| # taz.de -- Interkulturelles Festival der Volksbühne Berlin: Ben Nemsi bei Han… | |
| > „Postwest“ heißt ein Festival der Volksbühne Berlin. Wegen Corona musste | |
| > es den Austausch mit südosteuropäischen Ländern ins Netz verlegen. | |
| Bild: „The Return of Karl May“, von Qendra Multimedia und Nationaltheater K… | |
| Auf der Treppe vor dem kosovarischen National Theater in Prishtina wird es | |
| offiziell. Schauspieler treten vor das Mikrofon als Pressesprecher, die in | |
| amtlicher Diktion verkünden, ein Hilferuf der Volksbühne aus Berlin habe | |
| sie erreicht. Nach irgendwelchen unverständlichen Geschichten mit einem | |
| belgischen Intendanten sei man jetzt in Not. Das Nationaltheater Kosovo ist | |
| stolz, helfen zu können mit dem eigens für das deutsche Volk entwickelten | |
| Luststück „The Return of Karl May“. | |
| Das knapp 40-minütige Video-on-Demand „The Return of Karl May“, mit dem | |
| sich Qendra Multimedia und das Nationaltheater Kosovo an dem digitalen | |
| Festival „Postwest“ der Volksbühne Berlin beteiligen, ist ein satirisches | |
| Format, das oft mit bissigem Witz über die gegenseitigen Projektionen | |
| zwischen Ost und West und über das, was man nicht weiß, reflektiert. Die | |
| improvisierten Szenen sind immer wieder unterbrochen von Einwürfen des | |
| Regisseurs, „das verstehen die Deutschen nicht, das lassen wir weg“. | |
| Schüsse auf der Bühne gehen dort, in Deutschland, nicht, die seien nur | |
| möglich, wenn für jeden Zuschauer ein Psychologe bereitstünde. Das | |
| erschwert die Szene über den rassistischen Anschlag in Hanau, die | |
| eigentlich geplant war. Bleibt als Höhepunkt der Besuch von Kara Ben Nemsi | |
| als deutschem Superheld bei Peter Handke und der Versuch, Handke seinen | |
| Nobelpreis zu klauen und zu verscherbeln. | |
| „Postwest“ war ein für Mai geplantes Festival des transkulturellen | |
| Austauschs der Volksbühne mit Theatermacher*innen der baltischen Staaten, | |
| aus Polen, Kosovo, Rumänien, Ungarn und der Ukraine, kuratiert von Alina | |
| Aleshenko, Referentin der Intendanz an der Volksbühne. Schon der Titel | |
| signalisiert, dass dabei oft an einen kritischen Blick auf den Westen und | |
| den Kapitalismus gedacht war. Vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie, | |
| die das Umschwenken auf digitale Formate erforderte, hat sich diese Skepsis | |
| noch einmal verschärft. | |
| ## Mülltourismus und Spargelernte | |
| Zum Beispiel im Beitrag von Teatrul Tineretului und Piatra Neamt aus | |
| Rumänien, „Postwest – something digital“. Im ersten Teil, einem | |
| Bilderessay, erzählen sie von rumänischen Saisonarbeitern, die ohne jede | |
| Abstandsmöglichkeit die Flugzeuge zur deutschen Spargelernte bestiegen, vom | |
| Müll, das aus westlichen Ländern nach Rumänien gebracht wird, von | |
| Bodengiften, die nicht entsorgt wurden, von Umweltskandalen, die nie | |
| aufgearbeitet wurden. | |
| So erfährt man von einem Land, das sich nicht nur als Müllkippe missbraucht | |
| fühlt, sondern auch seine Leute so behandelt sieht. Dann schließt sich eine | |
| Videokonferenz der Theaterleute an, enttäuscht darüber, jetzt irgendwas | |
| Digitales liefern zu sollen, das sei nicht ein Job. Lieber wäre ihnen | |
| gewesen, das Festival um ein Jahr zu verschieben. Das war für die | |
| Volksbühne und die Bewilligung der Mittel keine Option. | |
| Um Arbeiten im Niedriglohn-Sektor geht es auch der Autorin und Journalistin | |
| Saša Uhlová. 20 Prozent der Arbeitsplätze in Tschechien sind Jobs für | |
| Nichtqualifizierte, mit weniger als 3 Euro die Stunde bezahlt, informiert | |
| sie. Undercover hat sie, wie man in einem Film, „The Limits of Work“, auf | |
| der Festivalseite sehen kann, in einer Wäscherei, an einer Supermarktkasse | |
| oder in einer Geflügelfabrik gearbeitet. Und darüber auch ein Buch | |
| geschrieben, „Die Helden der kapitalistischen Arbeit“, das gut zu der | |
| momentanen Diskussion über die Arbeitsbedingungen in deutschen | |
| Fleischfabriken passt. | |
| ## Hochmut der Intellektuellen | |
| Der Regisseur Micha Hába will auf der Basis ihres Buchs ein Stück über die | |
| Menschen machen, die wenig beachtet werden trotz ihrer gesellschaftlich | |
| wichtigen Arbeit. Man kann ein Gespräch mit ihm und der Autorin hören, in | |
| dem es unter anderem darum geht, wie die EU von dem Lohngefälle West/Ost | |
| profitiert. | |
| Aber auch um den Hochmut der Intellektuellen, die den Niedriglöhnern, die | |
| oft stolz auf ihre Leistung sind, mangelndes politisches Bewusstsein und | |
| ausbleibenden Klassenkampf vorwerfen. Unter anderem fantasieren sie, den | |
| Antikommunismus durch den Antideppismus zu ersetzen. | |
| So bietet „Postwest“ in der digitalen Ausgabe schon mit wenigen Klicks ein | |
| Spektrum aktueller politischer Diskussionen, hat daneben aber auch | |
| poetische Beiträge, die den Hintergrund der sozialen Isolation im Lockdown | |
| mitreflektieren. Das geschieht in „Man from Fish: Voices“ nach einem Text | |
| der russischen Dramatikerin Asia Vološina, bearbeitet von der Regisseurin | |
| Egle Švedkauskaité. | |
| Man sieht eine leere Bühne und hört Frauenstimmen in Deutsch, Englisch und | |
| Litauisch und liest sie auch in den drei Sprachen. Das ist eine | |
| minimalistische, aber visuell und akustisch anregende Ästhetik. „Liebe ist | |
| nur etwas für Dummköpfe“, liest und hört man. Sie reden über Verlassenhei… | |
| zurückliegende Beziehungen, Angst und einen Zustand, in dem ihr vergangenes | |
| Leben, ihr Land, ihnen erscheint wie etwas, das verrottet und sie mit dem | |
| Geruch der Verwesung umgibt. Dieses Gefühl, der Welt abhandenzukommen, | |
| nichts Nahes mehr greifen zu können, könnte auch eine Beschreibung der | |
| Gegenwart sein. | |
| 26 Jun 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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