# taz.de -- Architektur und Erinnerungspolitik: Der Turmbau zu Potsdam | |
> Die Rekonstruktion der Garnisonkirche in Potsdam ist weiterhin | |
> umstritten. Kritisiert wird die starke Verbindung zur rechtsradikalen | |
> Geschichte. | |
Bild: 1930er Jahre: Breite Straße in Potsdam mit Garnisonkirche und Militärwa… | |
Der Turmsockel steht, die Betondecke ist gegossen. Das erste Etappenziel | |
der Rekonstruktion des Potsdamer Garnisonkirchturms ist längst erreicht. 17 | |
Meter hoch ist er gewachsen, entgegen aller Kritik und Proteste. Auch die | |
weltweite Coronapandemie hat daran nichts ändern können. | |
Jahrzehntelang haben Privatpersonen, Vereine, Politik und die evangelische | |
Kirche auf die Rekonstruktion dieses Werks des preußischen Barock | |
hingearbeitet. Lange sah es so aus, als würde auch noch das historische | |
Kirchenschiff komplett nachgebaut. [1][Dann stünde die Garnisonkirche | |
wieder in Potsdams Mitte, als wäre zwischen 1914 und 1945 nie etwas | |
geschehen.] Doch während der Turm immer mehr zur Tatsache wird, bleibt eine | |
darüber hinausgehende Rekonstruktion fraglich. | |
„Wir denken jetzt weniger intellektuell als früher,“ sagte der Historiker | |
Paul Nolte, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Stiftung | |
Garnisonkirche, „dafür mehr visuell.“ Und begründete einst so das | |
Bauvorhaben: „Und weil wir visuell denken, entsteht auch das Bedürfnis nach | |
Rekonstruktionsarchitektur. Wir wollen uns an die Vergangenheit erinnern, | |
aber nicht abstrakt. Sondern an authentischen Orten. Deshalb bauen wir | |
wieder auf.“ | |
## Dekoriert mit Gewehren und Schwertern | |
Im Jahr 1730 hatte der Architekt Philipp Gerlach mit dem Bau der | |
historischen Garnisonkirche begonnen. [2][Soldatenkönig Friedrich Wilhelm | |
I. hatte ihn damals beauftragt,] eine evangelische Kirche für die | |
Militärgemeinde zu errichten. Der 88 Meter hohe Turm wurde mit zahlreichen | |
Reliefbildern von Gewehren und Schwertern verkleidet. Auch die Engel im | |
Kirchenschiff trugen Soldatenhelme. Und auf der Spitze des Turms thronte | |
neben Reichsapfel, Kanone und Kreuz der preußische Adler. Auf der | |
Wetterfahne war zu lesen: „Nec soli cedit“, der Leitspruch des | |
Soldatenkönigs. „Selbst der Sonne weicht er nicht“. | |
Die Ikonografie der Architektur war unmissverständlich: Hier sollten der | |
preußische Staat, sein Militär und die reformierte Kirche eins sein. 2.800 | |
Soldaten hatten auf den Holzbänken der Kirche Platz, Rückenlehnen gab es | |
nicht. Die Krypta wurde zur Königsgruft. Nachdem der preußische | |
Soldatenkönig hier seine letzte Ruhe fand, wurde auch Sohn Friedrich II. | |
dort beerdigt. | |
Die Dresdner Frauenkirche, das Berliner Schloss oder die Potsdamer | |
Garnisonkirche – im heutigen Deutschland wird wiederaufgebaut. „Die | |
Rekonstruktionswelle, die wir gerade erleben, besteht vor allem aus Bauten, | |
die sich auf die Zeit vor 1919, also auf vor der Weimarer Republik, | |
beziehen“, stellt der Kasseler Architekturhistoriker Philipp Oswalt fest. | |
Schlösser, Kirchen und Stadtzentren – sie fungieren identitätsstiftend. | |
## Antidemokratische Trutzburg | |
Und so erleben wir derzeit, so Oswalt, „den Versuch, das deutsche | |
Selbstverständnis zurückzuverwurzeln, jenseits von 1949, dem | |
Entstehungsjahr des Grundgesetzes, oder jenseits von 1919, dem Beginn der | |
Demokratie“. Ist die Rekonstruktion der Garnisonkirche dafür ein extremes | |
Beispiel? | |
In der Weimarer Republik galt sie tatsächlich als antidemokratische | |
„Trutzburg“, sagt der Historiker Matthias Grünzig. Dort „kultivierten | |
Nationalisten, Antidemokraten und Antisemiten aller Couleur ihren Hass auf | |
die Demokratie“. Die Garnisonkirche wurde zum Sehnsuchtsort | |
antirepublikanischer und nationalistischer Kräfte. Der 21. März 1933, an | |
dem Adolf Hitler gemeinsam mit Reichspräsident Hindenburg die Eröffnung des | |
Reichstags feierte, ging als [3][Tag von Potsdam] in die Geschichte ein. | |
Der Höhepunkt des Staatsakts, der symbolische Schulterschluss von Nazis und | |
Preußentum, wurde in der Potsdamer Garnisonkirche zelebriert. Und in | |
historischen Aufnahmen festgehalten, wie Hitler Hindenburg die Hand reicht | |
und sich vor diesem verneigt. | |
Noch in der Bundesrepublik gründete Oberstleutnant a. D. Max Klaar 1984 die | |
Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel. Zunächst galt es, das | |
Garnisonglockenspiel samt seinen militaristisch-chauvinistischen | |
Aufschriften zu rekonstruieren. Die Kirche war gegen Ende des Zweiten | |
Weltkriegs schwer beschädigt worden und in der Bombennacht des 14. April | |
1945 vollständig ausgebrannt. 1968 wurde [4][die Ruine] auf Beschluss der | |
DDR-Führung gesprengt. Auf dem Grundstück entstand ab 1971 ein modernes | |
Rechenzentrum. | |
Das neue Glockenspiel wurde 1991 dann tatsächlich der Stadt Potsdam | |
übergeben und mangels Kirche auf einer Wiese installiert. [5][Die | |
Traditionsgemeinschaft] fing an, Spenden für die Rekonstruktion der | |
Garnisonkirche zu sammeln. Ihr Vorsitzender Klaar war auch Vorsitzender des | |
Verbands Deutscher Soldaten, der sich für die Amnestie und Rehabilitation | |
Angehöriger der Wehrmacht einsetzte. Bereits die Aufstellung des | |
Glockenspiels war umstritten, ist es doch mit revisionistischen Inschriften | |
versehen. Neben dem Spruch „suum cuique“ („Jedem das Seine“), der am | |
Eingang des KZ Buchenwald zu lesen ist, werden Soldatenverbände wie der | |
Kyffhäuserbund und die schlesischen Truppen geehrt. Widmungen an die | |
ehemaligen deutschen Ostgebiete wurden entfernt. | |
Klaar wurde vom Bundesverteidigungsminister schließlich als rechtsextrem | |
eingestuft. Er überwarf sich auch mit der evangelischen Landeskirche im | |
Streit über die spätere Nutzung der Rekonstruktion als Erinnerungs- und | |
Lernort. Dass Frauen in der Kirche predigen dürften oder homosexuelle Paare | |
getraut werden, lehnte er ab. „Wer eine Bußstätte zum Bekenntnis deutscher | |
Schuld errichten will, folgt mosaischer Lehre“, schrieb er. Mosaisch | |
benutzten die Nationalsozialisten als Synonym für jüdisch. | |
## Der Bund unterstützt das Projekt | |
Man entledigte sich des rechtsradikalen Oberstleutnants und stellte sich | |
2004 mit der „Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche“ | |
neu auf. Seit 2017 hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die | |
Schirmherrschaft inne. Der Bund unterstützt das Projekt mit 18 Millionen | |
Euro. Eigentlich wollte man sich auf Spenden verlassen, doch die flossen | |
nur spärlich. | |
„Für mich ist klar, dass die Rekonstruktion der Garnisonkirche extrem mit | |
rechtsradikaler Geschichte verbunden ist“, sagt Kritiker Philipp Oswalt. So | |
sehen es auch viele Potsdamer und versuchten mit der Initiative „Potsdam | |
ohne Garnisonkirche“ einen Bürgerentscheid zu erwirken. Dies scheiterte an | |
Tricks und Formalien. | |
Kaum eine andere Stadt hat sich nach 1989 so verändert wie Potsdam. Im | |
Krieg zerstörte Barockbauten wurden rekonstruiert, während DDR-Gebäude | |
systematisch abgerissen wurden. Die Rekonstruktion des Stadtschlosses wurde | |
2014 eingeweiht, möglich gemacht durch eine 20-Millionen-Euro-Spende von | |
SAP-Mitbegründer Hasso Plattner. 2016 eröffnet schräg gegenüber der | |
rekonstruierte Palast Barberini, ein Privatmuseum, das die Kunstsammlung | |
von Plattner beherbergt. | |
## Vertreter der Ostmoderne | |
Einer der letzten architektonischen Vertreter der Ostmoderne ist das | |
Rechenzentrum, direkt neben dem rekonstruierten Kirchturm. Auch dessen | |
Abriss bis 2023 ist beschlossene Sache. Steht der Bau doch auf dem Areal, | |
das für die Rekonstruktion des Kirchenschiffes vorgesehen sein soll. Auch | |
dagegen regt sich großer Protest. [6][Das Gebäude ist heute ein wichtiges | |
Zentrum der Potsdamer Kultur- und Kreativszene.] 200 Künstler*innen sind | |
mit ihren Ateliers darin heimisch geworden. | |
Die Kritiker haben auch neue Argumente. „Es gibt eine Vorentscheidung, die | |
unter dem Deckel gehalten wurde“, sagt Oswalt. 2019 hat er gemeinsam mit | |
100 Intellektuellen in einem offenen Brief Änderungen in Konzept und | |
Architektur der Garnisonkirchen-Rekonstruktion gefordert. Die | |
Landessynode der evangelischen Kirche hatte ihre Finanzierung eines | |
6-Millionen-Euro-Kredits davon abhängig gemacht, dass keine historische | |
Rekonstruktion des Kirchenschiffs erfolge. Und dies grundbuchrechtlich | |
abgesichert. | |
Die Stiftung will nun darüber hinweggehen. Dabei sei „das Nebeneinander von | |
rekonstruiertem Turm und Rechenzentrum – gerade in dieser räumlichen Enge – | |
extrem spannungsvoll“, und erzähle viel, so Oswalt. | |
So ähnlich sieht das auch Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD). | |
Er will das Rechenzentrum vor dem Abriss bewahren und ist gegen die | |
Rekonstruktion des Kirchenschiffes. Er favorisiert ein Konzept, in das auch | |
Potsdamer Gedenkstätten, Jugendbildungs- und Museumsstandorte einbezogen | |
werden, um in einem neuerlichen Architekturwettbewerb bis 2022 zu einer | |
zeitgemäßen Lösung zu gelangen. | |
Dem „teilweisen oder vollständigen Erhalt des Rechenzentrums“ muss aber | |
auch die Stiftung Garnisonkirche zustimmen. Das ganze Projekt wird | |
finanziell hauptsächlich vom Bund getragen. Und noch immer fehlen 5 | |
Millionen Euro allein für die Fertigstellung des Turms. Aber, kann eine | |
Stiftung gegen den Willen von Stadt und Landeskirche weiter an ihren alten | |
Plänen festhalten? Es scheint überfällig, dass die Stiftung den Kritikern | |
entgegenkommt. | |
9 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Marlene Militz | |
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