| # taz.de -- Diskussion ums Cornern In Hamburg: Nicht immer die Polizei rufen | |
| > Das Massencornern nervt auch mich. Aber es ist eine Sache genervt zu | |
| > sein. Und eine andere, sich öffentlich zu distanzieren. | |
| Bild: Wer soll was dagegen tun? Menschen beim Cornern in Hamburg | |
| Cool town, evenin’ in the city / Dressed so fine and lookin’ so pretty / | |
| Cool cat lookin’ for a kitty / Gonna look in ev’ry corner of the city“. J… | |
| Cocker hat das gut besungen, es hat sich ein bisschen was geändert, aber | |
| gar nicht mal so viel. In unserem Dorf hingen die „jungen Leute“ früher an | |
| der Bushaltestelle herum, weil da wenigstens ab und zu jemand ankam oder | |
| wegfuhr, Leute halt, andere Leute. Andere Leute sind für die „jungen Leute“ | |
| das, was sie suchen, das ist ihnen ihre Attraktion, möglichst viele andere | |
| Leute, und natürlich was zum Saufen. | |
| Seit ein paar Jahren heißt das „cornern“ und führt immer mehr zu | |
| Komplikationen. Für mich ist das nichts mehr, betrunkene Menschengruppen, | |
| dennoch kann ich die irgendwie verstehen. Sich unter andere Menschen | |
| mischen, gucken, ob einer guckt, abwarten, was passiert, man weiß doch | |
| noch, wie das war. Junge Menschen sind junge Tiere, die sich auf | |
| Sammelplätzen einfinden, zum Zwecke des Kräftemessens und Fortpflanzens. | |
| Das Cornern nun ist den Gastwirten schon länger ein Übel, weil es ihnen die | |
| zahlenden Gäste wegnimmt, den Anwohnern ist es der Lärm, der Müll und das | |
| Pinkeln. Jetzt aber, in dieser durch Corona angespannten Lage, scheint sich | |
| auch dieses spezielle Problem aus verschiedenen Gründen noch zuzuspitzen. | |
| Es spitzt sich ja seit Längerem alles in allen Bereichen irgendwie zu, und | |
| das ohnehin schon irgendwie Brodelnde wird nun so explosiv, dass es zu | |
| kleineren oder auch größeren Verpuffungen kommt. | |
| Es haben sich im Hamburger Schanzenviertel Bewohner (der Stadtteilbeirat | |
| Sternschanze) gegen das Massencornern ausgesprochen und zu diesem Zwecke | |
| ein Schreiben an den Hamburger Bürgermeister, den Innensenator (der selber | |
| gerne feiert, wie wir wissen) und die zweite Bürgermeisterin gesandt. | |
| Eingreifen sollen sie. Verbieten sollen sie. Die Polizei soll kommen. | |
| Und das ist der Punkt, da werde ich etwas grüblerisch. Mir wurde mal, und | |
| das ist genau 22 Jahre her, im Viertel in einer Kneipe mein Portemonnaie | |
| geklaut, das Personal weigerte sich, die Polizei zu rufen, das tat man | |
| damals einfach nicht. Heute sieht es anscheinend anders aus. Heute soll die | |
| Polizei das Viertel also aufräumen. Familien wohnten dort, man sei ja | |
| schließlich kein „Vergnügungspark“. | |
| Ich kann das sehr gut verstehen, ich würde selbst unter solchen Umständen | |
| auch keinesfalls leben wollen und wir alle könnten dort sehr schlecht | |
| schlafen. Aber wer sind denn, in diesen Zusammenhängen, „die Richtigen“, | |
| die, die dort feiern und ausgehen dürften? Denn dass die Sternschanze nun | |
| einmal auch ein Viertel zum Ausgehen ist, allein weil dort so viele | |
| Kneipen, Bars und Restaurants sind, das kann wohl keiner bestreiten. | |
| Einen ähnlichen Sachverhalte gab es jüngst in Stuttgart, wo es auf einem | |
| solchen Platz zu Ausschreitungen kam. Auch nach diesen Vorfällen gab es | |
| Überlegungen, wer „diese Leute“ denn eigentlich seien, und wer nicht. Man | |
| grenzt sich ab, das Viertel darf manches sein, aber kein Ischgl, kein | |
| Ballermann, sondern etwas vielleicht Ambitionierteres, Politischeres, etwas | |
| ganz anderes jedenfalls. Die Cornerpeople aber sind einfach die Falschen | |
| und zu viel. | |
| Ich kenne dieses Abgrenzungsverhalten von mir selbst und kann es gut | |
| nachvollziehen. Mich stören die paar jugendlichen Rumgröler vorm Haus, die | |
| abends auf der Straße mit ihren Kumpels sinnlose „Gespräche“ führen, auc… | |
| Aber es ist eine Sache, genervt zu sein und eine andere, so eine | |
| gesellschaftliche Distanzierung öffentlich zu formulieren. Wen ruft man an: | |
| die Polizei, den Staat, und gegen wen? Was sind das für Fronten und wo | |
| verortet man sich dann selbst? Bin ich Teil der Gerechten, oder schon | |
| Nörgelrentner oder sogar Privatpolizist? | |
| Ein ähnliches Thema ist mir übrigens immer der Schlagermove gewesen, den | |
| ich persönlich verabscheue, den ich aber harmlos finde, und den Menschen, | |
| die so was beglückt, durchaus einmal im Jahr gönne. Eine Lösung für diese | |
| lästige und derzeit vielleicht auch gefährliche gesellschaftliche | |
| Erscheinung des „Massencornerns“ habe ich natürlich auch nicht. | |
| 3 Jul 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Seddig | |
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