# taz.de -- Hilfen für Kulturschaffende in Berlin: „Unendlich viel Solidarit… | |
> Kreative in Berlin leben auch unter normalen Bedingungen oft prekär. Wie | |
> das Land und die Menschen jetzt helfen können, sagt Daniel Wesener | |
> (Grüne). | |
Bild: Sound of silence: die Konzertsäle sind dicht | |
taz: Herr Wesener, Angela Merkel hat vergangene Woche in ihrer | |
Fernsehansprache von der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg | |
gesprochen. Gilt das auch für die Kultur in Berlin? | |
Daniel Wesener: Viele Menschen fürchten um ihre wirtschaftliche Existenz. | |
Die allermeisten Kulturschaffenden und Kreativen haben schon in den | |
vergangenen Tagen gar kein Einkommen mehr gehabt. Für sie ist die Frage, | |
wie sie die nächste Miete oder den nächsten Einkauf bezahlen sollen, | |
bereits Realität. Und es sieht nicht so aus, als ändere sich daran etwas | |
[1][in den kommenden Wochen – und vielleicht sogar Monaten.] | |
Wie viele Menschen in Berlin sind von dem Lockdown des Kulturbetriebs | |
betroffen? | |
Es gibt unterschiedliche Schätzungen über die Anzahl der Erwerbstätigen im | |
Kulturbetrieb und in der Kreativwirtschaft, aber ich rechne mit mindestens | |
200.000 Menschen. Hier gibt es verglichen mit anderen Bundesländern | |
besonders viele Freiberufler. Berlin ist auch die Hauptstadt der so | |
genannten Solo-Selbstständigen …. | |
… de fakto also Ein-Personen-Firmen … | |
… und von denen arbeiten im Kulturbereich auch in normalen Zeiten etwa 80 | |
Prozent [2][unter prekären Bedingungen.] | |
Der Senat hat jetzt ein Hilfsprogramm aufgelegt: Zum einen gibt es einen | |
Notfonds, zum anderen hat der Regierende vergangene Woche Hilfen in Höhe | |
von je bis zu 15.000 Euro für sie [3][angekündigt]. Was gilt da nun? | |
Der Senat hat vergangene Woche zwei Hilfsprogramme im Umfang von insgesamt | |
bis zu 600 Millionen Euro beschlossen. Die eine Hälfte und Säule sind | |
Liquiditätshilfen, also Krediterleichterungen, für kleine und mittlere | |
Unternehmen, auch in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Die zweite Säule | |
mit ebenfalls 300 Millionen Euro sind Soforthilfen für Solo-Selbstständige | |
und Kleinstbetriebe mit bis zu fünf Beschäftigten. Die können in einem | |
ersten Schritt 5.000 Euro beantragen – man kann aber nach einigen Monaten | |
auch einen erneuten Antrag stellen. | |
Sind das Darlehen? | |
Die Mittel der ersten Säule sind Darlehen, die Soforthilfe II ist ein | |
Zuschuss, also – wenn man so will – cash. | |
Ist denn schon klar, wo diese Hilfen beantragt werden können? | |
Manches ist bisher leider nur angekündigt. Der Berliner Senat hat zwar | |
relativ schnell Entscheidungen getroffen. Aber hier gilt wie bei Gesetzen: | |
Erst wenn die Ausführungsvorschriften oder Richtlinien fertig sind und die | |
Antragsformulare wirklich vorliegen, weiß man, wie das Ganze genau | |
funktioniert. Daran wird mit Hochdruck gearbeitet. Ich mache mir allerdings | |
schon Sorgen, dass wir damit nicht alle erreichen werden, die wir erreichen | |
wollen. | |
Wieso nicht? | |
Wir haben etwa das Problem, dass Betroffene erst einmal verpflichtet sind, | |
auf „normale“ staatliche Hilfen zurückzugreifen. Es kann also sein, dass | |
Kulturschaffende zunächst klären müssen, ob sie grundsicherungsberechtigt | |
sind. Damit stellt sich die nächste Frage, nämlich wie sich das zu der | |
geplanten Soforthilfe verhält. | |
Konkret heißt das für jene, die schon heute nicht wissen, wie sie Einkauf | |
oder Miete bezahlen sollen: Abwarten und erst mal Steuer stunden? | |
Das ist zu befürchten. Es gibt Bundesländer, die sehr kulant sind und | |
ebenso schnell wie unbürokratisch auszahlen. Das sollten wir in Berlin auch | |
tun: Wir müssen schleunigst das Geld zu denjenigen kriegen, die es jetzt | |
wirklich brauchen. Wenn sich dann später herausstellen sollte, dass | |
Einzelne gar nicht anspruchsberechtigt waren, kann man den Zuschuss zum | |
Beispiel immer noch in einen zinslosen Kredit umwandeln. | |
Was heißt schleunigst? | |
Ich erwarte, dass noch in dieser Woche die wesentlichen Details geklärt | |
werden: Wer kann wo und wie einen Antrag stellen und wann kommt das Geld. | |
Angesichts der unklaren zeitlichen Perspektive sind 5.000 Euro nicht viel. | |
Wird da noch mehr kommen? | |
Das kann ich nur hoffen. Denn es ist ja jetzt schon absehbar, dass das | |
nicht reichen wird: Es wird weitere Hilfen vom Land, aber vor allem auch | |
vom Bund geben müssen. Und ich plädiere dafür, ein eigenes Programm nur für | |
Kulturschaffende und Kreative zu schnüren, wie es etwa Hamburg angekündigt | |
hat. Zumal einzelne Gruppen bis heute nicht wissen, wie es für sie weiter | |
geht: Zum Beispiel die vielen Honorarkräfte, die in öffentlichen | |
Kultureinrichtungen wie den bezirklichen Musikschulen arbeiten. | |
Was wäre da denkbar? | |
Etwa eine allgemeine Regelung, dass Honorarmittel, die im Haushalt | |
eingestellt sind, auch weiter ausgezahlt werden. Oder dass es zumindest | |
Ausfallhonorare gibt, analog zum Kurzarbeitergeld, wie das in | |
Nordrhein-Westfalen offenbar der Fall ist. Ähnliches gilt für die | |
Projektförderung für Künstler und freie Gruppen, deren Projekte jetzt nicht | |
mehr stattfinden können. Und dann müssen wir überlegen, wie wir die | |
Verluste der landeseigenen Kulturbetriebe – etwa der öffentlichen Theater | |
und Museen – ausgleichen. Ihnen fehlen durch ausbleibende Eintrittsgelder | |
jeden Monat rund 15 Millionen Euro. | |
Kommt das Geld dafür aus dem Landeshaushalt? | |
Das ist möglich. Wir werden dieses Jahr über mindestens einen | |
Nachtragshaushalt reden müssen, spätestens wenn die Zahlen der | |
Steuerschätzung im Mai vorliegen. Und dann wird man die Ausnahmeregelungen | |
von der Schuldenbremse, die auch für Berlin dieses Jahr in Kraft getreten | |
ist, aktivieren müssen. Ich gehe fest davon aus, dass auch das | |
Abgeordnetenhaus davon Gebrauch machen wird. | |
Rückblickend waren die Theater und Konzertsäle die ersten, die zugemacht | |
wurden. Werden sie auch die letzten sein, die wieder aufmachen? Und wann? | |
Ich will keine Prognosen zu Sachverhalten in die Welt setzen, von denen ich | |
wenig verstehe – das sollten Experten wie Virologen und Amtsärzte | |
beurteilen. Wir Kulturpolitiker werden am Ende des Jahres Bilanz ziehen | |
müssen und in der Zwischenzeit versuchen, den Kulturschaffenden und | |
Kreativen bestmöglich zur Seite zu stehen. | |
Was können denn jene Menschen, die Kultur vor allem konsumieren, jetzt tun: | |
Wie können sie die Szene unterstützen? | |
Das Großartige an der Kulturszene ist, dass sie sich auch in solchen Zeiten | |
äußerst kreativ zeigt. Es gibt unendlich viel Solidarität untereinander und | |
etliche smarte öffentliche Kampagnen. Gäste werden etwa gebeten, bereits | |
gekaufte Tickets nicht zurückzugeben, wenn sie das Geld nicht selbst | |
dringend brauchen. Der Kulturbereich zeigt, wie Solidarität ganz praktisch | |
funktionieren kann. Und wie man die Chancen der Digitalisierung in der | |
Krise für sich nutzt. | |
Viele Bühnen, Konzertveranstalter und Clubs streamen live oder stellen | |
frühere Aufführungen ins Netz. Wie verändert das die Wahrnehmung von | |
Kultur? | |
Die Digitalisierung hat den Kulturbereich ja schon vorher nachhaltig | |
verändert. Zum einen in der künstlerischen Auseinandersetzung damit, zum | |
anderen was zusätzliche Möglichkeiten angeht, das Publikum zu erreichen. | |
Theater und Museen werden immer Orte sein, bei denen die physische Präsenz | |
oder das authentische Objekt das Besondere ausmacht. Gleichzeitig können | |
digitale Angebote dazu beitragen, eine niedrigschwellige Teilhabe am | |
Kulturleben sicher zu stellen. | |
Indem man neue, breitere Zuschauerschichten erreicht? | |
Genau. | |
Wenn alte Gewohnheiten wegbrechen, wie ins Konzert oder ins Theater zu | |
gehen, und man sich umgewöhnen muss: Führt das zu weniger Kulturkonsum? | |
Das glaube ich nicht. Vielleicht hat die Kultur das große Glück, dass | |
gerade in der Krise viele Menschen auf der Suche nach Ablenkung und | |
Beschäftigung, nach Information und Reflexion auf Angebote stoßen, die sie | |
bisher gar nicht kannten und danach nicht mehr missen wollen. | |
24 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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