# taz.de -- Ausstellung „Morgen in Brandenburg“: Morgenland Brandenburg | |
> Eigentlich ist das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte für | |
> die Vergangenheit zuständig. Nun zeigt es 30 Zukunftsprojekte. | |
Bild: Mitmachen erwünscht: Die Ausstellung „Morgen in Brandenburg“ lockt m… | |
POTSDAM taz | Andrea Wieloch gerät richtig ins Schwärmen, wenn sie von | |
[1][„Nowa Amerika“] spricht. „Es ist ein Land ohne Grenzen, in dem jeder | |
Bürger, der dort ankommt, die gleichen Rechte hat.“ In „Nowa Amerika“, | |
einem fiktionalen Raum diesseits und jenseits der Oder, den der Frankfurter | |
Künstler Michael Kurzwelly und der Verein [2][„Słubfurt“] als | |
„Wirklichkeitskonstruktion“ erfunden haben, seien „alle Probleme, die es … | |
unserer Welt gibt, schon gelöst“, sagt Wieloch. | |
Doch Nowa Amerika ist nicht nur, wie das Amerika zur Zeit seiner | |
Entdeckung, ein Zukunftsversprechen. Es ist auch ein konkreter Ort, an dem | |
dieses Versprechen umgesetzt werden soll. Am [3][Brückenplatz in Frankfurt | |
(Oder)] haben Kurzwelly und Słubfurt eine ehemalige Schule zu einem | |
interkulturellen Zentrum ausgebaut, in dem Selbstbestimmung und | |
Basisdemokratie selbstverständlich sind. Es gibt eine somalische | |
Fußballgruppe, ein Repair-Café und ein eigenes „Słubfurter Parlament“. | |
Dass fast zwanzig Personen „Schlüsselbesitzer“ sind und jederzeit Zugang zu | |
den Räumen haben, ist ein Ausdruck gewachsenen Vertrauens. Ein | |
realutopischer Ort also, der auch in der Ausstellung nicht fehlen darf, die | |
Andrea Wieloch als „Werkstatt der Zukünfte“ kuratiert hat. | |
## Zukunftsvisionen zwischen Stadt und Land | |
Eigentlich ist das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in | |
Potsdam schon des Namens wegen für die Vergangenheit zuständig. Nun aber | |
zeigt es in Wielochs Ausstellung [4][„Morgen in Brandenburg“] 30 | |
Zukunftsprojekte, die um die Themen „Geschichte(n)“, „Visionen“, „Sta… | |
und „Ländlicher Raum“ kreisen. „Alle Projekte haben eine Frage mitgebrac… | |
die sie beim Blick auf die Zukunft beschäftigt“, sagt Kuratorin Wieloch. | |
„So sind Geschichten und Visionen zwischen Land und Stadt entstanden.“ | |
Zum Beispiel in Trebnitz im Landkreis Märkisch-Oderland. Schon seit vielen | |
Jahren ist das [5][Schloss Trebnitz] mit seinem Campus ein „Leuchtturm“ im | |
ländlichen Raum, wie es Wieloch nennt. Ein ganz besonderes Projekt auf dem | |
Campus ist die [6][„Akademie der Dorfhelden“]. „Die Akademie schult und | |
vernetzt ehrenamtliche Ortsvorsteher und Ortsvorsteherinnen in der | |
Artikulation ihrer Interessen“, erklärt Wieloch. Darüber hinaus gibt es | |
Angebote für politische, kulturelle und Erwachsenenbildung. Die Frage, die | |
Trebnitz mitgebracht hat, lautet: „Wie können Veränderungen gestaltet | |
werden, die zum gesellschaftlichen Zusammenhalt und wirklich gewollter | |
Innovation beitragen?“ | |
Wie aber entstehen solche Orte der Wissensproduktion und Vermittlung? | |
Gerade in Zeiten einer wachsenden Stadtflucht und steigender | |
Immobilienpreise auch jenseits des Speckgürtels ist das sicher eine der | |
wichtigen Zukunftsfragen in Brandenburg. Noch viel zu oft erliegen Kommunen | |
und Städte dabei dem Druck des Marktes, weil ein schneller Verkauf einer | |
leerstehenden Immobilie an private Investoren bequemer ist als ein | |
aufwändiges Konzeptverfahren, mit dem Nutzerinnen und Nutzer gesucht | |
werden, die etwas Neues auf die Beine stellen wollen und dann auch noch zum | |
Ort passen. | |
## Mehr Teilhabe für nachhaltige Stadtentwicklung | |
Einer dieser Orte, an denen diese Suche als Prozess betrieben wird, ist die | |
Marx’sche Villa in Herzberg. Seit der Wende hat die Stadt im Kreis | |
Elbe-Elster ein Viertel ihrer Bewohnerinnen und Bewohner verloren und ist | |
auf 9.100 Einwohner geschrumpft. Bis 2040, so sagen es die Prognosen, wird | |
die Zahl noch einmal um ein Viertel zurückgehen. Vor diesem Hintergrund | |
intensiviert die Stadtverwaltung den Dialog mit der Zivilgesellschaft. | |
Im Rahmen der Landesinitiative „Meine Stadt der Zukunft“ entwickelt | |
Herzberg gemeinsam mit dem [7][„Netzwerk Zukunftsorte“] in der | |
leerstehenden Villa Marx einen „Ort der Partizipation und Begegnung | |
zwischen Bürger:innen und Verwaltung“. Schwerpunkt dabei ist das Thema | |
Mobilität. Die Frage von Herzberg: „Wie kann Teilhabe zu einer nachhaltigen | |
Stadtentwicklung beitragen?“ | |
So geschieht in Herzberg im Kleinen, was sich das Netzwerk Zukunftsorte im | |
Großen für das ganze Land vorgenommen hat. [8][15 dieser Zukunftsorte] gibt | |
es mittlerweile, darunter das [9][Coconat in Belzig] (Coworking), der | |
[10][Hof Prädikow] (Leben und Arbeiten auf dem Land) oder das [11][E-Werk | |
Luckenwalde] (Kunst). | |
## Eine Frage der Förderung | |
Das Netzwerk unterstützt mit seinem Know-how und seiner Erfahrung sowohl | |
diejenigen, die aufs Land ziehen wollen, als auch die Kommunen vor Ort, | |
denen es darum geht, dass Alt und Neu zusammenpasst. Inzwischen ist daraus | |
auch ein Leitfaden in Buchform entstanden. Sein Titel: [12][„Über Morgen. | |
Vom Leerstand zum Zukunftsort“]. Denn darin unterscheiden sich Land und | |
Stadt nicht so sehr: Am Ende geht es immer um Immobilien, um Förderung und | |
um die Bereitschaft der öffentlichen Hand, sich auf Experimente | |
einzulassen. | |
Es ist sicher kein Zufall, dass die Zukunftsorte in Brandenburg dabei auch | |
mit dem Ort verknüpft sind, an dem sie ausgestellt werden. Auch das Haus | |
der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte im Potsdamer Kutschstall musste | |
sich den Herausforderungen der Zukunft stellen. Im Rahmen eines | |
Change-Prozesses gelang es Geschäftsführer Kurt Winkler, Mittel für den | |
Umbau des Hauses und eine inhaltliche Neukonzeption zu akquirieren. Wenn | |
Ende April dann die neue Dauerausstellung zur Landesgeschichte öffnet, gibt | |
es zwei Perspektiven in den Zeitstrahl. Den in den Rückspiegel im | |
Erdgeschoss und den nach vorne im Obergeschoss. | |
Winkler glaubt, dass Brandenburg durchaus ein Land mit Zukunft ist. „In den | |
letzten Jahren hat sich ein realistischer Optimismus entwickelt“, hat er | |
beobachtet. „Wir glauben, dass das etwas ist, was Brandenburg ausmacht.“ | |
## Der „heiße Scheiß“ aus dem Morgenland Brandenburg | |
Dazu gehört für Winkler auch ein Imagewandel. „Das was vor vielen Jahren | |
noch negativ mit Brandenburg in Verbindung gebracht wurde, wird nun geprägt | |
von denen, die sich einbringen.“ Diesen Optimismus wolle man mit der | |
Zukunftsausstellung nun auch zeigen. | |
In der Ausstellung geht es aber nicht nur um Zukunftsorte, sondern auch um | |
Innovationen. Unter dem Titel [13][„Finizio“] hat ein Team um einen | |
Absolventen der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde nach | |
eigenen Angaben „innovative Sanitärsysteme“ entwickelt, „mit denen eine | |
wasserlose und hygienische Erfassung sowie effiziente Aufbereitung | |
menschlicher Ausscheidungen ermöglicht wird“. | |
Auch bei „Finizio“ ist Kuratorin Wieloch ins Schwärmen geraten – und hat | |
etwas nach Worten gerungen, um das Projekt zu beschreiben. Dabei hätte sie | |
ruhig auch sagen können: Ein „Scheißprojekt“ ist das, und der letzte „h… | |
Scheiß“ aus dem Morgenland Brandenburg. | |
8 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] http://www.nowa-amerika.eu/ | |
[2] http://www.slubfurt.net/ | |
[3] http://www.slubfurt.net/projekte/brueckenplatz-plac-mostowy/ | |
[4] https://gesellschaft-kultur-geschichte.de/haus-der-brandenburgisch-preussis… | |
[5] https://www.schloss-trebnitz.de/ | |
[6] https://www.schloss-trebnitz.de/akademie-der-dorfhelden/ | |
[7] https://zukunftsorte.land/ | |
[8] https://zukunftsorte.land/zukunftsorte | |
[9] https://zukunftsorte.land/coconat | |
[10] https://zukunftsorte.land/praedikow | |
[11] https://zukunftsorte.land/ewerk | |
[12] https://zukunftsorte.land/uebermorgen | |
[13] https://finizio.de/ | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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