| # taz.de -- AfD-Rechtsextremist Kalbitz gewinnt vor Gericht: Nur ein Etappensieg | |
| > Andreas Kalbitz bleibt vorerst in der AfD, für Parteichef Jörg Meuthen | |
| > ist das eine derbe Schlappe. Das letzte Wort wird das | |
| > Parteischiedsgericht haben. | |
| Bild: Ab Montag wird er wieder bei der Telefonkonferenz des AfD-Bundesvorstands… | |
| BERLIN taz | Die Reaktion kam umgehend. Nur kurze Zeit, nachdem das | |
| Berliner Landgericht [1][am Freitagnachmittag] den Ausschluss von Andreas | |
| Kalbitz durch den AfD-Bundesvorstand für unzulässig erklärt hatte, postete | |
| Björn Höcke ein Foto von Kalbitz und sich. „Willkommen zurück!“ steht | |
| darunter. Und nach viel Lob über Kalbitz, der gemeinsam mit Höcke an der | |
| Spitze des offiziell aufgelösten, aber weiter aktiven „Flügels“ steht, | |
| folgt umgehend der Angriff auf Parteichef Jörg Meuthen. | |
| „Zum dritten Mal in unserer sehr jungen Parteigeschichte will einer unserer | |
| Bundessprecher Teile der Partei mundtot machen oder sogar aus der Partei | |
| drängen“, schreibt Höcke. Meuthen rede nicht nur von Spaltung, er wolle die | |
| AfD auch gegen den Willen der Mehrheit spalten. „Das muss ein Ende haben.“ | |
| Der „Flügel“, den das Bundesamt für Verfassungsschutz jüngst als | |
| rechtsextrem eingestuft hat, fühlt sich durch die Entscheidung des Berliner | |
| Landgerichts gestärkt – und das ist er zuerst einmal auch. Für Meuthen | |
| bedeutet die Entscheidung des Gerichts eine derbe Schlappe. Aber Kalbitz, | |
| Höcke und Co. haben die Schlacht um die Macht in der AfD noch keineswegs | |
| gewonnen. Die gerichtliche Entscheidung ist nur ein Etappensieg. | |
| Das Berliner Landsgericht hat Kalbitz' Antrag auf eine einstweilige | |
| Verfügung positiv beschieden. Bis zum Ende des Hauptverfahrens, in dem | |
| Kalbitz gegen die Annulierung seiner Mitgliedschaft durch den | |
| Bundesvorstand klagt, ist der Rechtsextremist wieder Mitglied der AfD, auch | |
| seine Parteiämter in Brandenburg und im Bund kann er wieder ausüben. Am | |
| Montag wird der 47-jährige Glatzkopf bei der wöchentlichen Telefonkonferenz | |
| des Bundesvorstands wohl wieder dabei sein. | |
| Die eigentliche Entscheidung aber steht noch aus, inhaltlich hat sich das | |
| Landgericht dazu auch nicht geäußert. Das Schiedsgericht der Partei muss | |
| diese nun fällen. Denn das Landgericht hat auch geurteilt, dass der | |
| Bundesvorstand das Parteigericht bei einem Entzug der Mitgliedschaft nicht | |
| einfach umgehen kann – genau das haben Meuthen und seine MitstreiterInnen | |
| aber getan. Wie die Entscheidung des AfD-Schiedsgerichts ausgehen wird, ist | |
| offen. | |
| ## Auch Kalbitz-Gegner hatten Zweifel an Meuthens Vorgehen | |
| Für Meuthen aber wird es jetzt schwer. Er hatte vor fünf Wochen erst im | |
| Bundesvorstand den Antrag zur Annulierung von Kalbitz' Mitgliedschaft | |
| gestellt, diesen – unterstützt unter anderem von Parteivize Beatrix von | |
| Storch – dann mit knapper Mehrheit durchgesetzt und seitdem stets | |
| behauptet, [2][dass das Vorgehen juristisch wasserdicht sei]. Was das | |
| Berliner Landgericht am Freitag widerlegt hat. | |
| Die juristisch wackelige Konstruktion hatte parteiintern dazu geführt, dass | |
| auch Kalbitz-Gegner Zweifel an dem Vorgehen ihres Parteichefs hatten. Nur | |
| wenige haben ihn offen unterstützt, was allerdings auch am in der AfD recht | |
| weit verbreitenden Opportunismus und dem Einfluss des „Flügels“ liegen | |
| dürfte. Mit der Entscheidung des Landgerichts ist aber auch ein | |
| strategisches Kalkül von Meuthen nicht aufgegangen: dass Kalbitz, wenn er | |
| über einen längeren Zeitraum kein Parteimitglied mehr ist, an Einfluss | |
| verlieren werde. | |
| Meuthens Gegner an der Parteispitze, zu denen neben seinem Co-Sprecher Tino | |
| Chrupalla und Bundesvize Stephan Brandner auch die beiden Vorsitzenden der | |
| Bundestagsfraktion, Alexander Gauland und Alice Weidel zählen, haben | |
| unterdessen schon vor der Entscheidung klar gemacht, dass den | |
| Verantwortlichen bei einer juristischen Niederlage Ungemach droht. Am | |
| Freitag konnte oder wollte Chrupalla noch nicht einmal mehr die Form | |
| wahren. Vom ZDF befragt, ob Meuthen nun zurücktreten müsse, sagte Chrupalla | |
| nur: „Dazu sage ich nichts.“ | |
| Gauland dagegen ließ mitteilen: „Ich kann daher jetzt nur an die knappe | |
| Mehrheit im Bundesvorstand appellieren, sich zu überlegen, ob sie den Weg | |
| der juristischen Auseinandersetzung weiterführen will, da diese | |
| offensichtlich zu Kollateralschäden in Partei und Bundestagsfraktion | |
| führt.“ Den in die eigenen Reihen zurückgekehrten Kalbitz zu begrüßen und | |
| einfach weiterzumachen wie zuvor, das ist bei der tiefen Spaltung der | |
| Parteispitze keine wirkliche Option. Und Gauland dürfte das auch wissen. | |
| Für Meuthen rächt sich nun, dass Kalbitz' Rauswurf rein formal begründet | |
| worden ist – und nicht auch damit, dass Kalbitz ein Rechtsextremist ist. | |
| Damit hat er nicht nur seinen UnterstützerInnen, sondern auch seinen | |
| GegnerInnen die Möglichkeit gegeben, sich vor der eigentlich entscheidenden | |
| Frage zu drücken: Ob nämlich ein Rechtsextremist wie Kalbitz, in dessen | |
| Lebenslauf sich eine einschlägige Organisation an die nächste reiht, von | |
| denen die inzwischen verbotene Neonazi-Organisation Heimattreue Deutsche | |
| Jugend (HDJ) nur die dem Nationalsozialismus am nächsten ist – ob ein | |
| solcher Mann also AfD-Mitglied sein kann. Dies positiv zu beantworten | |
| dürfte unter anderem für Weidel deutlich schwerer gewesen sein, als sich | |
| auf die Position zurückzuziehen, dass das eingeschlagene Verfahren nicht | |
| ausreichend geprüft worden sei. | |
| Meuthen hatte seinen Antrag damit begründet, dass Kalbitz bei seinem | |
| Parteieintritt frühere Mitgliedschaften bei den Republikanern und der HDJ, | |
| die er laut Satzung hätte angeben müssen, verschwiegen hat. Während Kalbitz | |
| vor einigen Jahren einräumte, dass er bei den Reps mitgemischt hat, | |
| bestreitet er eine Mitgliedschaft bei der HDJ weiter, bei Gericht hat er | |
| dazu sogar eine entsprechende eidesstattliche Erklärung eingereicht. | |
| ## Ein Neonazi entlastet Kalbitz | |
| Vorgelegt hat Kalbitz' Anwalt auch ein zweites Dokument dieser Art, | |
| unterzeichnet von einem militanten Neonazi, der vorbestraft ist: Sebastian | |
| Räbiger, dem ehemaligen Chef der HDJ. Der bestätigt darin, wie die Zeit | |
| zuerst berichtet hat, dass in den Dateien der HDJ nicht zwischen | |
| Interessenten, Anwärtern und Mitgliedern unterschieden worden sei. Soll | |
| heißen: Die dem Bundesamt für Verfassungsschutz nach eigenem Bekunden | |
| vorliegende Mitgliedsnummer für die „Familie Andreas Kalbitz“ belege nicht, | |
| dass Kalbitz wirklich Mitglied in der HDJ gewesen sei. Das Gegenteil | |
| allerdings beweist es auch nicht. Und es zeigt: Kalbitz' Kontakte zum | |
| Ex-Chef der HDJ sind noch immer so gut, dass er diesen als eine Art | |
| Kronzeugen anführen kann. | |
| Meuthen seinerseits versuchte am Freitag Abend noch den Eindruck zu | |
| erwecken, er warte gelassen auf die Entscheidung des Schiedsgerichts. An | |
| diesem Samstag aber, wenn der Konvent, eine Art kleiner Parteitag der AfD, | |
| nicht-öffentlich tagt, könnte es für Meuthen bereits ungemütlich werden. | |
| Mitglieder aus Niedersachsen wollen einen Beschluss, dass die von Meuthen | |
| angezettelte Diskussion [3][über eine Spaltung zweier Parteiflügel] | |
| „parteischädigend und zersetzend“ gewesen sei. Wenn Meuthen die Partei | |
| nicht einen könne, müssten persönliche Konsequenzen folgen. Und Thüringer | |
| Konvent-Mitglieder wollen über den Stand der Dinge im Rechtsstreit um | |
| Meuthens Spendenaffäre beraten – und damit an einem anderen wunden Punkt | |
| des Parteichefs ansetzen. | |
| Ob Meuthen den Streit um Kalbitz politisch überlebt, ist also mehr als | |
| ungewiss. Doch noch immer besteht eine Chance, dass das Schiedsgericht | |
| seinem Antrag folgt, Kalbitz die Partei verlassen muss und der Flügel | |
| seinen einflussreichsten Strippenzieher verliert. Und diese Möglichkeit | |
| würde es ohne Meuthens gewagten Schachzugs gar nicht geben. Für ein | |
| klassisches Parteiauschlussverfahren gegen Kalbitz, das zudem langwierig | |
| und unwägbar ist, hätte es im Bundesvorstand nämlich einer | |
| Zweidrittelmehrheit bedurft. Die aber gab es nicht. Meuthen hat also alles | |
| auf eine Karte gesetzt. Und könnte alles verlieren. | |
| 20 Jun 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sabine am Orde | |
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