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# taz.de -- Verlegerin über Corona-Krise: „Die meisten haben keine Rücklage…
> Unabhängige Verlage und kleine Buchläden sind durch die Coronakrise
> bedroht. Britta Jürgs von der Kurt Wolff Stiftung erläutert, was helfen
> könnte.
Bild: Corona bedroht unabhängige Verlage und kleine Buchläden wie „Buchkön…
taz: Frau Jürgs, die Leipziger Buchmesse wurde abgesagt, die lit.cologne
fällt aus, jetzt haben in fast allen Bundesländern die Buchläden
geschlossen. Was bedeutet die Coronakrise für die Buchbranche?
Britta Jürgs: Die Coronakrise ist für die gesamte Buchbranche eine
Katastrophe – für die Autor*innen, die Verlage und vor allem für die
kleinen Buchhandlungen. Die (völlig richtige) Absage der Leipziger
Buchmesse war für uns Verlage bereits sehr bitter, da es der Ort ist, an
dem die unabhängigen Verlage eine besondere Aufmerksamkeit erfahren.
Sie vertreten mit der Kurt Wolff Stiftung (KWS) die kleinen und
unabhängigen Verlage. Hat die Coronakrise das Potenzial, viele dieser
Verlage zu zerstören?
Die vergangenen Jahre und Monate waren für uns bereits sehr hart. Wir
mussten die [1][VG-Wort-Rückzahlungen] sowie die [2][Insolvenz des
Zwischenbuchhändlers KNV] und die Portoerhöhungen bei Büchersendungen
auffangen. Die meisten von uns haben daher keine Rücklagen, um noch mehr
Engpässe zu überstehen.
Welche Hilfen braucht es in dieser Ausnahmesituation?
Kredite und weitere Schulden nutzen den meisten von uns nichts – wir
brauchen jetzt schnelle und unbürokratische Finanzspritzen, die unsere
Existenz in den nächsten Wochen und Monaten sichern.
Die Bundesregierung hat ein 40-Milliarden-Hilfspaket für Selbstständige
und Kleinunternehmen angekündigt, 10 Milliarden als Zuschuss, 30 Milliarden
als Darlehen. Wie beurteilen Sie den Vorstoß?
Prinzipiell begrüße ich das natürlich und finde es ungeheuer wichtig für
kleine Buchhandlungen, Programmkinos und viele andere Kleinunternehmen und
Initiativen. Aber was den Buchhandel betrifft, werden Darlehen den
Kollaps der kleinen Läden und Verlage nur hinauszögern. Auch deshalb
unterstütze ich parallel die Initiative, über vorerst sechs Monate ein
bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen.
Mit #findyourbookstore, genialokal.de und weiteren Initiativen gibt es
Aktionen, mit denen die Sichtbarkeit der kleinen Buchläden aufrechterhalten
werden soll. Liegt darin nicht ein Potenzial, die Krise deutlich
abzufedern?
Das sind allesamt sehr schöne und wichtige Initiativen, auch die
Lesungsstreamings oder Social-Media-Buchoffensiven, aber allein durch
solche Aktionen werden die schon jetzt bemerkbaren Umsatzeinbrüche nicht
abgefedert werden können.
Könnte es nicht auch sein, dass in der Coronakrise wieder mehr Bücher
gekauft werden?
Vermutlich wird der Lesestoff bei den meisten nun vor allem mit den
bekannten Namen gedeckt und nicht mit den weniger sichtbaren Büchern aus
Indie-Verlagen. Ich befürchte, dass die Auswirkungen der Coronakrise
tatsächlich dazu führen werden, dass die Vielfalt weiter verlorengeht und
immer mehr Verlage und Buchhandlungen Insolvenz anmelden müssen.
Amazon hat angekündigt, Bücher vorerst nachrangig zu behandeln und
lebensnotwendige Waren zu priorisieren. Eine Chance für den Buchhandel?
Ja, darin zumindest liegt auch eine Chance. Bücher haben dank der
Buchpreisbindung überall denselben Preis – und den Service, den gerade
unabhängige Buchhandlungen bieten, kennt kein Onlineversender – viele
liefern derzeit sogar die Bücher mit dem Fahrrad an die Haustür.
Zwei Dinge haben die unabhängige Verlage ohnehin schon vor Probleme
gestellt: Zum einen haben die Barsortimente die Zahl der Titel
eingeschränkt, weshalb viele Bücher irrtümlicherweise als nicht lieferbar
galten. Und das Porto der Büchersendungen ist um bis zu 60 Prozent erhöht
worden. Was können Sie als KWS dagegen tun?
Wir können es nur thematisieren und darauf hinweisen – und hoffen, dass
gegengesteuert wird. Die Sache mit den Büchersendungen ist katastrophal für
kleine Buchläden und kleine Verlage. Die Auslistungen an sich wären kein
Problem – ein Problem entsteht dann, wenn der Eindruck entsteht, es gäbe
die Bücher nicht mehr. In guten Buchhandlungen wird man aber nicht hören,
es gäbe etwas aus dem Grund nicht, nur weil die Großhändler es nicht
listen. Zu dieser Information muss es aber erst mal kommen, leider ist das
überhaupt nicht selbstverständlich, weil viele sich nur noch an den
Barsortimenten orientieren.
Man wird jetzt noch mehr über Förderungen der kleinen Verlage diskutieren.
Hilft der 2019 erstmals vergebene Deutsche Verlagspreis, bei dem mehr als
60 Verlage mit 15.000 Euro (ab 2020: 20.000 Euro) prämiert werden, in
diesen prekären Branchen nun überhaupt weiter?
Er ist auf jeden Fall ein guter Schritt in die richtige Richtung. Preise
bedeuten auch Anerkennung und Wertschätzung, das zählt mindestens genauso
viel wie das Finanzielle. Der Deutsche Verlagspreis hilft weiter – aber es
müsste über ihn hinaus weitere strukturelle Förderungen geben.
Befürworten Sie eine Verlagsförderung nach österreichischem Modell, die auf
Antrag und mit gestaffelten Förderbeträgen vergeben wird, mit einem
unabhängigen Fachgremium, das darüber entscheidet?
Auf jeden Fall. Es gäbe aber auch noch viele andere Möglichkeiten, Verlage
zu unterstützen, ob nun durch die Unterstützung von Messeständen oder von
anderen Aktivitäten zur Förderung besonders schwieriger Buchprojekte.
Die Kurt Wolff Stiftung wird in diesem Jahr zwanzig Jahre alt. Wie hat sich
die Situation der unabhängigen Verlage in dieser Zeit insgesamt verändert?
Viele Buchhandlungen sind in dieser Zeit weggebrochen, gerade die, die sich
für unabhängige Verlage starkgemacht haben. Es gab einerseits eine
Entwicklung hin zu größeren Buchhandlungsketten und zu den
Onlineversendern, andererseits ist jedoch zunehmend eine Gegenbewegung
entstanden, kleinere Verlage haben sich zusammengeschlossen. Wir tun heute
mehr dafür, das Bewusstsein dafür herzustellen, dass es einen Unterschied
macht, ob Bücher aus einem Konzernverlag kommen oder aus einem unabhängigen
Verlag.
Welches sind die Unterschiede?
Es stehen unverwechselbare Personen hinter jedem Verlag, die für ein
bestimmtes verlegerisches Profil stehen und die nicht alle zwei Jahre
ausgetauscht werden. Das Ökonomische steht bei uns hintenan, wir sind in
erster Linie Überzeugungstäterinnen und -täter. Wir machen das nicht, weil
wir denken, es könne viel Geld einbringen, sondern weil wir an die Bücher
und die Autor*innen, an die Inhalte glauben. Auf dem Buchmarkt sichtbar zu
werden, wird immer schwieriger – gerade in dieser Zeit, in der es in den
traditionellen Medien weniger Platz für Literatur und für Buchrezensionen
gibt.
Zumindest in Medien wie den überregionalen Zeitungen und im Radio aber
scheint die Literatur ihren Platz doch behauptet zu haben.
Die Literatur ist noch da, aber das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass
es vor 15 oder 20 Jahren viel mehr Orte für Buchbesprechungen gab, ob im
Radio, in den Zeitungen oder in Zeitschriften und Magazinen. Das bedeutet
einen großen Verlust an Vielfalt. Und dass eine wunderbare
Literaturzeitschrift wie das „Literaturblatt für Baden-Württemberg“, das
gerade auch Bücher abseits des Mainstreams und der Bestsellerlisten
besprochen hat, nach 26 Jahren eingestellt werden musste, spricht Bände.
Dafür gibt es heute Buchblogs und Podcasts.
Ja, darunter viele wirklich tolle und auch einige weniger tolle Blogs,
ähnlich bei den Podcasts. Es gibt nicht mehr die wenigen großen Medien, die
viel bewirken, sondern eine viel vernetztere und verzweigtere
Öffentlichkeit. Und das ist natürlich generell gut so.
Frau Jürgs, welche drei Bücher empfehlen Sie für die Quarantäne?
Ich selbst freue mich sehr auf „Gimme More“ von Liza Cody, übersetzt von
Pieke Biermann und gerade im Argument Verlag neu aufgelegt. Ich empfehle
außerdem „Die Putzhilfe“ und andere Krimis von Regina Nössler aus dem
Konkursbuchverlag. Sehr beeindruckt haben mich auch die Reportagen von
Martha Gellhorn von 1931–1959, die von Norbert Hofmann übersetzt wurden und
unter dem Titel „Der Blick von unten“ in der Edition Tiamat erschienen
sind. Das Schöne dabei ist, dass es bald noch einen zweiten Band Reportagen
gibt: „Das Gesicht des Friedens“.
24 Mar 2020
## LINKS
[1] /Rueckzahlung-von-VG-Wort-Geld/!5354497
[2] /Insolvenz-des-Buchzwischenhaendlers-KNV/!5570849
## AUTOREN
Jens Uthoff
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