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# taz.de -- Regeln und ihre Verbindlichkeit: Anleitung zum Regelverstoß
> Die einen zahlen Bußgelder, wenn sie Abstandsregeln missachten, die
> anderen nicht. Was lernt das jugendliche Kind daraus?
Bild: Einflussreich und deshalb über Abstandsregeln erhaben? Hamburgs SPD-Inne…
Es gibt Dinge, die man als jugendlicher Mensch irgendwann lernt. Wenn sich
meine Kinder früher über ungerechte Zensuren beschwerten, antwortete ich
ihnen: Das Leben ist ungerecht, gewöhn’ dich dran. Es gibt Dinge, gegen die
man sich wehren kann, wenige Dinge, und es ist auch eine Frage
verschiedenster eigener Ressourcen, ob es sinnvoll und möglicherweise
erfolgreich ist, dieses Sich-wehren zu betreiben. Und diese vorhandenen
oder nicht vorhandenen Ressourcen, also auch die eigene Wehrhaftigkeit,
stellen eine weitere von vielen Ungerechtigkeiten dar.
Die jugendlichen Kinder einer Bekannten wurden in der vergangenen Woche –
zu viert, auf zwei Parkbänke verteilt – erwischt, was ihnen pro Kind 150
Euro Bußgeld wegen Nichtgewährleistung der Einhaltung des Mindestabstandes
einbrachte. Das Kind, dessen Eltern einen Nettolohn von 7.400 Euro nach
Hause bringen, sieht der Sache möglicherweise etwas gelassener entgegen als
das Kind, dessen Familie von 1.800 Euro monatlich lebt. Ungerecht? Aber
damit hat es sich noch nicht, und das Kind, dessen Familie von Hartz IV
lebt, ist solcherart Ungerechtigkeiten schon lange gewöhnt.
Sehen wir uns die Hotspots der Party- und Jugendtrinkkultur an: Den Platz
vor der „Tabakbörse“ am Pferdemarkt oder am Schulterblatt nebenan, wo die
jungen Menschen sich traditionell dem stilvollen
Auf-der-richtigen-Straße-herumstehen-und-Trinken hingeben. Dort wird ein
Mindestabstand nicht im Mindesten eingehalten. Dort griff die Polizei dann
jüngst durch, indem sie die Läden schloss und die Straße räumte. Folgen in
Form von Bußgeldbescheiden hatte das für diese Trinkenden nicht.
Es ist eben auch schwierig, einen betrunkenen Mob abzukassieren, sehr viel
schwieriger, als vier Jugendliche auf zwei Parkbänken. Es ist vielleicht
sehr viel vernünftiger, die Sache anders anzugehen, aus Polizistensicht.
Was der jugendliche Mensch davon lernen kann: Wenn du etwas nicht Erlaubtes
oder sogar Verbotenes meinst tun zu müssen, dann tu es mit vielen anderen
Menschen gleichzeitig.
Oder, und das ist die allerwichtigste Sache, die ein jugendlicher Mensch
derzeit lernen kann: Sei ein wichtiger, einflussreicher Mensch. Sei ein
Innensenator! Denn die Sache ist die, wenn du ein wichtiger, ein
einflussreicher Mensch bist, dann kommen meistens keine Polizisten gelaufen
und schreiben dir einen Zettel über ein Bußgeld aus. Sehr, sehr gering ist
die Wahrscheinlichkeit, dass die Polizisten dies tun, wenn du Innensenator
und also irgendwie Chef dieser Polizisten bist.
Du könntest auch eine große Villa besitzen und ein parkähnliches Areal, wo
du dich mit deinen Freunden auf eine deiner eigenen Parkbänke setzen
könntest, das wäre auch eine recht sichere Möglichkeit, selbst größere
Gruppen von Menschen ungestört die Gewährleistung der Einhaltung des
Mindestabstandes missachten zu lassen. Aber das ist gar nicht nötig, und du
kannst es auch öffentlich und vor den Augen der Polizisten tun, wenn du
selbst das größte Vorbild in Sachen innerer Sicherheit bist.
Nun ist es ja so, dass unser Hamburger Innensenator, Andy Grote, sich
öffentlich dafür entschuldigt hat, dafür, dass er eine private Sause
anlässlich der Wiederwahl unseres Bürgermeisters gegeben hat, einen
Stehempfang, wie er betonte, bei dem doch relativ viele Leute, auch wenn
sie sich die Tür in die Hand gegeben haben sollen, gleichzeitig in einem
Raum beieinander gestanden haben. Aus mehr als zwei Haushalten, möchte ich
meinen. Nicht mehr als fünfzehn gleichzeitig, sagt Herr Grote. Sie hätten
sich alle „regelkonform“, also mit anderthalb Meter Abstand zueinander, in
der Bar aufgehalten. Man weiß es nicht.
Und vielleicht hat dies nun doch noch unangenehme Folgen für Herrn Grote,
denn jetzt nutzt der politische Gegner die Stunde für sich, wie es halt so
üblich ist.
Das jugendliche Kind allerdings hat in diesen verwirrenden Zeiten,
bezüglich der Folgen von Regelverstößen, fürs Leben gelernt: Sei nicht arm!
Gehöre einer Gruppe oder Lobby an! Bekleide ein wichtiges Amt!
24 Jun 2020
## AUTOREN
Katrin Seddig
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