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# taz.de -- Über Verantwortung und Alter: Ausreden für das Patriarchat
> Mädchen seien Jungs um mindestens zwei Jahre voraus – heißt es. Auf diese
> pauschale Aussage stützt sich unsere Gesellschaft – und das Patriarchat.
Bild: Oftmals hinterfragt man als Schüler*in nicht, was Lehrende von sich geben
„Mädchen sind Jungs um mindestens zwei Jahre voraus.“ Ich weiß nicht mehr,
in welcher Situation unser damaliger Lehrer diesen Satz zu uns gesagt hat,
ich weiß nur, dass es nicht darum ging, uns Mädchen ein Kompliment zu
machen, sondern das Verhalten der Burschen zu entschuldigen. Wir nahmen das
trotzdem alle als Fakt hin, so wie man oft nicht hinterfragt, was
Lehrer*innen sagen – sie werden es schon wissen. Die logische Konsequenz
daraus war, dass wir es schon mit dreizehn normal fanden, von älteren Jungs
angesprochen zu werden, die waren uns doch auf Augenhöhe – so wurde uns das
zumindest von der Pubertät an suggeriert.
Es ist gesellschaftlich völlig akzeptiert, dass Männer mit jüngeren Frauen
zusammen sind. Niemand fragt sich zum Beispiel, wieso die [1][Liebschaften
von Mats Hummels] zehn Jahre jünger sind als er, es geht bloß darum, ob die
Frauen sich untereinander bekriegen. Beim Gerichtsstreit [2][zwischen
Johnny Depp und Amber Heard] scheint das Internet mehrheitlich der Meinung
zu sein, sie hätte seine Naivität ausgenutzt. Welche Naivität? Der Mann ist
22 Jahre älter.
[3][Mädchen sind Jungen laut einer Studie] im Kleinkindalter zwar
wirklich voraus, sie können früher alleine auf die Toilette gehen und sind
in ihren sozialen Fähigkeiten weiter, aber das verläuft sich irgendwann.
Trotzdem benutzen das Männer als Rechtfertigung, um jüngeren Frauen
einzureden, sie seien „reif für ihr Alter“, was meistens heißt, sie hätt…
einfach noch keine ausgebildete Meinung und seien somit leichter zu
manipulieren.
Als ich selbst anfing, mit jungen Menschen zu arbeiten, begann ich zu
verstehen, wie gefährlich dieses Konzept ist und dass es oft auch
Machtmissbrauch begünstigt. Mädchen wird eingeredet, dass sie „weiter“
sind, um ihre angebliche Reife für die Aufrechterhaltung des Patriarchats
zu benutzen. Entweder indem ihnen Sorgearbeit aufgebürdet wird, weil Jungen
ja nicht so weit wären, diese anspruchsvolle Arbeit zu übernehmen, oder
indem ein ungleiches Machtverhältnis in Beziehungen mit älteren Männern
normalisiert wird.
[4][Als ich Lehramt studierte], wurden die männlichen Studierenden in einer
Lehrveranstaltung vor Schülerinnen gewarnt, die sich in sie verlieben
würden. Dabei waren es manche der gleichaltrigen Kollegen, die sich darüber
unterhielten, wie sie sich bei dem Aussehen der Mädchen aus der Oberstufe
zusammenreißen müssten. Dazu gab es keine Lehrveranstaltung. Ich habe sogar
ein Seminar für Junglehrer*innen bei einem Pädagogen besucht, der laut
Gerüchten in einer Beziehung mit seiner ehemaligen Abiturientin war.
Das ist ein Extrembeispiel und trotzdem ist es in unserer Gesellschaft
schon so akzeptiert, dass Männer mit Frauen, selbst wenn sie eigentlich
noch Mädchen sind, Beziehungen eingehen, dass wir oft gar glauben, es seien
Frauen, die ältere Männer wollen, und nicht die Männer, die junge Frauen
suchen. Wir müssen endlich aufhören, Mädchen zu erzählen, sie seien reif
für ihr Alter, und Männer damit aus der Verantwortung zu nehmen.
27 Apr 2022
## LINKS
[1] https://www.zeit.de/2022/17/mats-hummels-cathy-beziehung-boulvevardpresse-c…
[2] https://www.stern.de/lifestyle/leute/johnny-depps-gewaltausbruch--amber-hea…
[3] https://www.springer.com/journal/10643/
[4] /Kritik-an-Berliner-Lehrkraeftebildung/!5827762
## AUTOREN
Melisa Erkurt
## TAGS
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