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# taz.de -- Garnisonkirche in Potsdam: Architekt für Brüche gefunden
> Eine Beteiligung von Daniel Libeskind könnte Bewegung in den Streit um
> einen originalgetreuen Wiederaufbau des Kirchturms in Potsdam bringen.
Bild: Stahl- und Betonbauer*innen arbeiten auf dem Sockelbau der Garnisonkirche…
POTSDAM taz | Brandenburgs Landeshauptstadt fühlt sich ja gern als etwas
Besonderes. Nicht ganz ohne Grund. Schließlich hat [1][Potsdam viel zu
bieten]: schöne Natur, prächtige Schlösser und Gärten, sündhaft teure
Villen und prominente Bewohner. Da kommt es auch zu Extravaganzen. Während
vielerorts darüber diskutiert wird, welche Symbole vergangener Epochen noch
erträglich sind und ob das eine oder andere Denkmal vielleicht demontiert
werden sollte, scheint in Potsdam das Gegenteil zu passieren: Stein für
Stein wächst mit dem [2][Turm der Garnisonkirche] mitten in der Stadt ein
Bauwerk in die Höhe, dessen Original die Allianz von preußischem
Militarismus und Nationalsozialismus verkörperte.
Doch ganz so einfach ist es nicht. Befürworter des originalgetreuen
Wiederaufbaus des umstrittenen Gotteshauses haben nämlich schwierige Wochen
hinter sich. Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) kündigte vor den
Stadtverordneten an, dass der amerikanische Stararchitekt Daniel Libeskind
sich mit seinen gestalterischen Ideen beim umstrittenen Wiederaufbau der
Garnisonkirche beteiligen möchte.
In einem gemeinsamen Schreiben unter dem Motto „Brüche zeigen, Brücken
bauen“ haben die Spitzen der Stiftung und der Fördergesellschaft für den
Wiederaufbau der Garnisonkirche den Architekten nach Potsdam eingeladen.
Nun solle mit Libeskind gemeinsam geprüft werden, „ob und inwieweit es
sinnvoll und möglich ist“, vorhandene Ideen und Nutzungen zum neuen Turm
der Garnisonkirche und des benachbarten Künstlerhauses Rechenzentrum „mit
einer verbindenden Idee für das ehemalige Kirchenschiff zu ergänzen“.
Wer Libeskinds Werk kennt, weiß, dass er Brüche durchaus wörtlich nimmt. In
Berlin war er für den Neubau des Jüdischen Museums verantwortlich. In
Dresden spaltete er die klassizistische Fassade des Militärhistorischen
Museums der Bundeswehr mit einem riesigen Stahlkeil. Würde Libeskind
tatsächlich eine führende Rolle einnehmen, wäre das wahrscheinlich das Aus
für einen originalgetreuen Wiederaufbau. Entsprechend fiel dann auch die
Reaktion von Potsdams Barock-Ultras, der Bürgerinitiative Mitteschön, aus:
Deren Sprecherin Barbara Kuster teilte zu der Libeskind-Offerte auf
Facebook mit: „Ich denke mal der Meister hat Böses mit Potsdams
Garnisonkirche vor, flankiert durch unseren OB.“ Sie erwarte eine
„Betroffenheitsarchitektur“.
## Rechenzentrum könnte erhalten bleiben
Ganz so schnell dürfte es ohnehin nicht gehen: Während die Finanzierung des
Turmbaus dank 20 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt für das „Projekt von
nationaler Bedeutung“ zumindest teilweise steht, gibt es für ein wie auch
immer konzipiertes Kirchenschiff bisher keinen Cent. Allerdings hat der
Bund bereits 750.000 Euro für eine Machbarkeitsstudie zum Aufbau des
Kirchenschiffs in Aussicht gestellt. Schirmherr ist der Bundespräsident.
In dem Konflikt um den Wiederaufbau stehen sich Befürworter und Gegner seit
vielen Jahre ebenso wortreich wie kompromisslos gegenüber. Schubert
versucht seit seinem [3][Amtsantritt 2018 neue Akzente] zu setzen. Erst
ließ er seinen Sitz im Kuratorium der Wiederaufbaustiftung frei, dann stieß
er einen neue Debatte über das gesamte Areal an und schlug als Nutzung eine
internationale Jugendbegegnungsstätte und ein Demokratiezentrum vor.
Anfang Juni beschlossen schließlich die Stadtverordneten bis zum Frühjahr
2023 „unter Wahrung der Eigentumsrechte und Nutzendeninteressen, ein
inhaltliches und gestalterisches Konzept für den Bereich bzw. die Standorte
Garnisonkirche und Rechenzentrum“ zu erarbeiten. Damit ist auch der Erhalt
des [4][von rund 200 Künstlern und Kreativen benutzten früheren
Rechenzentrum]s gleich neben dem Kirchturm eine Option. Bisher war dies
ausgeschlossen, weil das Gebäude teilweise auf dem Grundstück des
Kirchenschiffs steht. Die Wiederaufbaustiftung müsste allerdings zustimmen.
## Virtueller Lernort
Auch inhaltlich wächst der Druck auf die Befürworter einer Kirchenkopie.
Kritiker des Wiederaufbaus der Potsdamer Garnisonkirche haben einen
[5][Internet-Lernort über die Geschichte des Bauwerks] und die Debatten
darüber gestartet. Ziel sei zu vermitteln, was die Garnisonkirche für die
deutsche Geschichte und den „Weg ins nationalsozialistische Unheil“
bedeutet habe, sagte der Sozialwissenschaftler Micha Brumlik bei der
Vorstellung des Internetportals am Freitag in Berlin.
Trägerin des virtuellen Lernorts ist die Martin-Niemöller-Stiftung. Zum
Start sind dort mehr als 30 Beiträge von rund 20 Autoren abrufbar. In den
kommenden Monaten sind stetige Erweiterungen geplant. Unmittelbar am
historischen Standort soll zudem eine kritische Ausstellung entstehen.
Das Projekt sei auch „ein Affront an die Stiftung Garnisonkirche“, sagte
Gerd Bauz vom Vorstand der Niemöller-Stiftung. Die Garnisonkirchenstiftung
habe bisher keinen akzeptablen Lernort geschaffen. Dies sei zwar
angekündigt, aber nicht umgesetzt worden. Tatsächlich zeigte die
Wiederaufbaustiftung kürzlich, mit welcher historischen Epoche sie die
Auseinandersetzung anstrebt: Am Baustellenzaun soll mit einem
Schüler-Kunstprojekt nicht an die Nazi-Zeit, sondern an die friedliche
Revolution 1989/90 erinnert werden.
2 Jul 2020
## LINKS
[1] /Neuer-Bezirk-Kampnitz-in-Potsdam/!5641811
[2] /Linke-Aktivisten-in-Potsdam/!5036830
[3] /Kommunalwahlen-in-Brandenburg/!5615424
[4] /Rechenzentrum-in-Potsdam/!5574419
[5] http://lernort-garnisonkirche.de/
## AUTOREN
Marco Zschieck
## TAGS
Garnisonkirche
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Wiederaufbau
Potsdam
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