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# taz.de -- Umstrittene Garnisonkirche in Potsdam: Alleinstellungsmerkmal Turm
> Im Streit über die Garnisonkirche ist entschieden: Die Kirche kommt
> nicht, zumindest nicht das Kirchenschiff. Der Turm aber wird
> weitergebaut.
Bild: Der Turm aber, gut verborgen von Gerüsten, wächst
Potsdam taz | Der komplette, originalgetreue Wiederaufbau der
Garnisonkirche in Potsdam ist praktisch vom Tisch. Das Gebäude, vor dem
sich 1933 Hitler und Hindenburg die Hände schüttelten, wird aller
Wahrscheinlichkeit nach nicht nachgebaut werden. Es dürfte lediglich beim
Turm bleiben, an dem bereits seit 2017 gebaut wird. Das Kirchenschiff
selbst aber wird weder in Form noch Inhalt wiedererrichtet. Nach
Jahrzehnten des Streits um den wegen seiner Vergangenheit umstrittenen
Sakralbau gibt es nun eine Entscheidung.
Die Potsdamer Stadtverordneten haben vergangene Woche auf Vorschlag von
Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) einen entsprechenden Beschluss
gefasst. Dieser beruht auf einem Kompromiss, den die Stadt mit der Stiftung
Garnisonkirche als Grundstückseigner und den Nutzern des benachbarten
Kreativhauses Anfang Dezember ausgehandelt hat. Dieser sieht vor, dass
statt des Kirchenschiffes ein sogenanntes Haus der Demokratie mit einem
neuen Plenarsaal für die Stadtverordneten und weiteren öffentlichen
Nutzungen entstehen soll. Das Kreativhaus soll nicht wie bisher geplant
abgerissen, sondern weitgehend erhalten werden. Das Grundstück will die
Stadt von der Stiftung, der sie es vor Jahrzehnten geschenkt hatte, nun
zurückpachten.
Ähnlich wie beim Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses gibt es auch in
Potsdam zunehmend Kritik an der Rebarockisierung der Innenstadt. Am Umbau
des Zentrums nach dem Muster aus der Vorkriegszeit wird bisher
festgehalten. So sind bisher beispielsweise das alte Potsdamer Stadtschloss
als neuer Landtag und das Museum Barberini in einer Kopie des historischen
Vorbilds entstanden. Allerdings war keines der Vorhaben ähnlich
polarisierend wie der Wiederaufbau der Garnisonkirche.
Mit dem Beschluss verbunden ist vor allem eine Machbarkeitsstudie für
500.000 Euro. Anschließend soll ein Architektenwettbewerb folgen sowie eine
Bürgerbefragung. Das künftige Ensemble soll „deutlich den Bruch mit der
architektonischen Sprache und Geschichte“ von Turm und Rechenzentrum
ausstrahlen, heißt es im Beschlusstext. Ziel sei, bis Ende 2023 die
planerischen Grundlagen für das Bauvorhaben zu schaffen. Denn die Uhr
tickt: Die Bauaufsicht hatte die Nutzung des [1][baufälligen früheren
Verwaltungsbaus des Rechenzentrums] nur befristet geduldet.
Die Mehrheit für den Beschluss war relativ knapp und wurde von SPD, Grünen
und Teilen der Linken-Fraktion getragen, die in Potsdam ein Bündnis
geschlossen haben. Teile der Linken waren ausgeschert, weil ihnen das
Verfahren zu schnell ging oder sie befürchteten, dass am Ende des
Wettbewerbs doch das Kreativhaus weichen könnte.
Die Debatte zeigte auch die Verletzungen bei jenen, die sich oft
jahrzehntelang für den Wiederaufbau eingesetzt haben. Ein
CDU-Stadtverordneter sprach von einem „Tag der Intoleranz in der Potsdamer
Stadtgeschichte“. Barock-Aktivisten von der „Initiative Mitteschön“ sagt…
die Garnisonkirche werde mit dem Beschluss ein zweites Mal nach 1968
gesprengt. Oppositionsvertreter hatten eine Vertagung und eine längere
Diskussion in Ausschüssen verlangt und warfen der Mehrheit undemokratisches
Verhalten vor.
Und auch die erklärtesten Gegner des Wiederaufbaus sind nicht zufrieden.
Die Bürger*inneninitiative für ein Potsdam ohne Garnisonkirche sieht
in dem neuen Vorschlag nicht zuletzt einen Versuch, die momentan fragliche
Fertigstellung des notorisch unterfinanzierten Turmbaus aus städtischen
Mitteln abzusichern. Schubert hatte daraufhin wenige Tage vor der
Abstimmung einen Passus in den Beschluss einfügen lassen, der die
Verwendung der Pachteinnahmen für den Turmbau ausschließt.
Das Aus für das Kirchenschiff ist maßgeblich auf einen Sinneswandel
innerhalb der Wiederaufbaustiftung zurückzuführen. Neben dem beharrlichen
Werben des Oberbürgermeisters dürfte es auch eine Rolle gespielt haben,
dass es keine Aussicht auf eine Finanzierung des Kirchenschiffes gibt.
Spenden fließen schon für den Kirchturm nur spärlich.
Das Kuratorium der Stiftung Garnisonkirche hatte Tage zuvor grundsätzlich
zugestimmt. „Aus Sicht des Kuratoriums bietet die inhaltliche Idee eine
Chance für die Nutzung des Ortes und enthält das Potenzial, zur Lösung von
Konflikten in der Stadtgesellschaft beizutragen“, hieß es. Zu dem
15-köpfigen Kreis gehören unter anderem Brandenburgs Ex-Ministerpräsident
Matthias Platzeck (SPD), Brandenburgs amtierender Innenminister Michael
Stübgen (CDU) sowie mehrere Funktionäre der evangelischen Kirche und
Schubert selbst.
Auch der Schirmherr des Wiederaufbaus, Bundespräsident Frank-Walter
Steinmeier, hatte dem Kirchenschiff seinen Segen entzogen. Wie die
Potsdamer Neusten Nachrichten berichteten, sagte er, er begrüße das
gemeinsame Konzept. Es könne „ein Erinnerungsort entstehen, der von
historischer Aufklärung, demokratischer Debatte und kultureller Kreativität
geprägt wird“.
Die evangelische Kirche hatte sich ohnehin schon vom originalen
Kirchenschiff verabschiedet und einen symbolischen Bruch in der Architektur
sogar zur Bedingung für millionenschwere Kredite für den Turmbau gemacht.
Die Bauarbeiten am Turm gehen unterdessen weiter. Inzwischen überragt er
die umstehenden Gebäude deutlich. Nach der Fertigstellung des Kirchturms
soll dort auf einer Fläche von 250 Quadratmetern in der vierten Etage eine
Ausstellung eröffnet werden. [2][In der Ausstellung mit dem Arbeitstitel
„Glaube, Macht und Militär“] soll unter anderem die Bedeutung der
historischen Garnisonkirche als Symbolort des nationalistischen und
demokratiefeindlichen Lagers der Weimarer Republik thematisiert werden. Wem
die Auseinandersetzung mit der Geschichte zu beschwerlich ist, der kann die
Aussichtsplattform in 57 Metern Höhe mit dem Aufzug direkt erreichen.
Mehr als die Hälfte des 40-Millionen-Euro-Vorhabens zahlt die öffentliche
Hand. Vor allem die frühere Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU),
der seit dem [3][Regierungswechsel Claudia Roth (Grüne) nachfolgte], hatte
Zuschüsse in Millionenhöhe für das „Projekt von nationaler Bedeutung“
durchgesetzt.
1 Feb 2022
## LINKS
[1] /Rechenzentrum-in-Potsdam/!5789879
[2] /Austellungskonzept-fuer-Garnisonkirche/!5759892
[3] /Claudia-Roth-als-Kulturstaatsministerin/!5815441
## AUTOREN
Marco Zschieck
## TAGS
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