| # taz.de -- Juristin Maria Wersig über Parität: „Wir lernen in jeder Runde … | |
| > Brandenburg und Thüringen haben die Paritätsgesetze gekippt. Die | |
| > Präsidentin des Juristinnenbunds will Geschlechtergerechtigkeit weiterhin | |
| > im Wahlrecht. | |
| Bild: Demonstrantinnen des Frauenpolitischen Rats Brandenburg zeigen, was sie w… | |
| taz: Frau Wersig, [1][das Brandenburger Paritätsgesetz ist gekippt], das | |
| Thüringer ebenso. Im Bundestag wurde das Vorhaben vertagt, eine Kommission | |
| für Parität einzusetzen. Ist die gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen | |
| in der Politik gescheitert? | |
| Maria Wersig: Nein. Die Entscheidungen sind bedauerlich, aber das Problem, | |
| dass Frauen auf dem Weg in die Parlamente strukturell benachteiligt werden, | |
| bleibt ja bestehen. In Deutschland gab es noch nie ein paritätisch | |
| besetztes Parlament. Es besteht Handlungsbedarf. | |
| Trotzdem: Sind die Wege jetzt erst mal dicht? | |
| Es gibt viele Stimmen in der Staatsrechtslehre, die andere Auffassungen | |
| vertreten, als sie in den Entscheidungen deutlich wurden. Das haben die | |
| Thüringer Minderheitenvoten gezeigt. Aber es ist natürlich erst mal | |
| enttäuschend, dass das Brandenburger Gericht der Meinung war, dass sich der | |
| Gleichstellungsauftrag von Artikel 3 nicht im Wahlrecht widerspiegeln darf. | |
| Das Paritätsgesetz laufe der demokratischen Willensbildung zuwider, heißt | |
| es in der Begründung. Den Parteien selbst stünde aber frei, sich dem Ziel | |
| der Gleichberechtigkeit zu verschreiben. Widerspricht sich das nicht sogar? | |
| Das finde ich schon. Wenn es der Auftrag des Grundgesetzes ist, Maßnahmen | |
| zu ergreifen, um strukturelle Benachteiligung abzubauen, kann man das | |
| Wahlrecht davon nicht ausnehmen. Das Gericht stellt in seinem Urteil nur | |
| auf formale Gleichbehandlung ab – aber gar nicht auf die Tatsache, dass | |
| Frauen in unserem System nicht dieselben Chancen haben. | |
| Sind das politische Urteile patriarchaler Gerichte? | |
| Über Parität in den Parlamenten hat sich jahrzehntelang niemand Gedanken | |
| gemacht. Der Gleichstellungsgrundsatz in Artikel 3 wird deshalb nicht | |
| ausreichend stark gewichtet. Bis das der Fall ist, wird es ein langer Weg. | |
| Vor dem Bundesverfassungsgericht sind schon Klagen eingereicht, die die | |
| Entscheidung etwa des Thüringer Gerichts kippen wollen. Befürworten Sie | |
| das? | |
| Vom Bundesverfassungsgericht gibt es die klare Aussage, dass es nicht nur | |
| um formal gleiche Rechte geht, sondern dass es auch einen Auftrag gibt, die | |
| Lebenswirklichkeit entsprechend zu gestalten. Trotzdem ist nicht gesagt, | |
| dass man in Karlsruhe gewinnt. Die begonnene Diskussion im Verfassungsrecht | |
| muss weitergehen. Es wäre deshalb absolut falsch, das Ziel Parität jetzt ad | |
| acta zu legen. Wir müssen den Weg weitergehen. | |
| Auf diesem Weg sind auch andere Bundesländer wie Berlin. Was empfehlen Sie | |
| denen jetzt? | |
| Sich über die Argumente und konkrete Ausgestaltung der Gesetze intensiv | |
| Gedanken zu machen. | |
| Um die Urteile der Landesverfassungsgerichte zu umgehen? | |
| Man muss sie berücksichtigen und versuchen, gute Ausgestaltungen zu finden. | |
| Konkrete Vorschläge gibt es noch nicht, aber die müssen die Gesetzgeber der | |
| Länder wie Berlin jetzt entwickeln. AfD und NPD werden weiter gegen alle | |
| Gesetze klagen. Darauf gilt es, vorbereitet zu sein. Wir lernen in jeder | |
| Runde dazu. | |
| Gibt es noch andere Möglichkeiten als die gesetzgeberische? | |
| Die öffentliche Debatte muss weitergeführt werden. Es ist ein Erfolg, dass | |
| es die endlich gibt und dass die Probleme auf dem Tisch liegen. Das hat | |
| Einfluss, zum Beispiel auf die Bundestagswahl: Da bleibt es allen Parteien | |
| überlassen, wie sie in den eigenen Reihen mit Parität umgehen. Auch die | |
| Unionsfrauen sagen: Uns reicht es jetzt. All das wird langfristig Folgen | |
| haben. | |
| Wenn es im Parlament eine entsprechende Mehrheit gäbe – zum Beispiel in | |
| Thüringen nach der nächsten Landtagswahl –, könnte das Land selbst die | |
| Verfassung ändern. Muss man darauf hoffen? | |
| Auch das wäre eine Möglichkeit. Der Blick ins Ausland zeigt: Frankreich hat | |
| die Verfassung geändert, bevor es sein Paritätsgesetz auf den Weg gebracht | |
| hat. Aber ich bin auch überzeugt, dass wir es schaffen können, unsere | |
| bestehende Verfassung so anzuwenden, dass die im Grundgesetz | |
| festgeschriebene Anforderung an die Umsetzung der Gleichberechtigung | |
| entsprechend gewürdigt wird. | |
| Was wäre Ihr Tipp: Wie lange wird es dauern, bis die Gleichstellung der | |
| Geschlechter auch im Wahlrecht verankert ist? | |
| Die Kämpfe der Frauenbewegung, auf die wir zurückblicken, führen uns vor | |
| Augen, dass wir dicke Bretter bohren. Ich hoffe, dass es Parteien bald zum | |
| Nachteil gereichen wird, wenn sie sich an dieser Stelle nicht bewegen. Das | |
| müssen sie merken. Dann kommen wir auch zu Veränderungen. | |
| 25 Oct 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Paritaetsgesetz-in-Brandenburg-gekippt/!5719855 | |
| ## AUTOREN | |
| Patricia Hecht | |
| ## TAGS | |
| Frauen | |
| Wahlrecht | |
| Parität | |
| Geschlechtergerechtigkeit | |
| Paritätsgesetz | |
| Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin | |
| Parität | |
| Paritätsgesetz | |
| Landtag Brandenburg | |
| Thüringen | |
| Bundestagsabgeordnete | |
| Parität | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Frauenquote in der Berliner Politik: Giffey allein reicht nicht aus | |
| Frauen haben weiterhin deutlich schlechtere Chancen in der Landespolitik | |
| als Männer, so eine Studie. Sie fordert ein Paritätsgesetz. | |
| Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus: Da muss sie erst reinkommen | |
| Nur ein Drittel der Berliner Abgeordneten sind Frauen. Wenn Berlin am 26. | |
| September ein neues Parlament wählt, dürfte sich das kaum ändern. | |
| Parität in Bremer Bürgerschaft: Reform mit hohen Hürden | |
| Die Koalition möchte mehr Frauen im Parlament. Ein Gutachten soll nun | |
| ausloten, ob und wie ein Paritätsgesetz juristisch möglich wäre. | |
| Zu wenig Frauen in den Parlamenten: Keine Sympathie für Parité | |
| Das BVerfG sieht keine Pflicht, Wahllisten mit gleich vielen Frauen wie | |
| Männern zu besetzen. Ob gesetzliche Vorgaben überhaupt möglich wären, ist | |
| offen. | |
| Paritätsgesetz in Brandenburg: Mein Laden, meine Leute | |
| In Brandenburg verhandelt das Verfassungsgericht über das Paritätsgesetz. | |
| Die Argumente der Quotengegner zeugen von Scheinheiligkeit. | |
| Gericht kippt Paritätsgesetz: Quotenregel in Thüringen ungültig | |
| Die Landeslisten der Parteien sollten in Thüringen künftig zur Hälfte mit | |
| Frauen besetzt werden. Doch der Verfassungsgerichthof kippt das Gesetz. | |
| Wahlrechtsreform im Bundestag: Frauen bleiben außen vor | |
| Im Bundestag sollten künftig weniger Abgeordnete sitzen – und eigentlich | |
| mehr Frauen. Doch die werden im Streit um eine Reform zur Nebensache. | |
| Gleichberechtigung und Wahlrechtsreform: Frauen spielen keine Rolle | |
| Bei der anstehenden Reform des Wahlrechts ist Parität kein Thema. Über die | |
| Frage, wie das doch noch erreicht werden kann, herrscht Uneinigkeit. |