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# taz.de -- Streit um Garnisonkirche in Potsdam: Dialog der Ungleichen
> Die Stadt will ein Kompromissverfahren starten. Befürworter und Kritiker
> wollen sich wohl auf das Verfahren einlassen.
Bild: Die Baustelle der Garnisonkirche in Potsdam
Potsdam taz | Potsdam will den nun schon Jahrzehnte dauernden Konflikt über
den [1][umstrittenen Wiederaufbau der Garnisonkirche] nun mit einem neuen
Ansatz befrieden: durch angestrengtes Nachdenken aller Beteiligten.
Am Mittwoch brachte Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) einen
entsprechenden Vorschlag in die Stadtverordnetenversammlung ein. Der seit
zwei Jahren amtierende Schubert ist nämlich, anders als sein Vorgänger Jann
Jakobs, kein Fan der Barockkirche und möchte gern einen Frieden vermitteln.
Denn nicht nur der Wiederaufbau der einstigen preußischen Militärkirche,
vor deren Pforte sich Hitler und Hindenburg am 21. März 1933 die Hände
schüttelten, ist in der Stadt heftig umstritten. Auf einem Teil des
Grundstücks des Kirchenschiffs steht derzeit [2][auch noch das ehemalige
Rechenzentrum], das von mehr als 200 Künstlern und Kreativen genutzt wird.
Das Gebäude hat nur noch eine Nutzungserlaubnis bis 2023 und soll dann
eigentlich platt gemacht werden – was angesichts des Mangels an Räumen in
der Stadt für Unmut sorgt. Anfang November hatte Schubert erklärt, dass es
Einzelgespräche mit den Vertretern der Wiederaufbaustiftung und denen des
Rechenzentrums gegeben habe.
Beide Seiten hätten signalisiert, dass sich alle Betroffenen auf ein
Verfahren einlassen können. Zunächst soll nun bis Herbst 2021 in einem für
70.000 Euro moderierten Prozess ein inhaltliches Konzept für den Standort
gefunden werden. Im Anschluss soll die Gestaltung des Areals an der
Kreuzung von Dortustraße und Breite Straße zum Thema werden. Eine
Vereinbarung über das Verfahren soll im Januar unterschrieben werden.
## Ambitioniertes Vorgehen
Die Aufgabenstellung kann man ambitioniert nennen. Schließlich begegnen
sich Befürworter und Kritiker der Garnisonkirche mit herzlicher Abneigung.
Für die einen ist sie die schönste Barockkirche Norddeutschlands und die
Ablehnung des Wiederaufbaus eine Fortsetzung der kirchenfeindlichen
SED-Diktatur, die den vom Krieg übrig gebliebenen Kirchturmstumpf 1968
sprengen ließ. Für die anderen steht das Bauwerk für den preußischen
Militarismus und dessen Allianz mit den Nationalsozialisten.
Als zusätzliche Schwierigkeit kommt hinzu, dass die Kompromisssuche nicht
auf Augenhöhe passiert. Der Wiederaufbaustiftung gehört das Grundstück.
Bislang hatte die Stiftung einen Verzicht auf das Kirchenschiff, auf dessen
Grundstück zum Teil das Rechenzentrum steht, immer abgelehnt – mit Verweis
auf den Stiftungszweck. Und in mehr als 12 Jahren ihrer Existenz hat sie es
nicht geschafft auch nur annähernd genug Spenden für den Bau des Kirchturms
zu sammeln – geschweige denn für das Kirchenschiff.
Stattdessen hat sie aber erfolgreich lobbyiert und viele Millionen
Steuergelder eingeheimst. Erst kürzlich kamen mit dem Entwurf für den neuen
Bundeshaushalt 4,5 Millionen Euro dazu, um Mehrkosten durch gestiegene
Baupreise aufzufangen. Damit stecken im Aufbau des 88 Meter hohen
Kirchturms nun insgesamt 24,75 Millionen Euro aus Bundesmitteln. „Der Bund
beteiligt sich nur an der Grundvariante des Turms“, erläutert ein Sprecher
von CDU-Kulturstaatsministerin Monika Grütters die Prozedur.
Dies beinhalte den vollständigen Aufbau des Turms, aber nicht
Schmuckelemente, Trophäen, Glocken oder Ähnliches. „Die Grundvariante wird
nach aktuellem Stand 36 Millionen Euro kosten.“ Davon werden 15,5 Millionen
Euro durch Eigenmittel der Stiftung einschließlich Spenden und Darlehen
finanziert. Unter dem Strich wird der Turmbau also bereits jetzt
überwiegend aus staatlichen Mitteln bezahlt. Der Einstieg in die Förderung
durch den Bund wurde 2013 auch damit begründet, dass ein „national
bedeutsames Bauwerk“ wiederhergestellt werde.
## Ein Ort der Versöhnung?
Mit der Rekonstruktion solle eine Bildungsstätte und ein Ort der Erinnerung
und Versöhnung entstehen. Einzigartig ist das Projekt tatsächlich: „Von der
Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien wurden bislang keine
weiteren Rekonstruktionen sakraler Bauten gefördert“, heißt es aus deren
Haus auf Nachfrage. Ergebnisoffen ist die Kompromisssuche ohnehin nicht.
Denn seit Oktober 2017 wird am Kirchturm gebaut. Inzwischen sind die Ziegel
schon so hoch aufgemauert, dass sie die benachbarten Gebäude überragen.
Für keine versöhnliche Stimmung dürfte auch sorgen, dass die Feier zum
Baustart nun ein juristisches Nachspiel hat. Seinerzeit waren im Vorfeld
mehrere Stinkbomben auf das Grundstück geworfen worden – vermutlich
handelte es sich um Buttersäure. Am Freitag beginnt am Potsdamer
Amtsgericht der Prozess gegen einen 35-Jährigen. Ihm wird laut Anklage
Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung vorgeworfen. Er
soll den Gottesdienst während der Feier des Baustarts laut Anklage unter
anderem „massiv verbal gestört“ haben.
Ein zweiter Prozess gegen drei 28, 35 und 37 Jahre alte Angeklagte soll
Juni 2021 stattfinden. Ihnen wird die Störung der Religionsausübung und in
einem Fall auch Hausfriedensbruch vorgeworfen. Sie sollen massiv durch
laute Rufe, Schreie und Pfiffe in einer Weise aufgefallen sein, dass andere
Gottesdienstbesucher die Veranstaltung verließen.
3 Dec 2020
## LINKS
[1] /Architektur-und-Erinnerungspolitik/!5687916
[2] /Streit-um-Garnisonkirche/!5622950
## AUTOREN
Marco Zschieck
## TAGS
Potsdam
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Schwerpunkt Nationalsozialismus
Stadtentwicklung
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Erinnerungskultur
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