| # taz.de -- Frauen*kämpfe in Berlin: Ein Tag ist nicht genug | |
| > Zehntausende demonstrierten am 8. März für Gleichberechtigung. Doch die | |
| > Abschaffung des Patriarchats ist Aufgabe fürs ganze Jahr. Ein | |
| > Wochenkommentar. | |
| Bild: Feminismus und Klassenkampf gehören zusammen, wie bei der Care-Demo an d… | |
| An feministischen Themen und Zielen mangelt es nie, insbesondere nicht in | |
| der Pandemie. Dass am 8. März auch ohne angekündigte Großdemonstration mehr | |
| als zehntausend FLINTA, also Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, | |
| trans und agender Personen, ihre Forderung nach Gleichberechtigung auf | |
| Berlins Straßen getragen haben, zeigt deutlich, wie viel in diesem Bereich | |
| noch zu tun ist. | |
| Die Anliegen der Frauen*bewegung sind dabei so vielfältig wie die | |
| Aktionen selbst: [1][An unterschiedlichen Orten in der Stadt] wurde auf die | |
| Situation von Frauen* im Ukrainekrieg, in Afghanistan, in Pflegeberufen | |
| oder ganz allgemein im kapitalistischen Patriarchat aufmerksam gemacht. | |
| Dass Feminismus und Klassenkampf zusammengehören, wurde etwa bei der | |
| [2][Care-Demo an der Volksbühne in Mitte] deutlich. Noch immer sind es | |
| hauptsächlich Frauen*, die in Pflegeberufen arbeiten – was einer der Gründe | |
| dafür sein dürfte, dass dieser Bereich trotz rhetorischer Aufwertung | |
| seitens der Politik hoffnungslos unterbezahlt und unterbesetzt ist. | |
| Mit Lippenbekundungen allein ist die Miete aber nicht bezahlt, und der | |
| gebetsmühlenartig vorgebrachte Verweis der politisch Verantwortlichen auf | |
| fehlendes Geld ist spätestens nach dem in Nullkommanix von der | |
| Ampel-Bundesregierung aufgestellten Sondervermögen von 100 Milliarden Euro | |
| für die Bundeswehr nicht mehr glaubwürdig. Zur Erinnerung: Für den | |
| Pflegebereich gab es trotz Pandemie gerade einmal 1 Milliarde Euro. | |
| Dass Krieg und Aufrüstung wichtiger zu sein scheinen als Gesundheit, | |
| Betreuung oder Bildung liegt wohl auch daran, dass hauptsächlich Männer | |
| über die Verteilung der Steuergelder entscheiden: So beträgt der | |
| Frauen*anteil im Bundestag nur rund 34 Prozent, im Berliner | |
| Abgeordnetenhaus sieht es mit 35,4 Prozent nicht viel besser aus. | |
| Zwar plant die rot-grün-rote Landesregierung erneut, ein Paritätsgesetz auf | |
| den Weg zu bringen, das die Teilhabe von Frauen im männerdominierten | |
| Politikbereich per Quote verbessern soll. Doch ob das Vorhaben in dieser | |
| Legislatur bessere Chancen hat als in der vergangenen, ist fraglich, | |
| Regierende BürgermeisterIN hin oder her. Denn allein Frauen in | |
| Führungspositionen ziehen nicht automatisch progressive Veränderungen nach | |
| sich. Das haben 16 Jahre Angela Merkel ebenso gezeigt wie die aktuellen | |
| [3][de facto Kürzungen für feministische Projekte in Berlin] unter | |
| Franziska Giffey. | |
| ## Frauen arbeiten am Limit | |
| Die politisch und ökonomisch Verantwortlichen – egal welchen Geschlechts – | |
| wären gut beraten, den Forderungen der zehntausend FLINTA, die am | |
| Frauen*kampftag allein in Berlin demonstriert haben, mindestens ebenso | |
| viel Gehör zu schenken, wie den paar vermeintlich besorgten Bürger*innen | |
| oder Schwurbler*innen, die uns allwöchentlich die Montage versauen. Die | |
| Pandemie hat deutlicher denn je gezeigt, dass es die Frauen sind, die die | |
| Gesellschaft unter prekärsten Bedingungen am Laufen halten. | |
| Ob in der Kita, im Krankenhaus, im Altersheim oder der Assistenz: Care | |
| Arbeiterinnen fehlt es an Personal, Zeit, Geld, Material und geeigneten | |
| Räumen. Auch sind Kindererziehung, emotionale Fürsorge von Freund*innen | |
| und Familie, Hausarbeit oder die Pflege von Angehörigen nach wie vor | |
| überwiegend Frauensache – was sie nicht sein sollten. | |
| Dass der 8. März in Berlin seit nunmehr drei Jahren ein gesetzlicher | |
| Feiertag ist, kann nicht darüber hinweg täuschen, dass Frauen weniger | |
| verdienen, häufiger von Altersarmut betroffen sind und patriarchale Gewalt | |
| erleben müssen. Ein freier Tag ist nicht genug. Allein um den | |
| Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern auszugleichen, [4][müssten es | |
| 66 freie Tage sein]. | |
| Doch es geht um mehr als nur bessere Löhne, das haben die vielen FLINTA in | |
| Berlin am Frauen*kampftag deutlich gemacht: Es geht um ein | |
| selbstbestimmtes Leben in einer solidarischen Gesellschaft, in der Fürsorge | |
| wichtiger ist als Krieg und Gewalt. | |
| 12 Mar 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /8-Maerz-in-Berlin/!5839643 | |
| [2] /Frauentag-in-Berlin/!5836493 | |
| [3] /Zum-Frauentag-am-8-Maerz-in-Berlin/!5839232 | |
| [4] https://www.berlin.de/sen/wgpg/service/presse/2022/pressemitteilung.1183243… | |
| ## AUTOREN | |
| Marie Frank | |
| ## TAGS | |
| Frauenkampftag | |
| Feminismus | |
| Gleichberechtigung | |
| Care-Arbeit | |
| Frauenbewegung | |
| Kolumne Nachsitzen | |
| Paritätsgesetz | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Frauenkampf in Berlin: Im Stadtbild unsichtbar | |
| Über 100 Exkursionen bietet ein Netzwerk von Forscherinnen zur Geschichte | |
| der Frauenbewegung an. Die taz war mit auf Tour. | |
| Über Verantwortung und Alter: Ausreden für das Patriarchat | |
| Mädchen seien Jungs um mindestens zwei Jahre voraus – heißt es. Auf diese | |
| pauschale Aussage stützt sich unsere Gesellschaft – und das Patriarchat. | |
| Frauenquote in der Berliner Politik: Giffey allein reicht nicht aus | |
| Frauen haben weiterhin deutlich schlechtere Chancen in der Landespolitik | |
| als Männer, so eine Studie. Sie fordert ein Paritätsgesetz. |