# taz.de -- Streit in der AfD: Die Spaltung der Spalter | |
> Die AfD droht sich zu spalten. Nicht wegen ihrer Haltung zum | |
> Rechtsextremismus, sondern in der Kapitalismusfrage. | |
Bild: Wer kämpft um was? Die AfD-Politiker Jörg Meuthen, Andreas Kalbitz und … | |
Björn Höcke spricht von „Verrat“, Tino Chrupalla von einer | |
„Selbstzerfleischung“, Alexander Gauland von einem „Machtkampf“ – und | |
Andreas Kalbitz sieht sich selbst als „Bauernopfer“. Der | |
[1][Parteiausschluss von Kalbitz] bringt die Partei AfD bis kurz vor die | |
Spaltung. | |
Anders als oft dargestellt geht es in diesem Konflikt nicht nur um Posten | |
oder gar um eine [2][Abgrenzung zum Rechtsextremismus]. Vielmehr erleben | |
wir einen ideologischen Kampf zwischen der marktradikalen und der | |
völkischen Spielvariante des Nationalismus. Es geht, wie Dimitrious | |
Kisoudis, Mitarbeiter von Martin Hess (AfD), es sagte, um die Entscheidung | |
zwischen autoritärem Liberalismus und nationalem Sozialismus (!). | |
Bisher wurde die AfD noch durch einen geteilten Sozialdarwinismus | |
zusammengehalten: Man konnte gemeinsam gegen Ausländer:innen, | |
Leistungsempfänger:innen und Linke hetzen, weil es egal war, ob diese | |
Menschen nun als Ballast für die Wettbewerbsfähigkeit oder als „Wucherungen | |
am deutschen Volkskörper“ (André Poggenburg, aus der AfD ausgetreten) | |
galten. Nun scheint aber jener Konflikt ausgebrochen zu sein, der schon | |
seit Bernd Luckes frankensteinischer Verbindung aus Marktradikalismus und | |
Nationalismus schwelt. | |
Damals fühlte man sich dem Ordoliberalismus verpflichtet, also dem Glauben | |
an die Fehlerlosigkeit des Marktes – wenn er nur vom Staat beschützt wird. | |
In dieser Vorstellung erzeugt der Kapitalismus selbst keine | |
Ungerechtigkeiten. Vielmehr bildet er ab, was bereits vorher bestand; | |
Märkte trennen also die Starken von den Schwachen, sie sind vergleichbar | |
mit einem Sortierverfahren, durch das sich die objektiven (nationalen) | |
Überlegenheiten herauskristallisieren – die Ungleichheit existiert also | |
nicht durch, sondern vor dem Kapitalismus. | |
## Marktwirtschaftlich begründete Stereotype | |
Es war dieses Denken, das die AfDler in der Eurokrise dazu führte, die | |
ökonomischen Unterschiede in der Eurozone nicht etwa auf die in ihr | |
vorherrschenden Machtverhältnisse zurückzuführen, sondern auf die | |
unterschiedlichen „nationalen Mentalitäten“ (Hans-Olaf Henkel, | |
AfD-Gründungsmitglied) der Länder selbst. Die Folgen waren hässliche | |
Stereotype und ein Nationalismus, der die ökonomische Stärke Deutschlands | |
auf eine angeblich objektive, weil marktwirtschaftlich bestätigte, deutsche | |
Überlegenheit zurückführte – man denke etwa an Henkels Bemerkung, | |
Einwanderung aus Osteuropa würde einen „sozialen Bodensatz“ erzeugen. Immer | |
wieder lautete die implizite Behauptung, die Ost- und Südeuropäer seien nun | |
einmal fauler, langsamer und insgesamt schlechter als die Deutschen. | |
Von einer solchen Rhetorik mussten sich Höcke, Kalbitz und Co. angesprochen | |
fühlen. Es ist daher müßig, wenn heute Lucke, Henkel oder Frauke Petry über | |
Rechtsextremismus klagen. Und es ist erst recht unerheblich, was Jörg | |
Meuthen zu dem Thema sagt, der sich jahrelang hinter den radikalen „Flügel“ | |
stellte, der Chemnitzer Menschenjagden „nur zu nachvollziehbar“ nannte und | |
den rechtsterroristischen Hintergrund des Hanauer Attentats auch dann noch | |
leugnete, als keiner mehr daran zweifeln konnte. Es waren Menschen wie | |
Meuthen, die Höcke und Kalbitz möglich gemacht haben – und zwar mit Kalkül. | |
Wir dürfen [3][Meuthens Frontalangriff] gegen den „Flügel“ deshalb nicht | |
als Abgrenzung zum Rechtsextremismus verstehen, sondern als eine vehemente | |
Verteidigung der marktradikalen Parteigrundsätze. | |
Schon Goethe wusste, dass gerufene Geister schnell ein Eigenleben | |
entwickeln. Und so hat sich im Schoße des Marktradikalismus ein anderer | |
Nationalismus gebildet, der plötzlich nicht mehr die Wettbewerbsfähigkeit, | |
sondern die vermeintliche Idylle der völkischen Gemeinschaft postuliert. | |
Das in dieser Vorstellung romantisierte und mystifizierte Volk steht aber | |
im drastischen Widerspruch zur neoliberalen Konkurrenzrealität. Und so kann | |
plötzlich einem Höcke zugehört werden, der von der „Auflösung der | |
Solidargemeinschaft“ durch „vollständige Ökonomisierung“ spricht – ein | |
untolerierbarer Affront gegen den marktradikalen Konsens in der Partei. | |
Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die rechte „Kapitalismuskritik“ | |
allerdings als reiner Eskapismus, also als Flucht der selbsternannten | |
Romantiker in die biedermeierliche Illusion einer heilen Heimat. Statt die | |
kapitalistischen Ungerechtigkeiten anzugehen, wird versucht, ein völlig | |
homogenes und konfliktfreies Volk zu erzwingen. Kapital und Arbeit müssen | |
deshalb einer über alles stehenden völkischen Einheit untergeordnet werden | |
– die sich praktisch nur in einem von den Extremisten selbst ausgehenden | |
„Nationalbefehl“ zeigen können wird. | |
Doch auch der Klassenkampf wird nicht einfach so verschwinden. Deshalb | |
versucht die völkische Ideologie, die aus dem Kapitalismus hervorgehenden | |
Antagonismen einfach auf Geflüchtete und Migrant:innen abzuladen. | |
Folgerichtig sieht Höcke im Neoliberalismus auch primär ein | |
„Migrationsdogma“. Er will den Sozialstaat retten, indem die Rente ans | |
Deutschsein gekoppelt wird. Und folgerichtig tritt die soziale Frage am | |
Ende auch hinter sein „großangelegtes Remigrationsprojekt“ zurück, bei | |
dessen Durchführung er eine „Politik der wohltemperierten Grausamkeit“ | |
fordert – erneut wird der Utopie also eine Säuberung vorausgesetzt. | |
Diesem rechtsextremistischen Wunschdenken mit totalitären Folgen kann die | |
politische Linke (anders als die bürgerliche Mitte) tatsächlich etwas | |
entgegensetzen – den politischen Kampf und die bewährte Kapitalismuskritik, | |
welche die wahren Ursachen für empfundene Machtlosigkeit, Abstiegsängste | |
und Fremdenhass aufzuzeigen vermag. In diesem Sinne gilt, angelehnt an | |
Walter Benjamin, dass jeder Erfolg der Rechten tatsächlich auf einem | |
Versagen der Linken beruht, eine echte Alternative zu formulieren, welche | |
die sozialen Folgen des Kapitalismus in emanzipative Energie transformiert. | |
17 Jun 2020 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Timm Kuehn | |
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