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# taz.de -- Pfarrer mit Kriegserfahrung: Mehr als nur Symbolik
> Die Initiative „Lernort Garnisonkirche“ hat die kirchliche Tradition der
> Kirche untersucht. Die Aussagen einiger Pfarrer machen sie sprachlos.
Bild: Eine Flammenvase auf der Baustelle der Garnisonkirche in Potsdam
Kirche ist Kirche, möchte man meinen, und christliche Werte gelten immer,
unabhängig davon, wer das Land gerade regiert. Manche Gotteshäuser sind
freilich mit der Geschichte besonders verbunden. Die Potsdamer
Garnisonkirche ist so ein Ort. Im Zweiten Weltkrieg ausgebrannt und vom
SED-Regime schließlich gesprengt, ist die Kirche auch als Schauplatz des
[1][Handschlags zwischen Hitler und Hindenburg 1933 bekannt].
Dem seit den 1990ern vor allem von rechter Seite vorangetriebenen
Wiederaufbau der Kirche schlug daher viel Widerstand entgegen. Allem
Protest zum Trotz wird der Turm der Kirche seit 2017 rekonstruiert. Die
Sache ist also eigentlich bereits entschieden.
Den Turmbau stoppen zu können, bildet sich die Initiative „Lernort
Garnisonkirche“ daher auch gar nicht ein. Schon das Argument, die Kirche
sei ein zentraler Punkt für das preußische Kaisertum und zudem Gründungsort
des NS-Staats, konnte die Befürworter des Wiederaufbaus nicht umstimmen.
Die Initiative will nun trotzdem einen Aspekt in den Fokus rücken, der
noch nicht so viel Beachtung fand: die kirchliche Tradition der
Garnisonkirche.
Der Nationalprotestantismus der Preußen sei entschieden geprägt von
völkischem, antisemitischem und antidemokratischem Gedankengut, sagt Horst
Junginger, Professor für Religionswissenschaften an der Universität
Leipzig, am Dienstag in einem Pressegespräch.
## Antisemitisches Gedankengut
Die Beziehung zwischen Kaisertum und Kirche sei eng gewesen und habe sich
über Abgrenzung, vor allem gegenüber Jüd:innen und Französ:innen,
definiert. Alles andere als neutral seien zudem die Pfarrer gewesen, fand
die Initiative heraus. „Was wir da ausgegraben haben, macht sprachlos“,
sagt [2][der Architekt Philipp Oswalt, der schon den Neubau des Berliner
Stadtschlosses zu verhindern versucht hatte.]
Einer dieser Pfarrer war Max Schmidt. Bevor er in der Garnisonkirche seinen
Dienst antrat, [3][war er als Feldprediger in den Kolonialkriegen Chinas
und Afrikas unterwegs.]
Die Bekämpfung der Herero und Nama befürwortete er umfassend: „Wollt ihr
mit kurzen Worten hören, warum solche Gottesdienste in Kriegszeiten so
köstlich sind? Weil dann ganze Scharen deutlicher als sonst erleben, wie
der lebendige Gott selber zu reden beginnt.“
Sich selbst begriff er durchaus als Teil der kämpfenden Gruppen. „Da von
aufständischen Eingeborenen keine Rücksicht auf das rote Kreuz zu erwarten
stand, waren auch wir mit Gewehr und Patronengurt, sowie mit einer
Browning-Pistole bewaffnet“, schreibt er in seinem Buch „Aus unserem
Kriegsleben“.
## Vorwurf des Geschichtsrevisionismus
Auch während der NS-Zeit wurden in der Garnisonkirche keineswegs
friedliebende Töne angeschlagen. „Wenn es um Deutschland geht, den letzten
Tropfen Blut!“, predigte etwa Pfarrer Rudolf Damrath 1940. [4][Architekt
Oswalt wirft den Befürwortern des Wiederaufbaus Geschichtsrevisionismus
vor].
Allen voran meint er damit den Denkmalpfleger Andreas Kitschke, der 2017
scharfe Kritik erntete, als er behauptete, der „symbolische Händedruck“
zwischen Hitler und Hindenburg habe gar nicht stattgefunden, sondern sei
nachträglich von Goebbels propagiert worden. Das immerhin ja existente Foto
des Handschlags sei nur ein Schnappschuss ohne Bedeutung gewesen.
Oswalt kritisiert zudem, Pfarrer Otto Dibelius würde im Nachhinein als
Widerstandskämpfer dargestellt. Zwar war Dibelius 1934 einem Predigtverbot
unterstellt, weil er auf Religionsfreiheit beharrte. Den „Judenboykott“
befürwortete er jedoch, zu dem Massenmord an den Jüd:innen in Polen
schwieg er.
Was will die Initiative „Lernort Garnisonkirche“ mit ihren
Forschungsergebnissen nun noch bezwecken? [5][Der Wiederaufbau ist
fortgeschritten] und die Dauerausstellung zur Geschichte der Kirche, die im
Turm gezeigt werden soll, lobten selbst die Gegner:innen der Kirche für
ihr kritisches Konzept.
## Zweitägiges Symposium in Planung
Doch die Kirche wirkt von außen, nicht von innen. Ein simpler Bibelvers,
der Frieden betont und am Sockel des Turms angebracht werden soll, reiche
nicht aus. Auch Kriegstreiber hätten sich um Frieden zumindest rhetorisch
bemüht. Die Initiative will daher zu einem zweitägigen Symposium ins
Berliner Dietrich-Bonhoeffer-Haus einladen und am 1. und 2. Oktober das
Erbe des Nationalprotestantismus noch mal genauer beleuchten.
Ganz konkret geht es der Initiative auch darum, das Rechenzentrum zu
erhalten, das zu DDR-Zeiten auf dem Kirchengelände gebaut wurde und in dem
die Initiative einen Ausstellungsraum bespielt. An der Stelle stand einst
das Kirchenschiff, dessen Wiederaufbau ebenfalls diskutiert wird. „Das
Rechenzentrum zu erhalten ist das Einzige, was den Wiederaufbau der
Garnisonkirche irgendwie erträglich macht“, sagt Oswalt.
9 Jun 2021
## LINKS
[1] /Preussen-Historiker-Clark-rudert-zurueck/!5734272
[2] /Bauhaus-Direktor-ueber-eine-historische-Avantgarde/!5167008
[3] http://lernort-garnisonkirche.de/?p=1152
[4] /Austellungskonzept-fuer-Garnisonkirche/!5759892
[5] /Umstrittene-Potsdamer-Garnisonkirche/!5756054
## AUTOREN
Julia Hubernagel
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