# taz.de -- Ausstellung zur Geschichte Brandenburgs: Der gerupfte Adler | |
> Brandenburgs historische Identität ist von Brüchen geprägt. Die neue | |
> Dauerausstellung in Potsdam wartet aber auch mit aufregenden Objekten | |
> auf. | |
Bild: Nichts Stolzes, nichts Majestätisches: Der gerupfte Adler in Potsdam | |
Gleich im Foyer wartet der Adler. Übergroß aus Sandstein, aber dennoch | |
fehlt ihm alles Majestätische, nichts an ihm wirkt einschüchternd. „Ihm | |
fehlen die Flügel, ihm fehlt die Krone, fast hätte ich gesagt, er ist | |
gerupft“, erklärt [1][Kurt Winkler]. „Auch der Adler hat die Schrecken des | |
Krieges mitgemacht. Er ist ein Relikt, mit dem die Geschichte in die | |
Gegenwart hineinragt.“ | |
Es ist Kurt Winkler wichtig, dass die neue Dauerausstellung zur Geschichte | |
Brandenburgs mit einer Irritation beginnt. „Brandenburg tut sich schwer mit | |
seiner historischen Identität“, sagt der scheidende Direktor des [2][Hauses | |
der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HBPG) in Potsdam]. Preußen, das | |
Verhältnis zu Berlin, die DDR – all das seien Brüche, die eine gerade | |
historische Erzählung unmöglich machten. „In Brandenburg ist die Identität | |
nicht so gewachsen und selbstverständlich wie in Bayern“, meint Winkler. | |
Ein stolzer Adler, ein roter gar, wie er durch Brandenburgs Landeshymne | |
fliegt, hat sich also von vornherein verboten als Markenzeichen des | |
Brandenburgs, von dem in Potsdam erzählt werden soll. Und auch der Blick | |
von außen ist oft nicht schmeichelhaft. Winkler nennt das Bonmot von der | |
Mark als der „Streusandbüchse“ des Heiligen Römischen Reiches, das erstma… | |
1733 nachgewiesen ist. | |
Aber die Brandenburger haben auch das Zeug zur Selbstironie. Nicht erst mit | |
Rainald Grebes Brandenburghymne, sondern schon im 18. Jahrhundert nimmt | |
sich die Mark selbst auf die Schippe, wie eine barocke Porzellanschale mit | |
Schreibutensilien zeigt. Dazu gehört auch ein Streuer zum Trocknen der | |
Tinte: Eine Streusandbüchse kann auch wertvoll sein. | |
## 228 Originalobjekte | |
Dass das HBPG im historischen Kutschstall eine neue Dauerausstellung | |
braucht, war schon 2016 ausgemacht. Damals fusionierte das HBPG mit | |
Kulturland Brandenburg zur [3][Brandenburgischen Gesellschaft für Kultur | |
und Geschichte]. Gleichzeitig wurde das Haus umgebaut, um Platz für | |
Wechselausstellungen zu schaffen. Schon vor der neuen | |
Brandenburg-Ausstellung, die am 29. April eröffnete, war im Februar die | |
[4][Ausstellung „Morgen in Brandenburg“] als „Werkstatt der Zukünfte“ … | |
den Start gegangen. | |
Die neue Dauerausstellung, mit der sich Kurt Winkler nach 14 Jahren als | |
Direktor des HBPG in den Ruhestand verabschiedet, ist keine Werkstattschau, | |
das sieht man vom ersten Augenblick an. Das Design ist klassisch, die | |
Präsentation der 228 originalen Objekte von 72 Leihgebern verlangt nach | |
Vitrinen. | |
Modern geht es dagegen im Raum zu, der dem 20. Jahrhundert gewidmet ist. | |
Die vier Kapitel Weimarer Republik, Nationalsozialismus, DDR und | |
Nachwendezeit werden in großformatigen Fotografien angeteasert. Auf einem | |
ist eine Szene vom Jahrhunderthochwasser an der Oder 1997 zu sehen. Das ist | |
die Perspektive der Raummitte, die Details finden sich auf der Rückseite. | |
Zum Beispiel ein Koffer, in dem die [5][Schriftstellerin Manja Präkels] | |
Zeitungsausschnitte aus den so genannten Baseballschlägerjahren der | |
Neunziger gesammelt hat. | |
„Wir wollten nicht den Fehler vieler Dauerausstellungen machen, wo nach der | |
Eröffnung zehn Jahre nur die Vitrinen abgestaubt werden“, sagt Kurt | |
Winkler. „Bei uns können auch neue Inhalte hochgeladen werden.“ So kann die | |
Ausstellung, zumindest dort, wo sie das 20. Jahrhundert thematisiert, | |
ständig aktualisiert werden. | |
## Toleranz? Ja, aber | |
Wo sie die Vorgeschichte erzählt, handelt die Brandenburg-Ausstellung von | |
Ambivalenzen. Beispiel Einwanderungsland: Neben dem gerupften Adler bildet | |
ein großer Screen den Blickfang im Foyer des Kutschstalls. Einer der drei | |
Filme, die dort in Dauerschleife laufen, visualisiert auf einer Karte die | |
Wanderungsbewegungen aus und nach Brandenburg vom Mittelalter bis heute. | |
Dass die Mark, die sich gerne mit dem [6][Potsdamer Toleranzedikt] des | |
Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm schmückt, oft mit zweierlei Maß | |
gemessen hat, zeigt ein Vergleich der rechtlichen Stellung von Hugenotten | |
und Juden. Denn die Privilegien, die der Große Kurfürst den Hugenotten | |
zeitlich unbegrenzt zugestand, galten für die Juden nicht. Nur 20 | |
vermögende Familien nahm Friedrich Wilhelm 1671 auf, der Aufenthalt war auf | |
20 Jahre befristet. Und während die Hugenotten Kirchen bauen durften, in | |
denen vom Staat bezahlte Pastoren predigten, mussten die Juden ihre | |
Rabbiner selbst bezahlen. Die Gottesdienste fanden in Privathäusern statt, | |
der Bau von Synagogen war verboten: erwünschte und unerwünschte | |
Einwanderer. | |
Widersprüchlich ist auch das Verhältnis der Mark zur Metropole. Zwar wurde | |
Berlin (mit einigen Unterbrechungen) bis 1881 von Potsdam aus regiert, doch | |
dann entwickelte die wachsende Großstadt ihre Eigendynamik. Die Gründung | |
von [7][Groß-Berlin 1920] war die Krönung dieser Entwicklung. Für | |
Brandenburg dagegen bedeutete sie erhebliche Gebietsverluste. | |
Parallel dazu veränderte sich das Bild Brandenburgs. Je mehr sich Berlin in | |
einen Moloch verwandelte, desto stärker wurde die Mark zu seinem | |
Gegenentwurf. Nicht nur die Gemälde von Walter Leistikow zeugen davon, | |
sondern auch der Bau des Märkischen Museums in Berlin 1908. Die Mark wird | |
zur Sehnsuchtslandschaft und, in Fontanes Wanderungen, zur verklärten | |
Geschichtslandschaft. Fontane selbst taucht am Ende des ersten Raums, der | |
dem Mittelalter bis zum Jahr 1900 gewidmet ist, mit einem Porträt von Carl | |
Breitbach aus dem Jahre 1883 sowie seinem Original-Arbeitsstuhl auf. | |
Kurt Winkler, der die Ausstellung mit einem Team von 15 Mitarbeiterinnen | |
und Mitarbeitern kuratiert hat, ist es aber auch wichtig, das Verhältnis | |
Brandenburgs zu Preußen zu thematisieren. Dazu hat er drei Objekte in Szene | |
gesetzt. Neben dem roten Sowjetstern, den die Rote Armee an der Festung | |
Küstrin angebracht hat, sind das das Schlagwerk der [8][Garnisonkirche], | |
deren Wiederaufbau Potsdam bis heute spaltet, und ein Leuchter aus der | |
[9][Villa Liegnitz.] | |
## Politische Botschaften | |
„Die Villa Liegnitz war der Wohnsitz von August Wilhelm, einem Sohn des | |
letzten deutschen Kaisers, der sich sehr früh mit der NSDAP eingelassen | |
hat“, erklärt Winkler. „Dieses Objekt soll auch hier anknüpfen an die | |
aktuelle Debatte, die um die Relation der Hohenzollern zum | |
Nationalsozialismus geführt wird.“ Zu den damit zusammenhängenden | |
[10][Restitutionsdebatten] nehme man keine Stellung, betont Winkler. „Aber | |
es ist uns wichtig, dass wir solche Gegenwartsbezüge andeuten.“ | |
Ein solcher Gegenwartsbezug ist auch der gerupfte Adler. Denn das | |
Fortunaportal des Stadtschlosses, das er einst zierte, wurde mit dem | |
Schloss nach dem Krieg abgerissen. Mit dem [11][Fortunaportal] begann, | |
finanziert durch Günther Jauch, aber auch der [12][Wiederaufbau des | |
Schlosses als Landtagsbau]. So scheint sich in Potsdam ein Kreis | |
geschlossen zu haben. | |
In seinem wichtigsten Museum wird er offen gehalten. | |
2 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Winkler_(Historiker) | |
[2] https://gesellschaft-kultur-geschichte.de/haus-der-brandenburgisch-preussis… | |
[3] https://gesellschaft-kultur-geschichte.de/ | |
[4] /Ausstellung-Morgen-in-Brandenburg/!5833257 | |
[5] /Debuetroman-von-Manja-Praekels/!5472977 | |
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Edikt_von_Potsdam | |
[7] https://unvollendete-metropole.de/ | |
[8] /Umstrittene-Garnisonkirche-in-Potsdam/!5829448 | |
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Villa_Liegnitz | |
[10] /Historiker-Malinowski-ueber-Hohenzollern/!5818046 | |
[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Fortunaportal | |
[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Potsdamer_Stadtschloss | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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