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# taz.de -- Global Pop aus Brasilien: Der neue Funk aus den Favelas
> In Brasilien ist Brega Funk der Sound der Stunde. Das neue
> Tropical-Bass-Genre aus der Stadt Recife ist eine Fusion zweier bekannter
> Stile.
Bild: Rasante Schrittfolgen: Tänzer auf einer Brega-Funk-Party in Recife
Bum-tschi-bum-tschick, bum-tschi-bum-tschick: Ein von Bassdrum und Snare
gespielter Loop in zwei Takten, der es in sich hat. Wohl kein anderer
Rhythmus hat die Clubmusik der letzten dreißig Jahre derartig geprägt wie
der sogenannte Dembow.
Ursprünglich war er 1990 vom [1][jamaikanischen] Studioduo Steely und
Clevie für den gleichnamigen Dancehall-Song von [2][Shabba Ranks]
eingespielt worden. Dann wurde er in Panama, Puerto Rico und der
Dominikanischen Republik aufgegriffen, abgewandelt und in den Nullerjahren
zum Grundgerüst des karibischen [3][Reggaeton]. Heute wird er von Popgrößen
wie [4][Justin Bieber] verwendet.
Und zuletzt trat der Dembow schließlich in Brasilien seinen Siegeszug an.
Dort wurde er zum Markenzeichen eines neuen Genres aus Recife – des
[5][Brega Funk].
## Zum Hüftschwung geeignet
Der auf schweren Bässen und dem Dembow-Offbeat beruhende Tropical-Bass-Stil
hat sich in kurzer Zeit zum neuen großen Ding in Brasilien entwickelt. Mit
80 bis 90 Beats per minute (bpm) wird der Brega Funk im mittleren Tempo
gespielt, was sich ganz wunderbar für expressive Körperbewegungen und zum
Hüftschwung eignet.
[6][Dadá Boladão] ist der derzeit erfolgreichste Musiker des Genres. Das
Leben des erst 26-Jährigen hat sich in nur drei Jahren komplett gewandelt:
Lebte er früher in einem baufälligen Häuschen in der Peripherie Recifes,
gehört ihm inzwischen ein Apartment im schicken Viertel Boa Viagem ganz nah
am Meer.
„Heute braucht ein Jugendlicher aus einer Favela der Stadt nur noch ein
Notebook und ein Handy, um seine Familie zu ernähren“, [7][sagt] Boladão –
zumindest was ihn betrifft, stimmt diese Aussage. Sein größter Hit
[8][„Surtada“] im Remix mit Tati Zaqui und OIK hat mehr als 200 Millionen
Clicks bei YouTube. International erfolgreich war dagegen vor allem
[9][„Bum Bum Tam Tam“] von MC Fioti. So hat Brega Funk dabei geholfen, die
Kultur der Peripherie aus der Marginalisierung zu holen und in den
Mainstream zu hieven.
Der zusammengesetzte Begriff Brega Funk deutet an, dass sich der Stil aus
verschiedenen Einflüssen speist. Wobei die geografische Lage Recifes im
Nordosten Brasiliens eine wichtige Rolle spielt: Aus Belém an der
Amazonasmündung, ganz hoch im Norden, kamen der romantisch-kitschige Brega
und karibische Rhythmen, aus den Favelas von Rio de Janeiro im Süden der
scheppernde Elektro des vom Miami Bass beeinflussten Baile Funk.
Die Mischung aus Funk-Raps und dem Synth-Pop vom Amazonas ergab, zumeist
auf dem Gerüst des Dembow-Rhythmus, den Brega Funk.
In der Regel werden die Songs dabei zu Hause am Computer produziert, und
die dazugehörigen Videos, wenn kein besseres Equipment zur Verfügung steht,
mit einer Handykamera aufgenommen. Mit einem Heimvideo ihres Songs
[10][„Envolvimento“] gelang der damals erst 15-jährigen MC Loma und ihren
beiden Tänzerinnen zum Karneval 2018 dann auch der erste Brega-Funk-Hit.
Der war so mit Slangbegriffen gespickt, dass MC Loma eigens ein Erklärvideo
dazu herausbrachte: Der „schuppige Fisch“, von dem sie rappt, meint so viel
wie Bad Guy, im Refrain heißt es dann: „Schuppen sind nur was für Fische.“
Das ist auch eine Replik darauf, dass die männlichen Brega-Funk-MCs in
ihren Songs oft davon tönen, was für tolle Hechte sie sind, wenn sie sich
nicht über den umwerfenden „bum bum“, also den Po einer Frau auslassen.
Immer wieder geht es aber auch darum, wo der Brega Funk herkommt. So rappt
MC Nedved in seinem Hit [11][„Tome Baby“]: „Sie liebt die Favela“, wäh…
eine junge Frau in einem provisorisch eingerichteten Backsteinhäuschen um
ihn herum scharwenzelt.
Tanzgruppen, die „Passinhos“, sind fester Bestandteil des Brega Funk und
dafür verantwortlich, dass fast jedes neue Lied eine eigene Choreografie
bekommt. Angesagt ist etwa der [12][„Passinho dos maloka“] mit rasanten
Schrittfolgen und schnellen Bewegungen der Hände in Richtung Hüfte. Viele,
die früher auf der Straße abgehangen haben, seien mittlerweile Tänzer, sagt
Boladã.
## Vertreibung aus der Öffentlichkeit
Allerdings gibt es bis heute immer wieder Ärger mit der Polizei, welche die
Tänzer*innen weiterhin regelmäßig und manchmal auch mit Gewalt von
öffentlichen Plätzen in Recife vertreibt. Es bleibe aber wichtig, raus aus
den Favelas in die Öffentlichkeit zu kommen, betont Tänzer Artur von den
bekannten Magnatas do Passinho: „Für uns ist es sicherer, diese Orte
besetzt zu halten. Hier haben wir mehr Sichtbarkeit, und es gibt weniger
Repression.“
Die weltoffene und zugleich auf seine musikalischen Traditionen wie Forró
und Maracatú stolze Stadt Recife war schon einmal das Zentrum einer
musikalischen Bewegung, als [13][Chico Science und seine Band Nação Zumbí]
Anfang der 1990er Jahre den Mangue Beat schufen. Der war aber im
Wesentlichen getragen von Bürgerkindern, während mit dem Brega Funk nun die
Armenviertel der Stadt und ihre Bewohner*innen in den Fokus rücken.
Vorgehalten werden dem Brega Funk häufig seine sexistischen Texte – siehe
das Besingen der Frauenhintern. Dadá Boladão zuckt die Achseln und sagt,
das sei eben Teil der „Kultur der Peripherie“ und man müsse zudem nicht
alles wörtlich nehmen – die Songs erzählten häufig „eine fiktive
Geschichte, so wie ein Film“. Und langsam setzen weibliche MCs im Brega
Funk auch die Geschlechterfrage auf die Agenda.
Zum Festival „Rec-Beat“ im Februar war etwa Rayssa Dias geladen, deren
Lieder von starken Frauen („Foda Demais“) und männlicher Gewalt ([14][„F…
na tua“]) handeln. „Ich spreche bei meinen Shows am Anfang immer davon,
dass ich eine schwarze Frau bin und aus der Peripherie komme. Es ist jetzt
der Moment für uns, unsere Existenz zu bekräftigen“, [15][sagt] sie.
Dieser Text ist in der Verlagsbeilage taz thema global pop erschienen.
10 May 2020
## LINKS
[1] /Julian-Henriques-ueber-Jamaika/!5585496
[2] https://www.youtube.com/watch?v=VQqwea8ZSbk
[3] https://www.youtube.com/watch?v=CCF1_jI8Prk
[4] https://www.youtube.com/watch?v=fRh_vgS2dFE&list=PLEkLVH-GAXj2_hXaeiJB9…
[5] https://www.youtube.com/watch?v=3qLr-qILt1k
[6] https://www.youtube.com/channel/UCuy2a24fVwxQ6b0es4a_1Lw
[7] https://www.bbc.com/portuguese/salasocial-51241702
[8] https://www.youtube.com/watch?v=vhPhZbO7OXE
[9] https://www.youtube.com/watch?v=_P7S2lKif-A
[10] https://www.youtube.com/watch?v=lgJOJAmXlBw
[11] https://www.youtube.com/watch?v=sbWhIJqJUvQ
[12] https://www.youtube.com/watch?v=K4-6MV4LAbg
[13] https://www.youtube.com/watch?v=3bCW4B-kk-4
[14] https://www.youtube.com/watch?v=51DIdK-UILg
[15] https://g1.globo.com/pe/pernambuco/carnaval/2020/noticia/2020/02/19/mulher…
## AUTOREN
Ole Schulz
## TAGS
Brasilien
Südamerika
Funk
Brasilien
Global Pop
Wohnungsnot
Brasilien
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