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# taz.de -- Neues Album von Daniel Haaksman: Berlin kann auch sanft
> Der Global-Sound-DJ Daniel Haaksman veröffentlicht ein neues Album. Mit
> „With Love, From Berlin“ schaut er sich vor der Haustür um.
Bild: At home he's a tourist: Daniel Haaksmann in Berlin
Glaubt man den Treffern, die Google ausspuckt, ist der „Sound of Berlin“
immer noch Techno. Obwohl die neunziger Jahre schon lange vorbei sind. Für
die Gegenwart bedeutet so ein Etikett aber vielleicht nur Stadtmarketing –
auf dass die Touristenströme ihren Weg finden. Der gegenwärtige Sound der
Stadt könnte nämlich auch Jazz heißen. Die hiesige Szene ist jung, lebendig
und international wie nie. Auch klassische Musiker sind im Berlin der
Gegenwart jenseits etablierter Institutionen reichlich unterwegs, in
Ensemblekonstellationen und dabei durchaus experimentierfreudig. Um nur
mal zwei Alternativen zum gängigen Narrativ zu nennen.
Wohl deshalb stellt der Wahlberliner Daniel Haaksman, selbst aus dem
Bereich der ElektronikTanzmusik kommend, die Frage auf seinem dritten Album
„With Love, From Berlin“ anders. Ihn interessiert weniger, wofür seine neue
Heimat popkulturell steht, als was die Stadt individuellen Musikern
bedeutet; welche Erfahrungen mit und Projektionen auf die Stadt sie haben.
Inwiefern Berlin ein Sehnsuchtsort ist oder doch nur eine pragmatische
Lösung. Schließlich sind die Lebenshaltungskosten verglichen mit Paris oder
London in Berlin immer noch niedrig. Und die Stadt ist auch geografisch
günstig gelegen – etwa, um von hier aus auf Tour zu gehen.
„With Love, From Berlin“ ist ein vielstimmiges Gemeinschaftswerk geworden.
Haaksman holte Gastmusiker dazu, um im Chor über diese Frage zu
reflektieren: das peruanische Electroduo Dengue Dengue Dengue, den
israelischen Jazzsaxofonisten Ori Kaplan und den Reggae-MC Paul St. Hilaire
alias Tikiman. Die interdisziplinär arbeitende Musikerin Cibelle aus São
Paulo feiert gleich im Auftaktsong „Corpo Sujeito“ das queere Leben.
Und die Mexikanerin Coco Maria, sonst als Cumbia-DJ unterwegs, thematisiert
im Song „La Añoranza“ Heimweh und das langsame Ankommen. Ankommen wollte
das akustische Gesang-Gitarre-Duo Lavoisier aus Portugal dagegen gar nicht.
Sie nutzen die Berliner Anonymität fernab ihrer Heimat, um einen neuen
Zugang zu ihrer Musik, dem Fado, zu suchen. Vor einigen Monaten sind sie
zurückgegangen und haben Haaksman „Como Sera“ als Andenken überlassen,
einen Song, der ihren kreativen Weg reflektiert.
## „Völlig monokulturell“
Ums zigste Abfeiern des Partystandorts Berlin geht es Haaksman also zum
Glück nicht. Für seine introspektive Momentaufnahme drehte er auch seinen
bisherigen Arbeitsansatz um: Die Beats sind sanfter, die Sounds filigran.
„With Love, From Berlin“ ist ein Ventil, in das der Künstler reinpumpt, was
alles vor seiner Haustür passiert. Das klingt anders als sonst, wenn der
50-Jährige auf der Suche nach knalligen Sounds durch die weite Welt zieht.
1997 zog Haaksman aus Frankfurt nach Berlin – und war bald gelangweilt.
„Damals war Minimal Techno der ruling sound, durch den Electroclash-Hype
wurde dann auch noch die Rockmusik wieder in die Clubs gespült. Alles recht
eintönig.“ Zudem empfand er Berlin Ende der Neunziger als „völlig
monokulturell“, verglichen mit Frankfurt am Main „war es eine totale
Weißbrotstadt. Frankfurt dagegen eine Global City im Dorfformat.“ 2003
brachte ein Freund CDs aus Brasilien mit. „Ich hatte eine elektronische
Variante von Bossa Nova erwartet.
Doch der Sound klang total anders und frisch. Zugleich steckte viel drin,
was ich in den frühen Neunzigern geliebt hatte: Jungle, HipHop,
Breakdance-Electrosound.“ Er reiste sofort nach Brasilien und war so
angetan, dass er den neuen Sound aus den Favelas von Rio, „Baile Funk“
genannt, mit einer Compilation würdigte. Weil US-Produzent Diplo zeitgleich
(wie Haaksman später überrascht feststellen sollte) in ähnlicher Mission
unterwegs war und zudem der Erfolg der tamilisch-britischen Rapperin M.I.A.
international viel Aufmerksamkeit für Global Beats generierte, verkaufte
sich auch Haaksmans „Rio Baile Funk Favela Booty Beat“ unerwartet gut.
In der Folge stellte Haaksman weitere Compilations zusammen – samt ähnlich
orientierten Musikern. Haaksman erinnert sich an die zweite Hälfter der
Nullerjahre: „Plötzlich poppte alle paar Monate ein anderer Stil von der
Südhalbkugel auf hiesigen Tanzflächen auf.“ Angolanischer Kuduro etwa oder
eine Dance-Variante des Cumbia, der seine Ursprünge in Kolumbien hat. Oder
auch Tecnobrega, eine kirmeshafte Elektronik-Variante aus dem Nordosten von
Brasilien, der Haaksman 2012 mit einer Compilation huldigte. Auch die
vielseitigen Klangwelten Afrikas hielten Haaksman in Atem, etwa „African
Fabric“ (2016) – diesmal im Albumformat. Lokale Stile, die er in Angola,
Südafrika oder Mosambik entdeckt hatte, synthetisierte er jeweils mit
eigenen Produktionstechniken.
Dass er an popmusikalisch noch nicht abgegrasten Orten nach Inspiration
sucht, hat ihm viel Aufmerksamkeit gebracht – aber auch viel Schelte;
Stichwort kulturelle Aneignung. Nicht zuletzt wurde Haaksman zum Vorwurf
gemacht, dass er mit Gettosound Geld verdiente. Den Vorwurf weist er
zurück: Er helfe den Künstlern dadurch, dass er Tracks ganz offiziell
lizenziere und Tantiemen zahle. „Plötzlich wurde die Favela als
kulturproduzierender Ort wahrgenommen.“ Und dank der Nobilitierung durch
internationale Aufmerksamkeit höre jetzt auch die brasilianische
Mittelschicht den Sound, den sie vorher verachtet habe.
## Er mag Ambivalenzen
Den damit verbundenen Ambivalenzen ist sich Daniel Haaksman trotzdem
bewusst – auf verschiedenen Ebenen. „Es birgt Vorteile, als Gringo die
Songtexte nicht zu verstehen und erst mal nur als Sound wahrzunehmen“ –
aber manche Zeilen seien ihm wirklich zu krass. Letztlich interessiert ihn
die produktive Reibung zu sehr, als dass er sich Beschränkungen auferlegen
will. Die Frage, wie eine Tradition in einem anderen Zusammenhang neu
interpretiert wird, zieht sich durch Haaksmans gesamte Karriere. „Mir ging
es immer um die maximal größte Durchmischung, um Anti-Authentizität“,
erklärt er.
„With Love, From Berlin“ klingt allerdings gar nicht unbedingt nach
Wildwuchs. Die aus der Vielstimmigkeit entstehenden Reibungen kommen eher
subtil daher – und brechen mit manchem Berlin-Klischee. Ihm war, so erklärt
Haaksman, wichtig, dass gleich der erste Track, „Corpo Sujeito“,
ultra-sanft und sinnlich daherkommt: „Berlin gilt ja immer als hartes
Pflaster, auch musikalisch betrachtet: extremes Feiern, extreme
Abstraktion. Das war auch schon zu der Post-Punk-Zeit so. Berlin war ja
immer so eine Antistadt, in der Gefühl die letzte Kategorie ist. Ich trete
den Gegenbeweis an.“
Aber die Musik auf Haaksmans Album ist kein Schaumbad. In „Occupy Berlin“
reflektiert Kalaf Ângelo über seinen Kulturschock, der zunächst ausblieb,
als er vor zehn Jahren in Berlin ankam – und sich dann durch die Hintertür
doch einschlich. Jetzt freut er sich über jedes schwarze Gesicht im
Stadtbild und wünscht sich, dass mehr Afrikaner nach Berlin kommen – allein
schon, weil Berlin die Stadt war, in der die Kolonialmächte auf Einladung
des damaligen Reichskanzlers Otto von Bismarck mit der sogenannten
Kongokonferenz 1884 die Aufteilung des Kontinents festzurrten.
„Über diese Konferenz wissen die Deutschen kaum etwas – obwohl damals durch
die willkürliche Grenzziehung ein Sargnagel in den afrikanischen Kontinent
gerammt wurde. Heute kämpfen die Afrikaner immer noch mit den Folgen der
seinerzeit angelegten Konfliktlinien“, erklärt Haaksman das
in-your-face-mäßigste Stück seines Albums.
Neben den Songs mit GastsängerInnen gibt es auch Instrumentals, die den
interkulturellen Dialog auf je eigene Weise führen. Etwa „Overture“, für
das Kammermusiker ein Motiv eines Tangoklassikers eingespielt haben. „Das
war meine Antwort auf den Trend im Baile Funk, Klassik zu samplen“ erklärt
Haaksman. Der berühmtester Baile-Song überhaupt, MC Fiotis „Bum Bum Tam
Tam“, sampelte eine Bach-Fuge. „Schließlich ist Berlin, neben Wien, auch
Welthauptstadt der Klassik“, sagt Haaksman – mit einem Augenzwinkern.
Überhaupt hat „With Love, From Berlin“ etwas Verspielt-Luftiges – auch w…
Haaksman auf dem Albumcover-Foto extra unlässig als Tourist posiert. Den
Umstand, dass Berlin für viele doch ein Sehnsuchtsort ist, und den damit
einhergehenden Massentourismus sieht er mit einem weinenden und einem
lachenden Auge. „Klar ist es schlimm, wenn manche Kieze nun völlig auf
touristische Bedürfnisse ausgelegt sind. Doch ohne Touristen gäbe es auch
weniger Publikum für das gefeierte Kulturleben. Mir gefällt schon, dass
Berlin internationaler geworden ist.“
29 Jan 2019
## AUTOREN
Stephanie Grimm
## TAGS
Daniel Haaksmann
Global Pop
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Hebbel am Ufer
Schwerpunkt Brexit
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