# taz.de -- Mutterschaft in sozialen Medien: Ohne jemals gegoogelt zu haben | |
> Ohne je live bei einer Geburt dabei gewesen zu sein, weiß unsere Autorin | |
> viel über Schwangerschaft, Geburt und Erziehung. Aber was tun mit dem | |
> Wissen? | |
Bild: Schwangerschaft und Geburt wird in den sozialen Medien offen verhandelt | |
Ich weiß, dass die meisten Mütter denken, dass sich alle, die keine Kinder | |
haben, nicht vorstellen können, [1][wie anstrengend Muttersein wirklich | |
ist.] Weil sie auch mal keine Kinder hatten und sich ihr heutiges Leben | |
nicht annähernd so hätten ausmalen können. Ich glaube, dass das vor Social | |
Media auch hundertprozentig der Fall war. | |
Seit es aber (werdende) Mütter gibt, die Schwangerschaft und Erziehung auf | |
Social Media teilen, intime Fragen beantworten, die Geburt mitfilmen, | |
[2][ihren Bauch] direkt nach der Entbindung zeigen, genauso wie die | |
schlaflosen Nächte, wochenlang ungewaschenes Haar und blutende Nippel – | |
haben auch kinderlose Menschen ein ganz ordentliches Bild davon, wie es | |
ist, Mutter zu sein. | |
Durch die sozialen Medien weiß ich zum Beispiel, wie teuer Baby-Equipment, | |
wie anhänglich Kinder, [3][wie ungleichberechtigt dann doch die | |
heterosexuelle Partnerschaft ist] und wie einsam sich Mütter fühlen. Ich | |
kann mir vorstellen, dass aufgrund dieser ehrlichen Abbildung von | |
Mutterschaft auf Instagram, Twitter und YouTube weniger Menschen in Zukunft | |
Kinder bekommen werden. | |
Ohne also jemals live bei einer Geburt dabei gewesen zu sein, weiß ich gar | |
nicht mal so wenig über Schwangerschaft, Geburt und Erziehung. Ich weiß, ab | |
welcher Woche ein Baby wie groß ist, weil Schwangere auf Instagram ihre | |
Ultraschallbilder neben Früchten posten, die die Größe ihres Babys haben. | |
Ich weiß, wann Schwangere einen Zuckertest machen müssen. Ich weiß von den | |
Dehnungsstreifen und aufploppenden Bauchnabeln, davon, wie oft man aufs Klo | |
muss und wie geschwollen die Füße sind. | |
## Von Dammrissen und Trotzphasen | |
Ich weiß, dass Geburten tagelang unter schlimmsten Schmerzen im Krankenhaus | |
verlaufen können, von Notkaiserschnitten, Dammrissen, Nachwehen, Kot. Von | |
zahnenden Babys und dem Trotzphasen-Horror und davon, wie überfordernd und | |
unvereinbar das Leben als Mutter ist. Das alles weiß ich allein durch | |
[4][Social Media], ohne es jemals gegoogelt zu haben. | |
Seit einigen Jahren werden mir solche Videos und Profile automatisch in | |
meinem Feed angezeigt. Ich habe zig Schwangerschaften von fremden Personen | |
im Internet miterlebt, die Kinder sind mittlerweile schon schulpflichtig. | |
Mein gleichaltriges männliches Umfeld bekommt das alles nicht angezeigt und | |
weiß nicht ansatzweise so viel. So fängt das Ungleichgewicht bei | |
zukünftigen Eltern schon an. | |
Viele Mütter reden so offen auf Social Media, weil sie selbst vorher gern | |
gewusst hätten, wie es wirklich ist, ein Kind zu haben. Ich bin mir aktuell | |
noch nicht ganz sicher, ob ich das alles gern weiß, was ich jetzt weiß. Das | |
soll auf keinen Fall urteilend klingen, wenn es etwas gibt, was Mütter | |
nicht brauchen, dann noch eine weitere Person, die sie verurteilt. Ich weiß | |
nur nicht, wie ich etwas ändern oder mich gegebenenfalls vorbereiten | |
sollte. | |
Worüber ich aber seit Social Media schon öfter nachdenke: Warum ergreift | |
niemand wirklich Partei für Mütter? Als würde uns das alles nicht | |
betreffen. Und wenn es uns dann doch irgendwann vielleicht persönlich | |
betrifft, bleiben neben all der Überforderung keine Kapazitäten, sich auch | |
noch politisch zu engagieren. | |
7 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Melisa Erkurt | |
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