# taz.de -- Frauenquote in der Berliner Politik: Giffey allein reicht nicht aus | |
> Frauen haben weiterhin deutlich schlechtere Chancen in der Landespolitik | |
> als Männer, so eine Studie. Sie fordert ein Paritätsgesetz. | |
Bild: Die Frauen in der Mitte, die Männer am Rand: So sieht es leider nur im S… | |
BERLIN taz | Manchmal muss man schon sehr genau schauen, um einen | |
Fortschritt zu erkennen. „Weder im neuen Abgeordnetenhaus noch in den | |
Bezirksverordnetenversammlungen sind Frauen ihrem Anteil an der Berliner | |
Bevölkerung entsprechend vertreten“, heißt es [1][im neuen Monitoring der | |
Friedrich-Ebert-Stiftung (FES)] zur Frauenquote in der Berliner Politik. | |
Die Studie, erstellt von Helga Lukoschat und Lisa Hempen, wird am Montag | |
offiziell vorgestellt. Es bestehe, halten die Autorinnen nüchtern fest, | |
„weiterhin politischer Handlungsbedarf“. Parität, die sich die | |
rot-grün-rote Landesregierung als erklärtes Ziel in den Koalitionsvertrag | |
geschrieben hat, sieht anders aus. | |
Immerhin drei positive Nachrichten konnte Lukoschat bei der Präsentation | |
vor der Presse [2][der nach 2020 zum zweiten Mal aufgelegten Studie] | |
vermelden: Die Regierende Bürgermeisterin ist jetzt, endlich, eine Frau. | |
Bei den Senator*innenposten stehen gar sechs Frauen vier Männern | |
gegenüber; auch in der zweiten Führungsebene, also auf | |
Staatssekretärsebene, hat sich in den Spitzenpositionen das Verhältnis | |
zugunsten der Geschlechterparität verschoben: 12 Frauen und 13 Männer. | |
Und schließlich konnten 35,4 Prozent der Abgeordnetenhausmandate [3][bei | |
der Wahl im September 2021] von Frauen errungen werden. Der Abwärtstrend, | |
mit einem Tiefstwert seit der Wiedervereinigung von 33,1 Prozent im Jahr | |
2016, scheint damit gestoppt. „Dennoch ist das ein Fortschritt im | |
Schneckentempo“, konstatiert Lukoschat. | |
Woran liegt es, dass auch im Jahr 2022 im tendenziell links regierten | |
Berlin Parität bloß eine Absichtserklärung in Koalitionsverträgen ist? | |
Zunächst einmal, so die Studie, liegt es an einigen Parteien, die ebenfalls | |
mit im Abgeordnetenhaus sitzen: Die Opposition aus CDU, AfD und FDP zieht | |
die Frauenquote nämlich ordentlich runter. Am schlechtesten schneiden mit | |
13,3 Prozent Frauenanteil – das sind in dem Fall vier Mandate – die | |
Christdemokraten ab, damit liegen sie noch hinter der AfD (15,4 Prozent). | |
„Das ist für die Berliner CDU kein gutes Zeugnis“, sagt Lukoschat. | |
Besonders auffällig bei der CDU, aber auch bei der SPD, die auf immerhin | |
38,9 Prozent Frauenquote in ihren Reihen kommt: Frauen werden in den | |
Wahlkreisen zwar fleißig als Direktkandidatinnen aufgestellt – nur gewählt | |
werden sie dann meistens nicht. Bei der SPD schafften sieben von 33 | |
Kandidatinnen den Einzug über die Erststimme, bei der CDU sogar nur drei | |
von 25 Frauen. | |
Den Grund für das schlechte Abschneiden der Frauen sieht Lukoschat darin, | |
dass Männer die attraktiveren Wahlkreise bekämen. Es reiche deshalb nicht, | |
„Frauen zu nominieren; sie müssen auch die aussichtsreichen Wahlkreise | |
bekommen.“ | |
Dass es schlicht zu wenige gute Frauen für aussichtsreiche Positionen gebe, | |
mögen die Studienautorinnen nicht gelten lassen: In den Bezirksparlamenten, | |
die als Sprungbrett in die Landespolitik gelten, ist der Frauenanteil | |
nämlich deutlich höher; selbst die CDU kommt dort auf insgesamt 33,1 | |
Prozent. „Das Argument: Wir finden die Frauen nicht, zieht nicht“, sagt | |
Lukoschat. | |
Cornelia Seibeld ist eine der vier CDU-Frauen im Abgeordnetenhaus. Ihren | |
Wahlkreis in Steglitz-Zehlendorf hat sie seit 2006 immer direkt gewonnen. | |
„Natürlich ist das nicht gut“, sagt Seibeld, wenn man sie fragt, ob ihr der | |
geringe Frauenanteil in der eigenen Fraktion Bauchschmerzen macht – | |
immerhin ist Seibeld auch frauenpolitische Sprecherin. | |
Sie habe schon viele kluge, gute Frauen in ihrem Kreisverband erlebt, sagt | |
Seibeld. Aber die wenigsten entschieden sich für den Sprung in die | |
Vollzeit-Politik auf Landesebene. „Politik ist familienfeindlich“, sagt | |
Seibeld, das müsse man klar sehen – die vielen abendlichen Termine, die | |
langen Sitzungen. Und dann erleben sie häufig, dass es „Frauen schwerer | |
fällt zu sagen: ‚Hier bin ich, ich kann das!‘“ | |
Nicht gerade förderlich für das Selbstvertrauen des weiblichen Nachwuchses | |
sind die immer noch besonders männlich dominierten Kreis- und Ortsverbände. | |
Seibeld sagt, gerade dort brauche es mehr Frauen, die Vorbild sein wollen | |
für den weiblichen Nachwuchs. „Patenschaften könnten ein Weg sein.“ | |
Die rot-grün-rote Koalition hat sich ein Paritätsgesetz als Ziel in den | |
Koalitionsvertrag geschrieben – ein Instrument, das auch Lukoschat für das | |
„Mittel der Wahl“ hält, um die Frauenquote in den Parlamenten zu steigern. | |
Grüne und Linke hatten bereits in der letzten Legislatur jeweils Eckpunkte | |
für ein solches Gesetz vorgelegt. Beide Parteien schlugen quotierte | |
Landeslisten vor, also die abwechselnde Aufstellung von Frauen und Männern | |
– was Linke (Frauenquote: 54 Prozent) und Grüne (53 Prozent) auch bereits | |
machen. | |
Die Grünen gingen am weitesten mit ihrem Vorschlag, die Zahl der Wahlkreise | |
zu halbieren und stattdessen immer Duos aus einer Frau und einem Mann zur | |
Direktwahl aufzustellen. Einen Dämpfer erhielt das Berliner Vorhaben, als | |
die Landesverfassungsgerichte in Thüringen und Brandenburg dort [4][bereits | |
geltende Paritätsgesetze für verfassungswidrig erklärten], weil es die | |
Parteienfreiheit unzulässig einschränke. | |
Bahar Haghanipour, frauenpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen-Fraktion, | |
hält das Ziel eines Paritätsgesetzes dennoch „nach wie vor für politisch | |
richtig“, sagt sie der taz. „Es geht jetzt darum, zu erarbeiten, wie der | |
Weg zu einem rechtssicheren Paritätsgesetz aussehen kann.“ Über dieses | |
Ziel, glaubt Haghanipour, „sind wir uns in der Koalition auch einig“. | |
Ihre SPD-Kollegin Mirjam Golm ist weniger optimistisch: „Wir brauchen nicht | |
noch ein Gesetz, das juristisch abgesägt wird“, sagt die Abgeordnete aus | |
Steglitz-Zehlendorf. Wichtiger, sagt Golm, die auch | |
gleichstellungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion ist, sei deshalb die | |
Arbeit an einem „Bewusstseinswandel“, der in den Parteien stattfinden | |
müsse. Da sei etwa die Präsenzkultur, die langen Tage, die auch Seibeld | |
kritisiert. | |
„Es geht hier um ein strukturelles Problem von Parteien“, sagt Silke Ruth | |
Laskowski. Die Professorin für Öffentliches Recht an der Uni Kassel hatte | |
ein Gutachten erstellt, in dem sie darlegt, warum ein Berliner | |
Paritätsgesetz doch verfassungskonform sein kann: Der Gleichheitsgedanke | |
von Mann und Frau wiege höher als die Parteienfreiheit. Von der bisherigen | |
Rechtsprechung solle man sich nicht irritieren lassen, zumal es noch kein | |
Urteil des Bundesverfassungsgerichts gebe. „Wir brauchen mutige | |
Politikerinnen, die etwas bewegen“, fordert Laskowski deshalb. | |
21 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.fes.de/landesbuero-berlin/frauen-macht-berlin-politische-teilha… | |
[2] /Maennerlastiges-Berliner-Landesparlament/!5691246 | |
[3] /SPD-gewinnt-Abgeordnetenhauswahl/!5803728 | |
[4] /Juristin-Maria-Wersig-ueber-Paritaet/!5720616 | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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