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# taz.de -- Rüstungsgüter in Konfliktregion: Mit Zwischenstopp nach Baku
> Gegen Aserbaidschan gilt seit 30 Jahren ein Waffenembargo der OSZE.
> Trotzdem besitzt die Armee Militär-Lkws von Mercedes.
Bild: Daimler-Lkw mit israelischem Mörser 2013 auf Militärparade in der aserb…
Berlin taz | Die aserbaidschanische Armee präsentiert ihre deutschen
Militärlastwagen mit Stolz. Auf YouTube [1][ist zum Beispiel zu sehen], wie
drei der Fahrzeuge von Mercedes-Benz während einer Parade durch die
Hauptstadt Baku rollen. Auch auf Fotos, die der taz vorliegen und die bis
ins Jahr 2012 zurückreichen, sind die Lkws gut zu erkennen.
Fest auf ihrem Heck installiert: schwere Mörser vom Typ Cardom, die Ziele
im Umkreis von mehreren Kilometern mithilfe von Hightechsensoren punktgenau
beschießen können. In einer Broschüre wirbt der israelische Hersteller
Elbit Systems mit der „Präzision“, der „massiven Feuerkraft“ und der
„Transportfähigkeit“ dieser Geschütze.
Rüstungsspezialisten von Greenpeace sind vor Kurzem auf die Aufnahmen
gestoßen. Die Rechercheure der Umwelt- und Friedensorganisation waren
sofort alarmiert. Denn: Für Aserbaidschan gilt seit fast 30 Jahren ein
Waffenembargo der OSZE. Die Mitgliedstaaten der Organisation haben sich
darauf geeinigt, weder der Regierung in Baku noch dem Nachbarland Armenien
Rüstungsgüter zu liefern.
Grund ist der Krieg um die Grenzregion Bergkarabach, in dem in den 1990er
Jahren Tausende Menschen starben. Bis heute flammt der Konflikt immer
wieder auf. Dazu kommen [2][gravierende Menschenrechtsverletzungen] des
aserbaidschanischen Regimes, dem Amnesty International unfaire
Gerichtsverfahren, willkürliche Festnahmen und verdächtige Todesfälle in
Gefängnissen vorwirft.
Dem Embargo entsprechend genehmigen die deutschen Behörden tatsächlich nur
selten Waffenexporte in das Land. Die Rüstungsexportberichte der
Bundesregierung enthalten zwar immer mal wieder Lieferungen nach
Aserbaidschan, oft geht es dabei aber um Geländewagen oder
Feuerwehrfahrzeuge, die wohl nur formell als Rüstungsgüter eingestuft sind.
Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums werden „nur in Ausnahmefällen
Genehmigungen erteilt“ – und das auch nur für Güter, die „nicht für ei…
militärische Verwendung im Bergkarabach-Konflikt geeignet sind“.
Die auf den Aufnahmen zu sehenden Mercedes-Lkws vom Modell Atego, das
Daimler ab 2004 produzierte, wären dafür aber sehr wohl geeignet. Die
Fahrzeuge auf den Fotos sind eindeutig für militärische Zwecke ausgerüstet.
Lackiert sind sie in Tarnfarben. Am Heck befinden sich geländefähige,
ausfahrbare Stützen, die normalerweise genutzt werden, um den Rückstoß von
Geschützen abzufedern. Auf das Dach der Fahrerkabinen sind auffällige,
dreieckig geformte Aufbauten montiert – womöglich beinhalten sie die
Sensoren des Waffensystems.
Wie kann es sein, dass solche Lastwagen und die darauf installierten Mörser
trotz Embargo nach Aserbaidschan gelangten?
## Israel exportiert trotz Embargo
Zumindest für die Mörser lässt sich der Weg relativ sicher nachvollziehen:
Das schwedische Friedensforschungsinstitut Sipri hat in seiner Datenbank
verzeichnet, dass Aserbaidschan im Jahr 2008 zehn der Geschütze direkt in
Israel bestellt und sie zwischen 2010 und 2011 erhalten hat. Israel ist
zwar offizielles Partnerland der OSZE, fühlt sich an deren Embargo aber
nicht gebunden.
Die israelische Rüstungsindustrie macht mit Aserbaidschan gute Geschäfte,
das Land mauserte sich in den vergangenen Jahren zum zweitbesten Kunden
israelischer Waffenbauer. Den Israelis geht es dabei nicht nur ums Geld:
Die Regierung in Jerusalem sieht in der Kaukasusrepublik, die direkt an den
Iran grenzt, auch einen strategischen Partner.
Wie die Mercedes-Lastwagen nach Aserbaidschan gelangten, lässt sich nicht
so leicht nachvollziehen. Theoretisch wäre denkbar, dass sie mit all ihrer
militärischen Ausstattung, aber ohne die Mörser, direkt nach Aserbaidschan
geliefert und dort mit den Geschützen bestückt wurden. Mit der
Camouflage-Lackierung und den restlichen militärischen Komponenten wären
die Lkws aber relativ eindeutig als Rüstungsgut im Sinne der
Außenwirtschaftsverordnung einzustufen gewesen. Und das heißt: Der Export
wäre nur mit behördlicher Genehmigung möglich gewesen.
In den Rüstungsexportberichten der Bundesregierung taucht so eine
Genehmigung aber nicht auf. Auf Nachfrage bestätigt das
Wirtschaftsministerium, im fraglichen Zeitraum „keine Genehmigungen für die
Ausfuhr militärischer Lkws nach Aserbaidschan erteilt“ zu haben.
## Umweg über Nahost?
Der zweite denkbare Weg: Die Militär-Lkws wurden zunächst nach Israel
exportiert, dort mit den Mörsern ausgestattet und weiter nach Aserbaidschan
geliefert. Im deutschen Rüstungsexportbericht 2010 ist tatsächlich die
Genehmigung für eine Lkw-Lieferung nach Israel gelistet, allerdings ohne
Angaben zu Hersteller, Modell und Anzahl.
In diesem Fall hätte der Mercedes-Kunde in Israel eigentlich schriftlich
erklären müssen, dass die Lkws im Land verbleiben. Ansonsten erteilen die
deutschen Behörden generell keine Exportgenehmigungen. Ob diese Versprechen
auch eingehalten werden, lässt die Bundesregierung aber erst seit wenigen
Jahren kontrollieren – und das bisher auch nur stichprobenartig für
Kleinwaffen.
Die Grünen im Bundestag kritisieren das schon lange.
„Post-Shipment-Kontrollen dürfen sich nicht nur auf Kleinwaffen beziehen,
sondern müssen grundsätzlich für militärisches Gerät vorgesehen sein“, s…
die Abgeordnete Katja Keul, die sich schwerpunktmäßig mit Rüstungsexporten
beschäftigt.
Ihr Misstrauen ist durchaus berechtigt: Recherchen [3][tschechischer
Journalisten zufolge] verstieß der Elbit-Konzern, von dem auch die Mörser
stammen, in der Vergangenheit schon mindestens einmal gegen Regeln. Er
kaufte demnach Rüstungsgüter einer tschechischen Firma, unterschrieb dafür
eine Endverbleibserklärung, leitete die Ware dann aber direkt nach
Aserbaidschan weiter, ohne sie zuvor auch nur in Tel Aviv aus dem Flugzeug
geladen zu haben.
Ob es mit den Mercedes-Lastern ähnlich lief? Die israelische Botschaft in
Berlin ließ entsprechende Fragen der taz unbeantwortet – ebenso wie die
Vertretung Aserbaidschans.
## Daimler verteidigt sich
Denkbar ist aber auch noch ein dritter Weg: Vielleicht exportierte Daimler
oder ein Zwischenhändler die Lkws in einer zivilen Version. Sämtliche
militärische Komponenten erhielten sie dann erst in Israel oder direkt in
Aserbaidschan.
Auf diese Möglichkeit verweist der Stuttgarter Fahrzeug- und
Rüstungskonzern selbst. Einer Sprecherin zufolge erfuhr Daimler erst in der
vergangenen Woche durch die Anfrage der taz davon, dass die
aserbaidschanische Armee Mercedes-Lastwagen nutzt. Man habe garantiert
keine militärischen Fahrzeuge dorthin verkauft und könne auch nach einer
sorgfältigen Prüfung nicht nachvollziehen, wie das Regime an die Lkws
gelangte.
Die Sprecherin schreibt weiter: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass es
gänzlich außerhalb unserer Kontrolle und Verantwortung ist, welche Verkäufe
insbesondere gebrauchter Fahrzeuge über Dritte getätigt werden oder welche
Aufbauten/Systeme über Dritte auf Mercedes-Benz-Lkw-Chassis montiert
werden.“
Das Greenpeace-Team, das die Aufnahmen aus Aserbaidschan entdeckt hatte,
bringt das erbetene Verständnis allerdings nicht auf. „Jeder
Rüstungskonzern ist am Ende des Tages dafür verantwortlich, wo sein
Kriegsgerät landet. Das gilt für Daimler genauso wie für Rheinmetall und
Heckler & Koch“, sagt Alexander Lurz, der als Abrüstungsexperte für die
Organisation arbeitet. Man könne so langsam „nicht mehr zählen, wo überall
deutsches Kriegsgut auftaucht“, so Lurz. Das Einzige, was dagegen helfe,
sei ein „vollständiges Rüstungsexportverbot in alle Drittländer“.
Einen eigenen Entwurf für ein entsprechendes Gesetz, das Exporte in Länder
außerhalb der EU zumindest stark einschränkt, hatte Greenpeace Anfang des
Jahres vorgestellt. Der Entwurf sieht wenige Ausnahmen und viele Kontrollen
vor. Dass zivile Produkte deutscher Hersteller im Ausland militärisch
umgebaut werden, ließe sich zwar auch dadurch nicht verhindern. Zumindest
aber würde die Wahrscheinlichkeit sinken, dass deutsche Rüstungsgüter an
Embargos vorbei in den Krisengebieten der Welt landen.
17 Apr 2020
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=WChyXlSVMLs&feature=youtu.be&t=1324
[2] /Corona-in-Aserbaidschan/!5670971
[3] https://www.jpost.com/jerusalem-report/bad-arms-deals-558728
## AUTOREN
Tobias Schulze
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