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# taz.de -- Global-Beats-Album aus Berlin: Musik ohne Grenzen
> Der Produzent und DJ Daniel Haaksman veröffentlicht seine Compilation
> „Black Atlantica Edits“ – mit Dancefloor-Tracks aus Afrika und
> Afroamerika.
Bild: Sein Label Man Recordings machte den Baile Funk bekannt: Daniel Haaksman
Groß gewachsen, schlank und mit einem markanten Afro war Victoria Santa
Cruz eine eindrucksvolle Erscheinung. Als Choreographin, Komponistin und
Aktivistin gehörte sie zu den wichtigsten Figuren beim Revival der
afroperuanischen Kultur seit den 1960er Jahren. Santa Cruz ging es um den
Erhalt und die Weiterentwicklung alter Tänze und das Aufspüren einer
Kultur, die auf einem „inneren Rhythmus“ und der Verbindung zu den Ahnen
beruht.
Am bekanntesten ist ihr Poem [1][„Me gritaron negra“]. Begleitet von einer
Conga, Händeklatschen und einem Response-Chor spricht Santa Cruz in einem
rhythmisch phrasierten Vortrag davon, wie sie als Kind zum ersten Mal
Rassismus erlebt und lange Zeit ihr krauses Haar und ihre dicken Lippen
verabscheut. Bis sie eines Tages mit Stolz verkündet: „Soy negra!“, „Ich
bin eine Schwarze!“
Der Berliner Produzent und DJ Daniel Haaksman eröffnet seine „Black
Atlantica Edits“ mit einer [2][Interpretation] dieses ikonischen
Spoken-Word-Raps. Wobei er dem Original nicht viel mehr als eine
Klaviermelodie und eine Basslinie zufügt.
## Kuduro, Carimbó, Straßenrap
Haaksmans neue, beim britischen Label BBE Music aufgelegte Compilation
enthält zehn tanzbare Tracks, Clubversionen von Songs aus Afrika und
Südamerika seit den 1970ern bis in die Zehnerjahre – von Elektro-Kuduro aus
Angolas Karneval („Cazukuta“/DJ Havaiana) über rumpelnden Carimbó aus dem
brasilianischen Belém („Vamos farrear“/Pinduca) bis zum nur von Perkussion
begleiteten rasanten Balani-Straßenrap aus Mali („Moribiyassa“/Kaba Blon).
Haaksman spricht bewusst von Edits statt von Remixen. Für letztere stehen
die einzelnen Tonspuren des Originals zur Verfügung, für Edits dagegen nur
die abgemischten Tracks. „Man muss sich in die Struktur der Songs
reinarbeiten. Das braucht viel Fingerspitzengefühl“, sagt Haaksman.
Und tatsächlich beweist er ein gutes Händchen, lässt dem Originalmaterial
Raum zur Entfaltung. Mal ist es kaum mehr als ein stampfender Beat, der
unter die Vorlage gemischt wird („Akabongi“/Soul Brothers), mal ganz sanfte
Klänge, wie etwa zu den wundersamen tonalen Variationen, die der
kamerunisch-französische Musiker und Weltenbummler Francis Bebey auf der
[3][Ein-Ton-Flöte] der Pygmäen zaubert („Sunny Crypt“).
Gelungen ist auch, wie Haaksman aus „Master Chivero“ von Black September,
ein Lied der Unabhängigkeitsbewegung Simbabwes, einen eingängigen Track für
den Dancefloor macht. „Dissan Na M´bera“ von Super Mama Djombo aus
Guinea-Bissau hat dagegen einen deutlichen Latin-Touch. Haaksman führt das
auf den Einfluss der Kubaner zurück, die seinerzeit die Freiheitskämpfe in
Afrika unterstützten.
## The Black Atlantic
Mit seiner Compilation „Rio Baile Funk Favela Booty Beats“ (2004) und
Remixen auf seinem Label Man Recordings hat Haaksman den Baile Funk aus den
Favelas von Rio de Janeiro global bekannt gemacht, später ein sanftes
Bass-Album mit Musiker*innen vom Mutterkontinent Afrika veröffentlicht
([4][„African Fabrics“], 2016) und Anfang 2019 mit [5][„With Love, From
Berlin“] ein vielstimmiges Gemeinschaftswerk herausgebracht, zu dem er in
Berlin lebende Musiker*innen aus aller Welt ins Studio holte.
Nun wendet sich Haaksman seinem Faible für musikalische Perlen Afrikas und
Afroamerikas zu und unterfüttert das schon im Titel mit Bezügen zu Paul
Gilroys Buch „The Black Atlantic: Modernity and Double Consciousness“ von
1993. Der britische Kulturwissenschaftler beschreibt darin den Black
Atlantic als einen transnationalen Raum mit mannigfaltigen
Wechselbeziehungen, in dem erst die gemeinsame Erfahrung von Unterdrückung
zur Herausbildung einer „black identity“ und einer kreativen Gegenkultur
führte.
Gilroy führt vor, dass kulturelle Reinheit eine Chimäre ist. Stattdessen
betont er, dass Identität nichts Statisches ist und Kultur stets fluide.
„Die transatlantische schwarze Kultur hat auch Versatzstücke der
europäischen integriert“, sagt Haaksman.
Seine Anlehnung an Gilroy ist auch eine Positionierung gegen das Schlagwort
der kulturellen Aneignung, das jegliche Auseinandersetzung mit Anderen
unter Generalverdacht stellt. Gilroy selber hat inzwischen zwar den Glauben
an die revolutionäre Kraft der Black Musik [6][verloren]. Doch seine
Vorstellung vom sich gegenseitig beeinflussenden hybriden transatlantischen
Kulturraum hat heute immer noch [7][Wert], auch einen emanzipatorischen –
besonders jetzt, wo alle, die können, ihre Grenzen hochziehen.
## Zurück nach Salvador de Bahia
Wenn die dann irgendwann wieder aufmachen, kann Haaksman hoffentlich zurück
auf die andere Seite des Atlantiks: Er war als Stipendiat zu Gast in der
Vila Sul des Goethe-Instituts in Salvador de Bahia, was er wegen der
Coronakrise „blöderweise“ vorzeitig abbrechen musste. Nun hofft Haaksman,
vielleicht im Winter erneut in die afrikanisch geprägte erste Hauptstadt
Brasiliens zu kommen.
Denn er hat sein dortiges Forschungsprojekt über einen eigenwilligen
Musiker noch nicht beendet: Der Schweizer [8][Walter Smetak] war 1957 auf
Einladung des nach Brasilien emigrierten deutschen Zwölftonmeisters
Hans-Joachim Koellreutter nach Salvador gekommen. Es war die Zeit, als die
Musikszene Salvadors erwachte, und Smetak wurde Freund und Lehrer von
Caetano Veloso und Gilberto Gil, bevor die beiden zehn Jahre später mit dem
Tropicalía den brasilianischen Pop erneuerten.
Smetak fusionierte derweil weiter Naturklänge mit afrobrasilianischen
Praktiken und kreierte eigene hybride Instrumente und Soundskulpturen. Ein
spannendes Kapitel der transatlantischen Beziehungen zwischen Brasilien und
Europa, dem es weiter nachzugehen lohnt.
29 Apr 2020
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=cHr8DTNRZdg
[2] https://www.youtube.com/watch?v=W3BPTi4LeqM
[3] https://www.youtube.com/watch?v=c6T6suvnhco
[4] /Afrikapop-meets-Eurobass/!5297814
[5] /Neues-Album-von-Daniel-Haaksman/!5568081
[6] https://www.nzz.ch/feuilleton/paul-gilroy-black-music-verliert-ihre-befreie…
[7] /Interviews-zur-Soundsystemkultur/!5676186/
[8] /!5388373/
## AUTOREN
Ole Schulz
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