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# taz.de -- Politikwissenschaftler über die AfD: „Ignorieren geht nicht mehr…
> Die AfD will mit dem „Marsch durch die Organisationen“ ihre Basis
> verbreitern. Wolfgang Schroeder erforscht, wie erfolgreich die Rechten
> dabei sind.
Bild: Im Visier der AfD: Arbeiter stoppen Björn Höcke beim Versuch, einen Str…
taz: Herr Schroeder, die AfD hat im vergangenen Jahr den „Marsch durch die
Organisationen“ zum strategischen Ziel erklärt. Sie haben gerade [1][eine
Untersuchung durchgeführt], wie groß der Einfluss der Neuen Rechten bereits
auf beispielsweise Gewerkschaften, Kirchen oder Sportvereine ist. Wie ist
die Lage?
Wolfgang Schroeder: Die Akteure der Neuen Rechten haben begriffen, dass
sie, wenn sie sich nachhaltig im Parteiensystem verankern und an der
kulturellen Hegemonie arbeiten wollen, rein in diese Organisationen müssen;
und dazu gehören auch Wohlfahrtsverbände und Kultureinrichtungen. Aber
sie stehen noch am Anfang.
Also kein Grund zur Sorge?
Das wäre falsch. Eine rechte Landnahme hat bislang nicht stattgefunden,
aber sie haben deutliche Signale gesetzt. Sie diffamieren zum Beispiel
Gewerkschaften als „Arbeiterverräter“ oder Wohlfahrtsverbände als Teil der
„Asylindustrie“ und schließen damit an vorhandene Konflikte in den
Organisationen an. Manche werden dadurch erst sichtbar, viele verschärft.
An den Reaktionen der Organisationen können wir sehen, dass die rechten
Interventionen wirken: Die Akteure der organisierten Zivilgesellschaft sind
verunsichert. Denn ignorieren oder vollständig ausgrenzen geht nicht mehr.
Dafür ist das Phänomen zu groß – in Reichweite und Intensität.
Das ist sehr abstrakt. Geben Sie mal ein Beispiel?
Zum Beispiel sehen wir im Bereich der Automobilindustrie, dass durch
Verkehrs- und Energiewende weitreichende Veränderungen im Gange sind. Die
Leute, die dort arbeiten, sind verunsichert, sie sorgen sich um ihre
Arbeitsplätze, um ihre Zukunft.
Nehmen wir dann die Auseinandersetzung um den Diesel. Viele Beschäftigte
verstehen nicht, warum man auf neue Technologien setzt, die weniger
Beschäftigung bedeuten. An diesen Fragen und Verunsicherungen setzen die
Rechten an. Das zeigt auch, dass es nicht nur um Ideologie geht, sondern um
reale Widersprüche. Hinzu kommt natürlich die Frage des Establishments.
Heißt was?
Es geht aus Sicht eines Teils der Beschäftigten um die Frage, ob es denen,
die sie angeblich vertreten, auch wirklich um ihre Interessen geht.
Dahinter steht die Frage, ob die, die als Repräsentanten auftreten, auch
wirklich als authentische Interessenvertreter akzeptiert sind. Und das sind
sie bei einem Teil eben nicht.
Weil ein großer Teil der Gewerkschaftsführung inzwischen aus Akademikern
besteht?
Auch das, schließlich geht es um Repräsentation. Die Gewerkschaften müssten
also nach Funktionären mit umfassender Integrationsfähigkeit suchen, die
auch Brücken zu Personen mit alternativen Einstellungen und realen Sorgen
schlagen. Es sei denn, man kommt zu dem Ergebnis, dass dieser Teil der
Beschäftigten und ihre Werte ohnehin nicht vereinbar mit dem eigenen
Selbstverständnis sind.
Besteht denn Einigkeit darüber, was das genau ist?
Das ist Teil des Problems. Die Gewerkschaften müssten ihre eigenen Ziele
und Strategien klarer formulieren. Das geht aber nur, wenn man sie auch
präsent hat. Wer seinen eigenen Weg nicht kennt, ist angreifbar. Bei den
Verhandlungen um das Konjunkturpaket ist zum Beispiel der Eindruck
entstanden, dass [2][die IG Metall] unsicher ist, wie sie sich in diesem
Spannungsfeld zwischen Transformation und Beharrung positioniert.
Es ist schwierig, dabei alle Interessenlagen zu berücksichtigen. Aber man
muss ein Konzept für die Gewinner und für die sogenannten Verlierer von
Veränderungsprozessen anbieten können. Und da gibt es Erklärungs- und
Integrationsdefizite. Das hat eine strategische Seite, aber auch eine
kulturelle, die man eben nicht vernachlässigen darf. Die Frage ist, ob die
Anknüpfungsfähigkeit an die mittleren und unteren Arbeitergruppen noch
ausreicht.
Und das bezweifeln Sie?
In weiten Teilen reicht sie noch – und 20 Prozent weichen vielleicht immer
ab. Aber wenn die Artikulation dieser Minderheit dazu führt, dass die
Mehrheitsposition verunsichert ist, ist diese vielleicht nicht mehr
ausreichend überzeugend. Dies zu ignorieren ist nicht mehr möglich, aber
eine adäquate Auseinandersetzung mit den anderen Positionen ist auch noch
nicht gefunden. Auf jeden Fall greifen dabei kulturelle, institutionelle
und politisch-programmatische Fragen ineinander.
Spitzt die Forderung, Organisationen wie die IG Metall sollten sich von der
AfD klar distanzieren, dies noch zu?
Die Gewerkschaften [3][distanzieren sich sehr deutlich von der AfD,] ihren
politischen Positionen und ihren Funktionären. Die Frage ist aber, wie man
mit denen umgeht, die nicht sichtbar für die AfD aktiv sind. Würde man sie
alle sanktionieren, würde man sich in einigen Bereichen – insbesondere in
Ostdeutschland – zu sehr ins eigene Fleisch schneiden. Dort gibt es nicht
wenige, die sich der AfD verbunden fühlen und gleichzeitig in der
Betriebsratsarbeit aktiv sind.
Dann ist hier der „Marsch durch die Organisationen“ schon ziemlich
erfolgreich. Was sollten die Gewerkschaften dort vor Ort tun?
Im Umgang mit entsprechenden Positionen gibt es kein Patentrezept. Wichtig
ist, dass man den Einzelfall betrachtet, Ursachenforschung betreibt und
nach individuellen Lösungen sucht. Wohl wissend, dass der Einzelfall
bedeutet, dass dahinter eine grundlegend neue Konfliktstruktur steht, die
auch ökonomische Konflikte zuweilen kulturell überformt.
Dabei gilt es, eigene Positionen und Werte zu markieren und Differenzen
aufzuzeigen. Wichtig ist, dass man die Gesprächskanäle offenhält. Zugleich
sollte man sich auch verstärkt und systematisch um präventive Maßnahmen
kümmern.
Nehmen wir noch mal einen anderen Bereich: Wie sieht es im Sport aus?
Die Beispiele [4][in Chemnitz] oder Cottbus zeigen, dass innerhalb der
Fanszene durchaus Einfallstore für rechtes und rechtsextremes Gedankengut
vorhanden sind. Und dann gibt es einzelne Vereine, in denen Personen mit
rechten Einstellungen sogar eine zentrale Rolle spielen. Oder dass Vereine
sich durch das Tragen entsprechender Symbole ausweisen.
Zugleich haben wir beobachtet, dass die dafür zuständigen Sportverbände,
die damit konfrontiert werden, keine Antwort geben und mit dem „richtigen“
Umgang hadern. Denn auch dort gibt es die Angst, was treten wir los, wenn
wir offensiver gegen rechts vorgehen. Ist es nicht vielleicht so, dass ein
Teil der Ehrenamtlichen oder der Fankulturen wegbrechen und dann außerhalb
der Organisation ihr Ding treiben.
Wichtig ist es auch hier, die selbstgewählte programmatische Orientierung
an Toleranz und Fairness zu betonen und rote Linien aufzuzeigen. Die
rechten Entwicklungen einfach nur zu beobachten und sie dann zu ignorieren
wäre ein fatales Signal.
Sind die Vereine denn auf diese Auseinandersetzung vorbereitet?
Nicht in ausreichendem Umfang, wenngleich man sich um Fanprojekte und
Präventionsmaßnahmen bemüht, die ja beispielsweise auch durch Projekte vom
Bundesfamilienministerium oder vom Bundesinnenministerium flankiert
werden. Dennoch sind weiterhin viele Ehrenamtler nicht auf die
Interventionen von rechts vorbereitet. Oft ist ihnen auch gar nicht klar,
in welche Kontexte sie da gerade eingebunden werden. Gut organisierte Leute
von rechts können da schnelle Beute machen.
Wie organisiert geht die AfD und die neurechte Szene vor?
Nicht sehr organisiert. In vielen Fällen sind es Einzelpersonen, die sich
oft auch gar nicht als Repräsentanten der AfD sehen. Oft ist das auch
zufällig. Aber wir müssen bedenken, dass es die AfD auch erst seit sieben
Jahren gibt und die Strukturen dort noch nicht sehr ausgeprägt sind.
Zugleich gibt es in ihrem Umfeld Spin-Doktoren und Narrativ-Anbieter, die
durchaus professionell agieren und sehr systematisch vorgehen. Aber
insgesamt ist das Feld noch nicht gut organisiert, sondern gleicht eher
einem Flickenteppich. Aber man muss das große Potenzial im Blick haben.
Ist das Problem also derzeit weniger das strategische Agieren der AfD,
sondern eher der desolate Zustand mancher Organisationen?
Auf jeden Fall. Wir beobachten seit etwa 20 Jahren, dass es für die
Verbände und Vereine immer schwieriger wird, überzeugte ehrenamtliche
Mitstreiter zu gewinnen, die nicht nur funktionieren, sondern die Idee der
Organisation zur eigenen Sache machen und in dieser Hinsicht als
authentische Mitstreiter nach innen und außen auftreten könnten.
Diese Erosion im Fundament ist einer der wesentlichen Resonanzböden dafür,
dass diese rechten Interventionen so viel Beachtung finden und für so viel
Unsicherheit sorgen. Sie legen die Vulnerabilität der Zivilgesellschaft
offen. Diese ist aus sich heraus zu wenig authentisch, zu wenig
repräsentativ, sie funktioniert zu wenig aus der eigenen Kraft heraus. Man
kann also sagen, es ist eine gewisse Lebenslüge der Bundesrepublik, dass
sie eine wirklich starke und insbesondere eine resiliente Zivilgesellschaft
hat. Dabei spielt die korporatistische Struktur vieler dieser
Organisationen den Rechten in die Hände.
Was meinen Sie damit?
Wenn man so will, kann man den rechten Protest ja auch so verstehen: Statt
unsere Anwälte zu sein, seid ihr die des Staates. Und ganz falsch ist das
natürlich nicht – wenn man Zivilgesellschaft als Selbstorganisation
versteht. Der rechte Protest führt derzeit dazu, dass sich die
Zivilgesellschaft auf den Prüfstand stellt. Und das ist auch notwendig und
eine zusätzliche Chance für die organisierte Zivilgesellschaft, um ihre
eigenen Grundlagen zu erneuern.
7 Jul 2020
## LINKS
[1] https://www.otto-brenner-stiftung.de/wissenschaftsportal/informationsseiten…
[2] /Nazi-Demo-Tag-der-Deutschen-Zukunft/!5690813
[3] /Mahnwache-in-Hanau/!5665402
[4] /Kampfsport-in-Neonazi-Strukturen/!5645919
## AUTOREN
Sabine am Orde
## TAGS
Schwerpunkt AfD
Zivilgesellschaft
Rechtsextremismus
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Jörg Meuthen
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