihrer Stange im Stall. Dabei können | |
sie sich frei auf dem Gelände rund um das Haus bewegen – mit allen Risiken, | |
die ein freies Hühnerleben im Wald mit sich bringt. Gerade sind ein paar | |
Hennen von Füchsen und Habichten geholt worden. Magere zwei Eier finden wir | |
an diesem Morgen im Stall. | |
Drinnen: Das Haus ist weitläufig und dunkel. Wie die Wohnungen von vielen | |
alten Menschen scheint es Vergangenheit zu atmen. Und es lässt diesen sonst | |
so resolut auftretenden Mann fragil erscheinen. Im Januar ist Lippert 80 | |
Jahre alt geworden. | |
Wohngemeinschaft: Marie, die Frau mit den bunten Klamotten, klopft nun ans | |
Küchenfenster. „Eine echte Rumtreiberin“, nennt Lippert sie. Er sagt das | |
nicht abschätzig. Obdachlos schlug Marie vor zwei Jahren ein Zelt im | |
Grunewald auf. Weil das nicht erlaubt ist, bot Lippert ihr zunächst einen | |
Platz für ihr Zelt auf seinem Gelände an. | |
Als es dann wochenlang aus Strömen goss und sie auf der Wiese | |
wegzuschwimmen drohte, bot er ihr den Heuboden über dem Hühnerstall für die | |
Nacht an. Und da lebt sie seitdem. Kollegen und Freunde verstehen nicht so | |
recht, warum er sie nicht irgendwann wieder rausgeschmissen hat. „Ich | |
streite mich nicht gern“, sagt er dazu nur. Und fügt dann hinzu: „Hier | |
stört sie doch niemanden, die offiziellen Stellen haben sie doch längst | |
aufgegeben.“ | |
Pragmatisch ist er, durch und durch. Und er interessiert sich für die | |
Menschen um ihn herum. Er teilt „seinen“ Wald gern, ob mit Marie oder den | |
vielen Kindern, denen er bei Kindergeburtstagen den Forst und seine | |
Bewohner näher bringt. | |
Seitenwechsel: Ursprünglich aus Potsdam, machte Lippert eine | |
Grundausbildung als Forstfacharbeiter in der „Ostzone“. Er sage nicht gern | |
DDR, schiebt er hinterher, „demokratisch war die schließlich nie“. Darum | |
ist er auch weg, als sich seine erste Hilfsförsterstellung im Osten als | |
bewaffnetes Wachestehen am Grenzposten entpuppte. | |
1958, die Mauer war noch nicht gebaut, heuerte er in Westberlin an. Die | |
US-Armee bot damals gute Jobs an. Bis 1962 war Lippert „Sergeant of the | |
Guard“, Teil des Wachbataillons, das vor einem Munitionsdepot im Grunewald | |
Spalier stand. Als die Berliner Forste dann Personal suchten, nahm er seine | |
Forstmeisterlaufbahn wieder auf – und blieb gleich im Grunewald. Seine | |
Herkunft bedeutet ihm trotzdem viel. Als Westkollegen nach der Wende über | |
die Ostler schimpften, mahnte er zu Respekt, warb für gegenseitiges | |
Verständnis. | |
Das Haus: In der „alten Saubucht“, eigentlich der Name des ehemaligen | |
Wildschweingeheges hinter dem Haus, das zu Kaiserzeiten Beute für die | |
kaiserlichen Jagden lieferte, lebt er nun seit über 25 Jahren. Aufgrund von | |
Personalkürzungen bestand kein ernsthaftes Interesse mehr am Forsthaus. Als | |
Vater von drei leiblichen Söhnen und einem Pflegesohn hätte es für ihn | |
nicht besser kommen können, denn Platz war so genug da. | |
Der Feind: „Ich bin Baumrassist“, verkündet Lippert mit einem Lächeln. | |
Hauptproblem des Berliner Walds sind eingeschleppte Arten, die | |
einheimischen Bäumen den Raum und die Nährstoffe nehmen. Die amerikanische | |
Traubenkirsche ist sein Erzfeind, schon vor 300 Jahren nach Europa gelangt, | |
hat sie sich unverhältnismäßig in mitteleuropäischen Wäldern breitgemacht, | |
auch weil einheimische Tiere die Jungbäume instinktiv in Ruhe lassen. | |
Darum gräbt Lippert mit den Kindern, die das Ökowerk zu Kindergeburtstagen | |
zu ihm schickt, Jungbäume aus. Denn nur indem man auch die Wurzeln | |
ausreißt, behebt man das Problem langfristig. Aus den Ästen machen sie dann | |
Grillspieße fürs abendliche Lagerfeuer. | |
Agent Orange: Der Einsatz für den Wald hat ihn gezeichnet. Lipperts Hände | |
fallen auf, ausgebleicht sind sie. Bei näherem Hinsehen bemerkt man eine | |
ähnliche Hautverfärbung auch auf seiner Stirn – vom Schweißabwischen. Das | |
Gift fraß sich mühelos durch die Baumwollhandschuhe durch und ätzte sich in | |
die Haut. Kein Unfall, sondern 70er-Jahre-Ignoranz. Das Entlaubungsmittel | |
Agent Orange, das die Amerikaner als Teil ihrer Kriegsführung großflächig | |
über den Wäldern Vietnams versprühten, wurde in dünner Konzentration auch | |
zur Schädlingsbekämpfung in den Berliner Forsten eingesetzt. | |
Von Umweltbewusstsein war damals noch keine Rede, erzählt Lippert. Dioxine | |
wurden in Deutschland erst in den späten 80er-Jahren reglementiert. Er und | |
seine Kollegen vermuten Zusammenhänge zwischen heutigen Magen- und | |
Krebserkrankungen und dem Umgang mit den Giftstoffen damals, doch an | |
offizielle Stellen hat sich nie jemand gewendet. | |
Ökologisches Denken: Die Wende zu Nachhaltigkeit und Umweltschutz erfolgte | |
erst sehr viel später. Hans Lippert war mit seinem Interesse an | |
zukunftsorientierter Forstwirtschaft ein Vordenker in einem traditionell | |
konservativen Beruf. Er liest den Spiegel und Peter Wohlleben, Deutschlands | |
berühmtesten Förster, dessen Bücher es auf die Bestsellerlisten schaffen. | |
Wohllebens Thesen über die Kommunikation der Bäume untereinander werden von | |
vielen Forstleuten immer noch belächelt. Lippert dagegen freut sich über | |
den Fortschritt, auch über die größere Vielfalt unter den Kollegen heute. | |
Auch wenn der Anteil der Försterinnen noch unter 10 Prozent liege. Das | |
lasse noch zu wünschen übrig, sagt er. | |
Politik: Seit Willy Brandts Kniefall ist er SPD-Mitglied. So findet er, | |
gehört es sich als Arbeiter. Vorstand der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald | |
war er auch mal, aber dort ist er als grün-denkender Forstmeister unter | |
waffenbegeisterten Jagdfans ziemlich angeeckt. | |
Heute hadert er mit der Fixierung der Forstamtsleitung auf die | |
finanzpolitischen Ziele der Forstwirtschaft. Von Nachhaltigkeit könne keine | |
Rede sein, wenn riesige Holzfällmaschinen das Roden übernähmen. Dabei | |
gelten schonendere Methoden, wie sie zum Beispiel mit dem letzten | |
Arbeitspferdegespann im Berliner Forst Dreilinden praktiziert werden, als | |
langfristig nachhaltiger. Bis diese Politik sich ändert, wird Lippert | |
weiter seinen Teil zu mehr Nachhaltigkeit beitragen und Berlins | |
Stadtkindern die Schönheit des Waldes nahebringen. | |
8 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Lisa Dittmer | |
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