Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Über das Elternwerden: Auf einmal im Paralleluniversum
> Auf vieles ist man als Eltern nicht vorbereitet. Dazu gehören auch
> Werbung für Schmuck aus Muttermilch und Globuli aus Plazenta.
Bild: Auch schon eher speziell: den ersten Milchzahn aufbewahren
Als ich Mutter wurde, hatte ich das Gefühl, einem Geheimbund beigetreten zu
sein. Einem Geheimbund aus Leuten, die sich auf der Straße anerkennend
zunicken. Oder mitleidig, das ist oft nicht so klar. Dass Eltern sich
gegenseitig anders behandeln als den Rest der Welt, fiel vor einiger Zeit
auch der Patentante unseres Kleinsten auf. Sie kam von einem Spaziergang
mit dem Vater und den Kindern und bemerkte, dass fremde Eltern sie
plötzlich anlächelten. Vermutlich, weil sie sie für die Mutter hielten.
Elternwerden ist wie eines Tages in einem Paralleluniversum aufzuwachen.
Ich weiß noch, dass ein sich wiederholender Gedanke in den ersten Monaten
war: „Krass! Das tut ihr also die ganze Zeit?! Wieso hat mir das keiner
erzählt?“ Ich weiß bis heute nicht, ob mir vorher wirklich niemand erzählt
hat, wie anstrengend, undankbar, zermürbend und ungerecht es sein kann,
Kinder zu haben. Oder ob ich einfach nicht richtig zugehört habe.
Eine andere Sache, auf die ich wirklich nicht vorbereitet war, ist, dass
einem Onlineanzeigen eingeblendet werden für Amulette aus Muttermilch und
Kinderhaaren. Die Muttermilchschmuck-Community – ein Paralleluniversum im
Paralleluniversum. Ich habe lange überlegt, woran es liegt, dass ich das so
abstoßend finde. Und ich weiß es nicht so recht. Meine Oma hatte früher
eine kleine Holzdose, in der sie den ersten Zahn, der mir ausgefallen war,
aufbewahrte. Das war üblich. Irgendwie ist aber auch das schon – sagen wir
– speziell, oder? Aber ist Muttermilch-Kinderhaar-Schmuck wirklich so
abstoßend? Oder anders: Ist das abstoßender, als sich Echthaarextensions an
den Kopf zu clippen?
Nach meiner Fehlgeburt hat mich meine Hebamme gefragt, ob ich den Embryo im
Garten vergraben möchte. Ich habe damals irritiert abgelehnt. „Wieso
nicht?“, fragte sie. Wir wohnen am Stadtrand. Ich sagte, dass für mich der
Akt des Vergrabens nicht unbedingt nach einer schmerzlösenden Beschäftigung
klingt und ich die Vorstellung nicht ertrage, dass nachts ein Fuchs, ein
Waschbär oder ein Wildschwein die Überreste des Embryos ausbuddelt, frisst
oder bei den Nachbarn auf den penibel gepflegten Rasen drapiert.
Es gibt durchaus Eltern, die nach der Geburt die [1][Plazenta vergraben, zu
Globuli verarbeiten lassen oder sogar essen]. Denn ihr werden in
anthroposophischen Kreisen Heilkräfte zugesagt. Auch [2][Forscher*innen
sind fasziniert von dem Organ]. Doch bei dem Gedanken, eine Plazenta zu
essen, schüttelt es mich. Auch viele [3][Expert*innen raten ab]. Denn
rund 40 Schwangerschaftswochen lang fungiert die Plazenta in der Regel auch
als Schadstofffilter, sie besteht aus [4][mütterlichem und kindlichem
Gewebe]. Klingt nicht nach einem akzeptablen Snack. Dann lieber vergraben.
Vielleicht ist es nur menschlich, durch so eine Prozedur ein Gefühl
konservieren zu wollen. Ein Gefühl aus einem Paralleluniversum. Es geht
aber auch ohne.
10 May 2022
## LINKS
[1] https://www.hebammenblog.de/plazenta-braeuche-rund-um-den-mutterkuchen/
[2] https://www.derstandard.de/story/2000082452049/forscher-wir-machen-sehr-vie…
[3] https://www.derstandard.de/story/2000065866811/plazenta-essen-experten-warn…
[4] https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-272016/das-unerforschte-orga…
## AUTOREN
Saskia Hödl
## TAGS
Kolumne Kinderspiel
Eltern
Mutterschaft
Frühchen
Erziehung
Kolumne Nachsitzen
Kolumne Kinderspiel
Kolumne Kinderspiel
Familie
Kolumne Kinderspiel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Muttermilch für Frühgeborene: Früh übt sich
Ein Forschungprojekt untersucht, wie alle Frühchen unter 1.500 Gramm Zugang
zu Muttermilch bekommen könnten – zum Beispiel mithilfe von Milchspenden.
Gefühlsausbrüche bei Kindern: Schreien, lachen, weinen
In der Öffentlichkeit benehmen sich Kinder oft so, wie Eltern es gerade
nicht gern hätten. Gut so. Kinder sollten ihre Gefühle zeigen dürfen.
Mutterschaft in sozialen Medien: Ohne jemals gegoogelt zu haben
Ohne je live bei einer Geburt dabei gewesen zu sein, weiß unsere Autorin
viel über Schwangerschaft, Geburt und Erziehung. Aber was tun mit dem
Wissen?
Ernährung von Babys: Die beste Alternative
In den USA wird wegen Verunreinigungen die Babynahrung knapp. Warum nicht
einfach stillen? Weil es weder „gratis“ noch „stets verfügbar“ ist.
Postpartaler Körperkult: Guter Bauch, schlechter Bauch
Noch wird Popsängerin Rihanna dafür gefeiert, dass sie ihren Babybauch
stolz präsentiert. Das könnte sich nach der Geburt schlagartig ändern.
Wohnungssuche in Städten: Kein Platz für Familien
Der Wohnungsmarkt ist überall leer gefegt. Große Wohnungen für Familien
gibt es praktisch gar nicht. Große Ansprüche gibt es dafür kaum.
Reden über Krieg: Wie viel Realität vertragen Kinder?
Antisemitismus, Rassismus oder Krieg: Es ist ein Privileg, wenn sich Kinder
nicht mit schwierigen Themen befassen müssen, die für andere Alltag sind.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.