# taz.de -- Männerlastiges Berliner Landesparlament: Wo bleiben die Frauen? | |
> Ausgerechnet Rot-Rot-Grün in Berlin schafft es bisher nicht, sich auf ein | |
> Paritätsgesetz zu einigen. Nun setzt ein neue Studie die SPD unter Druck. | |
Bild: Die Männer im Abgeordnetenhaus reden, die Frauen hören zu: klingt nach … | |
BERLIN taz | „Mannomann!“ Auch im rot-rot-grün regierten Berlin ist das | |
leider noch der richtige Anfang für einen Text über die Gleichstellung von | |
Frauen in der Politik. Seit 30 Jahren ist ihr Anteil im Abgeordnetenhaus | |
keineswegs graduell gestiegen, wie mensch hätte erwarten können – vielmehr | |
schwankt er deutlich. In den Bezirksparlamenten ist der Frauenanteil zwar | |
höher, aber von Gleichstellung kann auch hier keine Rede sein. | |
Das geht aus einer [1][Untersuchung] hervor, die die SPD-nahe | |
Friedrich-Ebert-Stifung am Mittwoch vorgestellt hat. Die politische | |
Schlussfolgerung der beiden Autorinnen der Studie: Es braucht dringend ein | |
Paritätsgesetz nach Brandenburger oder Thüringer Vorbild. Aber Rot-Rot-Grün | |
hat dafür noch nicht einmal einen gemeinsamen Entwurf vorgelegt. Und die | |
Zeit wird knapp: Im Herbst 2021 wird wieder gewählt. | |
„Freiwillige Regelungen in den Parteien reichen nicht aus, um | |
gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern im Abgeordnetenhaus zu | |
erreichen und diese auch langfristig zu sichern“, laut das Fazit der | |
Autorinnen [2][Helga Lukoschat] und Paula Schweers. Sie haben den | |
Frauenanteil bei den Wahlvorschlägen und in Landes- und Bezirksparlamenten | |
seit 1990 ausgewertet. | |
Nach den letzten Wahlen 2016 lag dieser Anteil im Abgeordnetenhaus bei 33,1 | |
Prozent, in den Bezirken bei 39,6 Prozent. Verglichen mit anderen | |
Bundesländern steht die Hauptstadt zwar nicht so schlecht da: Platz fünf | |
von 16 belegt Berlin damit. Die beiden anderen Stadtstaaten führen die | |
Liste an, Hamburg hat als Spitzenreiter allerdings einen deutlich höheren | |
Frauenanteil von 43,9 Prozent. | |
Dazu kommt: Längerfristig betrachtet stagniert in Berlin die Entwicklung – | |
bestenfalls. Denn 1995 lag der Anteil bei 38,4 Prozent, 2006 sogar bei 39,6 | |
Prozent, dem bisherigen Höchststand. Woran liegt das? | |
Die entscheidende Rolle für den Anteil von Frauen und Männern in den | |
Länderparlamenten spielen die Mehrheitsverhältnisse und dortigen | |
politischen Konstellationen, heißt es in der Studie: „Je mehr Sitze | |
Parteien erzielen, die interne Quotenregelungen haben, wie SPD, Grüne und | |
Die Linke, umso höher ist in der Regel der Frauenanteil.“ Hintergrund ist | |
die unterschiedliche, teils offen, teils diskret frauenfeindliche Kultur | |
meist konservativer Parteien. | |
Erzielen solche Parteien Wahlerfolge, kann eine hohe Quote von Frauen im | |
Parlament eben auch wieder sinken. 2011 war der Grund dafür, dass die | |
Piraten einmalig ins Abgeordnetenhaus einzogen: 14 ihrer 15 Abgeordneten | |
waren Männer. Das zeigt, ganz nebenbei, dass auch als links gelabelte | |
Parteien nicht unbedingt die Repräsentation von Frauen zum Ziel haben. | |
2016 wiederum drückte der erstmalige – und hoffentlich ebenfalls einmalige | |
– Einzug der AfD die Quote: Unter den 25 Abgeordneten der AfD befanden sich | |
damals lediglich drei Frauen. Hinzu kam, dass Frauen auch in CDU und FDP | |
einen schweren Stand hatten: Die Union schickte nur vier, die FDP zwei | |
Frauen ins Parlament; auf Bundesebene liegt der Anteil bei beiden Parteien | |
höher. | |
## Viel Nachwuchs in Bezirken | |
An mangelnden Kandidatinnen liege das nicht, sagen die Autorinnen der | |
Studie, und verweisen auf die höheren Frauenanteile in den | |
Bezirksparlamenten. „Die Berliner Parteien verfügen theoretisch wie | |
praktisch über ein ausreichend großes Potenzial, um ihre Wahlkreise und | |
Listen paritätisch mit Frauen und Männern zu besetzen.“ | |
Mit der Veröffentlichung der Studie erhöht die SPD-nahe Ebert-Stiftung den | |
Druck auf die Berliner Regierungsparteien und insbesondere auf die SPD, | |
noch in dieser Legislaturperiode ein [3][Paritätsgesetz zu verabschieden]. | |
Denn erneut sind es bei einem gesellschaftspolitischen Reformprojekt in | |
Berlin die Sozialdemokraten, die bremsen. | |
Die Linkspartei hingegen hatte bereits Anfang 2019 [4][einen Vorstoß | |
gewagt]. „Wir haben unseren Koalitionspartnerinnen einen Entwurf für ein | |
Paritätsgesetz vorgelegt, der sowohl quotierte Listen als auch paritätisch | |
besetzte Wahlkreise vorsieht“, sagte Anne Helm, Vorsitzende der | |
Linksfraktion, der taz. Ein Jahr später zogen die Grünen mit einem | |
Eckpunktepapier nach. | |
Dazwischen, im Herbst 2019, hatte der SPD-Parteitag die Forderung nach | |
einem Paritätsgesetz aufgenommen und das Ganze gar zum „Leuchtturmprojekt“ | |
erklärt. Einen gemeinsamen Gesetzentwurf, der im Parlament beraten werden | |
könnte, gibt es bisher dennoch nicht. | |
Nach der Sommerpause soll zumindest der SPD-Entwurf vorliegen, der dann | |
zunächst intern in der Fraktion besprochen werden kann, kündigte Derya | |
Çağlar, in der SPD-Fraktion für Gleichstellung zuständig, am Mittwoch | |
gegenüber der taz an. Und sie betont: „Mir ist es wichtig, das Gesetz noch | |
in dieser Legislaturperiode zu verabschieden.“ | |
Die Vorschläge der Linken wie Grünen sehen vor, die Wahllisten der Parteien | |
verbindlich im Verhältnis 1:1 zu quotieren – auf eine Frau folgt ein Mann | |
folgte eine Frau und so weiter. Ob eine Frau oder ein Mann am Anfang der | |
Liste steht, könne man aus rechtlichen Grünen nicht festlegen, erklärt | |
Silke Gebel, grüne Fraktionschefin. Entspricht eine Liste den Vorgaben | |
nicht, ist sie ungültig. | |
Etwas komplizierter wird es bei den Wahlkreisen, eine der – laut Studie – | |
Hauptursachen für den geringeren Anteil von Frauen im Parlament. Die | |
Ergebnisse der Wahlen 2011 und 2016 zeigten, „dass die Frauen bereits vor | |
dem eigentlichen Wahlentscheid keine gleichberechtigte Teilhabe erfahren, | |
da sie bereits als Kandidatinnen unterrepräsentiert sind. Dies gilt | |
insbesondere für die Wahlkreise.“ So betrug 2016 in den 78 Wahlkreisen die | |
Anzahl der männlichen Kandidaten 321 gegenüber 141 Frauen, das entspricht | |
einem Frauenanteil von 30,5 Prozent. „Auch SPD, Die Linke und Bündnis | |
90/Die Grünen nominierten mehr Männer als Frauen in den Wahlkreisen.“ | |
## Weniger Wahlkreise | |
Der Reformvorschlag von Grünen und Linken sieht deswegen vor, die Anzahl | |
der Wahlkreise zu halbieren und die Zahl der Stimmen für jede/n | |
Wahlberechtigte/n auf zwei zu verdoppeln. Die Wahlberechtigten hätten dann | |
für die Wahl des Abgeordnetenhauses insgesamt drei Stimmen, von denen eine | |
auf die Wahlliste und zwei Stimmen auf jeweils eine Frau und einen Mann in | |
ihrem Wahlkreis entfallen, wobei Letztere nicht von einer Partei sein | |
müssen. Diese Wahlkreisduos oder -tandems findet auch die SPD gut, betonte | |
Çağlar. | |
Strittig ist hingegen die Frage, ob die Parteien – in diesem Fall CDU, SPD | |
und FDP – weiterhin Bezirkslisten aufstellen dürfen oder ob es nur noch | |
Landeslisten geben soll. Die Grünen, die wie die Linke auch Landeslisten | |
aufstellen, sehen in den Bezirkslisten einen Grund für den geringeren | |
Frauenanteil und wollen sie abschaffen: „Die Machtstruktur auf Bezirksebene | |
ist sehr patriarchal geprägt“, sagt Fraktionschefin Gebel. | |
„Bezirksfürsten“ würden dort ihre Kandidaten durchdrücken. | |
Für Çağlar und die SPD hingegen ist eine Aufgabe der Bezirkslisten nicht | |
verhandelbar: „Das geht nicht.“ Sie sieht sich dabei durch die Untersuchung | |
der Ebert-Stifung bestätigt: „Die Benachteiligung hängt nicht von den | |
Listen ab, das zeigt die Studie“, sagt Çağlar. Zumindest für die SPD: „D… | |
Vermutung liegt nahe, dass bei CDU und FDP die Frauen eher auf hinteren, | |
weniger aussichtsreichen Plätzen aufgestellt waren“, heißt es darin. „Bei | |
der SPD wurden dagegen überproportional mehr Frauen gewählt.“ | |
Die Grünen wiederum stehen vor dem Problem, dass eine paritätische | |
Besetzung den starken Anteil der Frauen in ihrer Fraktion von derzeit über | |
60 Prozent reduzieren würde. Das dürfe aber nicht das Ergebnis jahrelangen | |
Empowerments sein, betont Gebel. Sie fordert deshalb eine „Ergebnisparität“ | |
für das gesamte Parlament, die einzelnen Fraktionen höhere Quoten erlauben | |
würde. | |
## Die Zeit wird knapp | |
Die Verhandlungen innerhalb der Koalition dürften also hart werden, und die | |
Zeit ist knapp, denn spätestens ab Frühjahr dürfte der aufkommende | |
Wahlkampf komplizierte Kompromisse unmöglich machen. „Wir warten auf die | |
SPD“, betont die grüne Fraktionschefin Gebel. Klar ist aber auch: Selbst | |
wenn in dieser Legislatur noch ein Gesetz verabschiedet würde – es würde | |
erst für die übernächste Abgeordnetenhauswahl 2026 Anwendung finden. | |
25 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] http://www.fes.de/forum-berlin/berlinpolitik | |
[2] /Politologin-ueber-Gleichberechtigung/!5646480 | |
[3] /Gleichstellung-im-Landtag/!5659749 | |
[4] /Paritegesetz-fuer-Berliner-Parlament/!5578941 | |
## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
## TAGS | |
Gleichberechtigung | |
Paritätsgesetz | |
Abgeordnetenhaus | |
Frauen | |
Paritätsgesetz | |
Thüringen | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Schwerpunkt Thüringen | |
Parität | |
Parité-Gesetz | |
Frauenpolitik | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Frauenquote in der Berliner Politik: Giffey allein reicht nicht aus | |
Frauen haben weiterhin deutlich schlechtere Chancen in der Landespolitik | |
als Männer, so eine Studie. Sie fordert ein Paritätsgesetz. | |
Gericht kippt Paritätsgesetz: Quotenregel in Thüringen ungültig | |
Die Landeslisten der Parteien sollten in Thüringen künftig zur Hälfte mit | |
Frauen besetzt werden. Doch der Verfassungsgerichthof kippt das Gesetz. | |
Linke Problemzonen: Der renitente Ramelow | |
Bodo Ramelow stimmt mit der AfD und will das Paritätsgesetz aussetzen. Die | |
Partei rügt ihn. Und Sahra Wagenknecht meldet sich wieder zu Wort. | |
Gleichstellung im Landtag: Thüringer Paritätsgesetz wackelt | |
FDP, CDU und AfD wollen das erst im Januar in Kraft getretene Gesetz wieder | |
abschaffen. Auch bei schnellen Neuwahlen gäbe es ein Problem. | |
Politologin über Gleichberechtigung: „Von selbst bewegt sich nichts“ | |
Der Anteil von Frauen in Deutschlands Parlamenten ist rückläufig. | |
Politologin Helga Lukoschat schlägt als Gegenmaßnahme ein Parité-Gesetz | |
vor. | |
Paritégesetz für Berliner Parlament: Linke und Grüne drängeln | |
Das Abgeordnetenhaus diskutiert über eine 50-Prozent-Frauenquote. Linke und | |
Grüne wollen bis zur Sommerpause Gesetzesentwurf vorlegen. | |
Brandenburg will Wahllisten quotieren: Für ein bisschen mehr Gleichheit | |
Brandenburg prescht voran und will ein Paritätsgesetz einführen. Die Gegner | |
haben bereits erklärt, vor das Verfassungsgericht ziehen zu wollen. |