# taz.de -- Menschen mit systemrelevanten Berufen: Auf sie kommt es jetzt an | |
> In der Corona-Krise halten die Beschäftigten in Krankenhäusern, | |
> Supermärkten, Praxen das System am Laufen. 13 von ihnen berichten aus | |
> ihrem Alltag. | |
Bild: Ob in Brescia, Berlin oder Bamberg – viele Menschen gehen ein persönli… | |
## „Die Leute sehen uns mit anderen Augen“ | |
Nicole Meyer, 51, arbeitet als Supermarkt-Verkäuferin in Sulzbach | |
Seit Wochen kaufen die Kundinnen und Kunden alles leer, was sich lange | |
lagern lässt: Mehl, Nudeln, Dosengemüse. Schon bevor der Laden öffnet, | |
bildet sich eine Schlange vor der Tür. Die Menschen wollen als Erstes ihren | |
Einkauf erledigen. „Wir können die Regale gar nicht so schnell wieder | |
auffüllen, wie sie leergeräumt werden“, sagt Nicole Meyer. | |
Die Arbeit im Einzelhandel ist schlecht bezahlt. Das Bruttomonatsgehalt von | |
Verkäuferinnen und Verkäufern liegt laut einer Umfrage der | |
Hans-Böckler-Stiftung bei durchschnittlich 1.890 Euro. Zwei Drittel der | |
Befragten gaben an, unzufrieden mit ihrer Bezahlung zu sein. Die Arbeit der | |
Branche wird vor allem von Frauen geleistet: 70 Prozent der Beschäftigten | |
im Einzelhandel sind weiblich. Viele von ihnen arbeiten in Teilzeit, | |
kümmern sich um die Kinder oder pflegen nebenher Angehörige. | |
In dem Supermarkt, in dem Nicole Meyer arbeitet, fehlen aktuell fünf ihrer | |
Kolleginnen. Sie müssen ihre Kinder betreuen, weil Kitas und Schulen | |
geschlossen sind. Das bedeutet: mehr Arbeit und Überstunden für alle | |
anderen. Und da zurzeit tagsüber immer viele Kassen geöffnet sind, arbeitet | |
weniger Personal auf der Supermarktfläche. | |
Nicole Meyer leidet an Diabetes Typ 1 und gehört zur Risikogruppe. Sie | |
versucht positiv zu bleiben, obwohl sie selbst Angst vor dem Virus hat. | |
Kontakt zu Kundinnen und Kunden gehört schließlich zum Beruf dazu. Als | |
Vorsichtsmaßnahme gibt es bereits 1,5-Meter-Markierungen an den Kassen, von | |
denen auch nur noch jede zweite geöffnet wird, wegen des Abstands. | |
Die Stimmung der Menschen beim Einkauf habe sich verändert, erzählt Meyer. | |
Viele wirkten fast panisch. Es gebe aber auch Kundinnen und Kunden, die für | |
ihre Lage Verständnis zeigen. Die sich bedanken und ihr sagen, dass sie | |
froh sind über ihre Arbeit. „Ich habe das Gefühl, dass uns viele Menschen | |
durch diese Notlage mehr wertschätzen und mit anderen Augen sehen.“ Text: | |
Steven Meyer; Nicole Meyer ist seine Mutter | |
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## „Wir dürfen die anderen Patienten nicht vergessen“ | |
Luise Braun, 32, arbeitet als Krankenschwester an der UKS Homburg | |
„Bei uns im Krankenhaus gab es bisher nur einen Corona-Fall auf der | |
Intensivstation. Trotzdem beschäftigen wir uns auch bei uns auf der Station | |
für Nierenheilkunde fast nur mit Katastrophenplänen und damit, was kommen | |
könnte – und vergessen dabei fast, dass wir noch andere schwerkranke | |
Patienten haben, die unsere Hilfe brauchen. | |
Zum Beispiel haben wir angefangen, die Station in verschiedene Bereiche zu | |
teilen, in einen geschützten Bereich für immungeschwächte | |
nierentransplantierte Patienten, und in einen infektiösen Bereich, in den | |
könnten dann Corona-positive Fälle aufgenommen werden. Wie wir die | |
vorhandenen Patienten da einsortieren, darüber gab es vor ein paar Tagen | |
auch Missverständnisse und Diskussionen – also die Nerven liegen schon | |
blank gerade! Das merke ich auch bei der Hygiene. Die Basics hab ich | |
natürlich alle total verinnerlicht, aber momentan überprüfe ich alles | |
nochmal doppelt. Und erwische mich auch mal dabei, wie ich meine Kollegen | |
kritisch beäuge. | |
Aktuell werden auch die Einfahrten zum Krankenhaus kontrolliert, jeder muss | |
seinen Dienstausweis zeigen. Allerdings dürfen die Leute vom Ordnungsamt | |
wohl immer noch rein. Am Montag habe ich nämlich ein Knöllchen bekommen. | |
Schon jetzt steigt unsere Arbeitsbelastung, denn gerade werden von jeder | |
Station Leute abgezogen, um die Intensivstationen personell besser | |
auszustatten. Gestern hätten wir zum Beispiel eigentlich zu viert | |
gearbeitet – aber ein Kollege wurde in die Basics der Beatmung eingewiesen. | |
Zu dritt ging es auch ganz gut, denn wir haben ja auch alle Patienten | |
entlassen, die fit genug sind. | |
Seit Mittwoch habe ich eine Woche frei, das war schon vorher geplant. Aber | |
natürlich habe ich meinen Kollegen und Chefs gesagt, dass sie mich im | |
Notfall anrufen sollen. Es ist sicherlich gut, vor dem Sturm nochmal kurz | |
verschnaufen zu können, etwas Zeit im Garten und mit dem Dackel verbringen | |
zu können. Aber richtig ablenken kann ich mich halt auch nicht – ich kann | |
gerade an nichts anderes denken. | |
Bei alldem mache ich mir um mich selbst weniger Sorgen. Aber ich wohne mit | |
meiner 90-jährigen Oma unter einem Dach, da hab ich natürlich Angst, dass | |
ich irgendwas mitbringe.“ Protokoll: Michael Brake | |
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## „Wir halten die Ängste aus“ | |
Petra Schimmel, 61, leitet die Telefonseelsorge in Hamm | |
„Bei uns rufen Menschen an, die einsam sind, Depressionen oder Ängste | |
haben. Das Coronavirus verstärkt die Themen dieser Menschen. Wenn wir die | |
Anruferzahlen dieser Woche mit denen einer durchschnittlichen Woche aus | |
Februar oder Januar 2020 vergleichen, haben wir 50 Prozent mehr Anrufe. Es | |
sind ältere Menschen dabei, aber auch jüngere und aus allen Berufsgruppen. | |
Normalerweise ist nur eine Person am Telefon und eine im Chat. Jetzt haben | |
wir deutlich aufgestockt. | |
Wir tun, was wir immer tun: Wir sind da, und das verstärkt. Wir hören zu, | |
wir halten die Ängste aus. Und wir fragen: Was ist die Angst eigentlich? | |
Was steckt dahinter? Für mich geht es darum, das richtige Maß für alles zu | |
finden. Wer jetzt zu Hause sitzt, einsam ist und den ganzen Tag nur | |
Fernsehen schaut, dem versuche ich zu sagen, dass das zu viel ist und nur | |
Angst und Not verstärkt. Manchmal schweige ich auch mit den Anrufenden. Mit | |
anderen versuche ich eine Tagesstruktur zu entwerfen. | |
Für mich ist die Corona-Lage auch eine Chance, dass wir merken: Wie viel | |
brauchen wir eigentlich, um zu leben? Was bedeutet diese Lage für uns? Und | |
wie gut ist es, auch mal in Stille zu sein? Viele der Anrufenden können mit | |
Stille und Einsamkeit gar nicht umgehen. | |
Wahr ist auch: Viele Menschen, die bei uns arbeiten, gehören zur | |
Risikogruppe. Die meisten sind über 55 Jahre alt. Alle arbeiten im | |
Einzelbüro, für die Übergaben haben wir Regeln gefunden, um Abstand zu | |
halten und uns vor einer Ansteckung zu schützen. | |
Im Homeoffice zu arbeiten ist für uns nicht so einfach. Wer bei uns | |
arbeitet, schlüpft in eine Rolle, ist Beraterin. Zu Hause ist es viel | |
schwieriger, diese Rolle dann wieder abzustreifen. Wir haben | |
Supervisionsgruppen für alle Mitarbeitenden, um Themen aus dem Chat oder | |
aus den Telefongesprächen zu besprechen. Diese Gespräche können wir online | |
oder über Telefon machen. | |
Angst kann man nicht verbieten. Aber es ist gut, alles dafür zu tun, dass | |
die Angst uns nicht beherrscht. Eine gute Möglichkeit ist es, miteinander | |
zu reden.“ Protokoll: Tanja Tricarico | |
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## „Unsere Schutzbrillen dichten nicht ab“ | |
Hannah H., 26, ist Intensiv-Krankenschwester bei einer Leasingfirma in | |
Berlin | |
„Ich arbeite als Intensiv-Krankenschwester in einem Zeitarbeitsbetrieb, der | |
uns an die Berliner Intensivstation verleiht, die gerade am dringendsten | |
Schwestern und Pfleger braucht. Wir Leasing-Leute sind vor den | |
grenzwertigen Arbeitsbedingungen im Krankenhaussystem geflohen, zumindest | |
verdienen wir gut. | |
Schon ohne Corona-Fälle ist die Arbeit auf Intensiv fast nicht zu | |
bewerkstelligen, jetzt sollen wir ohne zusätzliches Personal die | |
zusätzlichen Corona-Patienten versorgen. Auch wenn jetzt mehr | |
Intensivbetten angeschafft werden – am Personal wird es mangeln. | |
Gesundheitsminister Spahn strebt einen Pflegeschlüssel von einer | |
Pflegekraft zu zwei Patienten an. Wir betreuen aber gerade eins zu vier | |
Patienten. Darunter sind schwerste Fälle, die jede halbe Stunde zu | |
reanimieren sind. Die Schwester, die jetzt für den abgeschotteten | |
Corona-Bereich zuständig sein soll, fehlt bei der übrigen Arbeit. Wenn die | |
Schichtleitung bei den Corona-Patienten war, kann sie bei anderen nicht mit | |
reanimieren. Die Übertragungsgefahr ist zu groß – die ist aber auch im | |
Team gegeben, weil man nie weiß, wer infiziert ist. | |
Patienten kommen bei uns fraglich instabil an und werden abgestrichen. Der | |
Test dauert aber 12 bis 24 Stunden, weil die Labore überlastet sind. Es ist | |
auch keine passende Schutzkleidung da. Die Schutzbrillen, die wir haben, | |
dichten nicht komplett bis unter den Mundschutz ab. Wir haben den Chefarzt | |
gefragt, wie wir das in der kommenden Zeit bewerkstelligen sollen, er | |
meinte darauf: ‚Ihr könnt mich steinigen, aber wir müssen jetzt halt alle | |
den Gürtel enger schnallen.‘ | |
Alle auf der Station reden sich im Moment den Mund fusslig. Die Schwestern | |
kommen zum Dienst und leisten, was sie schaffen. Jeder, der kann, muss | |
jetzt helfen, muss ans Bett. Einige haben ihren Urlaub abgesagt. Noch gibt | |
es nicht so viele schwerkranke Corona-Infizierte, aber wir sind nicht | |
gerüstet. Mal schauen, was in zehn Tagen ist. Wir Schwestern arbeiten immer | |
schon am Limit, jetzt wird auf uns geschaut. Ich hoffe, dass sich jetzt | |
auch was bewegt.“ Protokoll: Stefan Hunglinger | |
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## „Von Tag zu Tag das Richtige tun“ | |
Pamela Perona, 49, ist Ärztin für Allgemein- und Reisemedizin in Bamberg | |
taz am wochenende: Frau Perona, gerade haben Sie Sprechstunde. Was ist bei | |
Ihnen los? | |
Pamela Perona: Ich habe meine Sprechstunde aufgeteilt. Von 8.30 bis 10 Uhr | |
behandle ich Patienten, die nichts mit Corona zu tun und wichtige und | |
akute Anliegen haben. Einige von ihnen sitzen jetzt noch im Wartezimmer. An | |
Nachmittagen nehme ich Corona-Abstriche, das tue ich aber draußen im Hof. | |
Im Hof? | |
Wir haben einen Hinterhof mit einem Parkplatz für ein Auto. Die Leute | |
kommen im Viertelstundentakt, damit sie nicht aufeinandertreffen. Sie | |
klingeln. Dann werfen wir uns oben in die Montur, also die Schutzkleidung, | |
ich nehme den Abstrich an der Tür. Anschließend werden Türe und Klingel | |
desinfiziert. Zurzeit sind es vielleicht zehn bis fünfzehn Abstriche pro | |
Tag, das ist überschaubar. Außerdem habe ich sogenannte Pandemiedienste | |
übernommen, das heißt, ich fahre für Abstriche auch zu Menschen nach Hause. | |
Sie arbeiten deutlich mehr als sonst. | |
Ja, normalerweise arbeite ich etwa 40 Stunden, zurzeit sind es eher 60. | |
Als Ärztin sind Sie zurzeit besonders „systemrelevant“. Wie fühlt sich das | |
an? | |
Ganz ehrlich: Auch nicht wesentlich anders als sonst. Als Ärztin hat man | |
immer Verantwortung. Ich war immer bereit, dort zu arbeiten, wo Ärzte | |
wirklich gebraucht werden, dafür habe ich ja Medizin studiert. Zurzeit habe | |
ich vor allem Sorge um meine älteren Patienten und jene mit chronischen | |
Erkrankungen. | |
Um sich sorgen Sie sich nicht? | |
Nein. Ich habe lange am Tropeninstitut München gearbeitet und komme somit | |
aus der Infektiologie, da kann man keine großen Infektionsängste haben. Ich | |
finde es auch schwierig, wenn sich manche Ärzte jetzt nicht einbringen | |
wollen. Ein Pilot kann auch nicht sagen: Es ist schlechtes Wetter, ich | |
fliege nicht. Wenn ich meine zwei Kinder in Gefahr wüsste, würde mich das | |
sicherlich aus der Ruhe bringen. Aber das Virus ist für Jüngere nicht | |
gefährlicher als viele andere Keime, die uns umgeben. So geht es darum: Wie | |
können wir dafür sorgen, dass das System nicht kollabiert, dass die | |
vulnerablen Patienten geschützt sind? Ich passe natürlich auf, weil ich | |
kein Verteiler sein will, deshalb bin ich genau. | |
Was tun Sie? | |
Ich achte auf die Schutzkleidung, die Hygienemaßnahmen. Ich finde auch, | |
alle Menschen in den systemrelevanten Berufen sollten regelmäßig | |
abgestrichen werden, damit sie das Virus nicht weitergeben. Auch Hausärzte | |
müssten strikt Masken tragen. | |
Das machen sie bislang nicht? | |
Es ist im Moment noch sehr viel Unsicherheit da, vor allem bei | |
niedergelassenen Ärzten. Klare Vorgaben wären hilfreich. Sehr viele | |
Kollegen und Hilfskräfte sind sehr engagiert, das ist toll. Aber das | |
übergeordnete System ist träge. | |
Haben Sie dafür ein Beispiel? | |
Anfangs war vorgesehen, dass die Ärzte für Abstriche zu den Menschen nach | |
Hause kommen. Ich bin für einen körperlich fitten Patienten über anderthalb | |
Stunden im Auto unterwegs gewesen, dabei hätte der auch selbst fahren | |
können. In der Zeit hätte ich sehr viele Menschen abstreichen können. Ich | |
bin ja zu allem willig und bereit. Man kann mich irgendwo hinstellen und | |
ich mache es. Aber es soll sinnvoll sein. Die Ressourcen werden im Moment | |
nicht vernünftig eingesetzt. Wir fahren immer noch Menschen ab, die sehr | |
wohl selbst kommen könnten. | |
Sie testen jetzt auch in Nürnberg an einem neuen Drive-in-Testzentrum. | |
Gestern war ich zum ersten Mal dort. Ich hätte viele der Menschen nicht | |
abgestrichen, die da so kamen, im SUV, mit Maske, Spülhandschuhen und | |
leichtem Reizhusten. Aber ich entscheide nicht, wer getestet wird, das | |
macht inzwischen oft jemand von der Kassenärztlichen Vereinigung am | |
Telefon. Wenn jeder abgestrichen wird, gibt es wahrscheinlich nicht genug | |
Röhrchen und Laborkapazitäten. Ich hielte es für richtig, nur die | |
Multiplikatoren und sehr kranken Menschen zu testen. Die Vorgaben, bei wem | |
ein Abstrich gemacht wird, erscheinen mir im Moment sehr willkürlich. | |
Was meinen Sie, wie geht es weiter? | |
Ich bemühe mich keine Prognosen abzugeben, sondern versuche, von Tag zu Tag | |
das Richtige zu tun. Interview: Antje Lang-Lendorff | |
* * * | |
## „Der Rückhalt spendet Kraft“ | |
Simone Marks, 41, ist Sozialarbeiterin an einer Grundschule in Dortmund | |
„Als wir von den Schulschließungen erfahren haben, war es | |
Freitagnachmittag. Da blieb keine Zeit mehr, noch irgendetwas zu | |
organisieren. Aber wir haben schnell umgeschaltet. Heute betreuen wir nur | |
noch die Kinder der sogenannten Schlüsselpersonen wie Ärzte, alle anderen | |
Kinder dürfen wir nicht mehr betreuen. | |
Bis 11.30 Uhr übernehmen die Lehrer der Grundschule die Notbetreuung, | |
danach sind wir an der Reihe. An manchen Tagen kommen zwei, an anderen vier | |
Kinder. Nicht alle Eltern, die Anspruch hätten, nutzen unser Angebot, auch | |
sie wollen ihren Beitrag leisten. Wir teilen die Betreuung in unserem Team | |
auf, nur die beiden Kolleginnen, die über 60 Jahre alt sind, bleiben jetzt | |
zu Hause. | |
Wir sind ein tolles Team, das auch herzlich miteinander umgeht, sich mal | |
drückt und in den Arm nimmt. Darauf plötzlich zu verzichten, ist wahnsinnig | |
schwierig, es dauert, da umzuschalten. Besonders im Umgang mit Kindern ist | |
es nicht einfach. Kinder sind impulsiv und wollen Körperkontakt, dann | |
springen sie einem auch einfach mal in die Arme. Und es ist Bestandteil | |
unserer Arbeit, zu trösten und Nähe zu spenden. Gerade in Zeiten wie | |
diesen, da auch die Kinder verunsichert sind und sich Zuneigung wünschen. | |
Wir erklären ihnen dann, dass wir nicht wollen, dass das Virus von uns auf | |
sie rüberspringt und umgekehrt. Das verstehen sie. | |
Und trotzdem ist es natürlich schwierig, beim Spielen immer die | |
Zwei-Meter-Abstand-Regel einzuhalten. Wir versuchen, ihnen Alternativen zu | |
bieten, basteln viel, singen, spielen Gitarre und lesen ihnen neuerdings | |
„Harry Potter“ vor. | |
Ich beobachte in den sozialen Medien, wie viel Anerkennung unsere Arbeit | |
plötzlich erfährt, und finde das ganz großartig. Das macht richtig was mit | |
mir. Die ganze Situation ist emotional ja für niemanden einfach, aber | |
dieser Rückhalt spendet Kraft. Da geht ein Ruck durch die Gesellschaft, das | |
spüre ich.“ Protokoll: Hanna Voß | |
## * * * | |
## „Abstand halten geht bei uns nicht“ | |
Paul Hierse, 32, ist Altenpfleger in Falkensee, Brandenburg | |
„Ich arbeite in der Tagespflege. Das heißt: Die pflegebedürftigen Menschen | |
sind tagsüber bei uns. Wir holen sie zu Hause ab, betreuen sie, essen | |
zusammen, wir bringen sie am Nachmittag nach Hause. Das entlastet die | |
Angehörigen. Wir haben 16 Plätze und sind voll belegt. Insgesamt 45 Gäste | |
kommen im Laufe der Woche zu uns, manche die ganze Woche, manche nur | |
einzelne Tage. | |
Jetzt nicht mehr: Seit Mittwoch ist unser Haus geschlossen. Wir sind eine | |
zu große Gruppe, das Ansteckungsrisiko wäre zu hoch. | |
Die Gäste und ihre Angehörigen haben verständnisvoll auf die Schließung | |
reagiert. Wir bieten ihnen an, sie zu Hause zu besuchen. Besonders zu | |
denen, die keine Familie haben, halten wir engen Kontakt. Gleich fahre ich | |
noch für ein bis zwei Stunden zu einer Frau mit Demenzerkrankung, die von | |
ihrem Mann versorgt wird. Sie ist sonst fünf Tage die Woche bei uns. | |
Menschen mit Demenz zu erklären, warum sie nicht mehr kommen können, ist | |
schwer. Ich weiß nicht, wie sie reagieren, wenn die eingespielte Routine | |
wegfällt. | |
Durch die Schließung habe ich erst mal weniger Arbeit, ich konnte mich | |
heute sogar im Garten um die Blumen kümmern. Aber das kann sich schnell | |
ändern. Zu unserer Niederlassung gehört auch ein ambulanter Pflegedienst, | |
wir versorgen rund 120 Menschen zu Hause. Noch sind wir in der glücklichen | |
Lage, dass keine der Pflegekräfte krank wurde. Aber das ist eine Frage der | |
Zeit. Wenn Sie Menschen pflegen, sie waschen, sie medizinisch versorgen, | |
können Sie nicht 1,50 Meter Sicherheitsabstand halten. Wenn jemand | |
ausfällt, springe ich ein. | |
Sollten wir Pflegebedürftige nicht mehr versorgen können, weil sie sich zum | |
Beispiel selbst mit Corona infiziert haben, müssten das die Angehörigen | |
übernehmen. Menschen ohne Familie müssten wir ins Krankenhaus einliefern | |
lassen. | |
Ich bin stellvertretender Leiter der Tagespflege. Die Schließung des Hauses | |
ist für uns ein wirtschaftliches Desaster. Wir haben ja laufende Kosten, | |
die Miete, das Personal, die geleasten Busse. Die Einnahmen fallen jetzt | |
auf einen Schlag weg. Die Situation ist belastend, das nehme ich nach | |
Feierabend auch mit nach Hause. | |
Und wer weiß, vielleicht werde ich irgendwann sogar in eine Klinik | |
abbeordert? Ich habe eine Zusatzausbildung für Beatmungspflege. Irgendwann | |
können die Kollegen im Krankenhaus vielleicht nicht mehr, dann werden | |
möglicherweise ausgebildete Pflegekräfte aus der ambulanten Versorgung | |
abgezogen. Das wäre der Worst Case. | |
Aber so weit muss es nicht kommen. Zurzeit denken wir nur von Tag zu Tag.“ | |
Protokoll: Antje Lang-Lendorff | |
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## „Es eine schwierige Situation für unsere Leute“ | |
Charlotte Wong, 28 Jahre, Helferin in der Notübernachtung der Stadtmission | |
in Reinickendorf | |
„Ich studiere eigentlich Business Management an der Berlin International | |
University of Applied Sciences in Charlottenburg. Ehrenamtlich arbeite ich | |
als Abendverantwortliche in der Notübernachtung der Stadtmission in | |
Reinickendorf. Das heißt, ich muss anderen Mitarbeiter Aufgaben zuweisen, | |
die Übernachtungsgäste am Einlass abholen und sie auf Waffen, Alkohol und | |
Drogen abtasten. | |
Derzeit sind es mehr Aufgaben geworden. Ich muss dafür sorgen, dass die | |
Gäste sich beim Einlass richtig die Hände waschen. Wenn ein Gast auffällig | |
husten oder andere Corona-Symptome zeigen würde, würden wir ihn nicht | |
einlassen, sondern den Krankenwagen rufen. | |
Ich muss mich jetzt auch mehr um die Mitarbeiter kümmern. Wir haben | |
gefragt, ob Ehrenamtliche ihre Schichten aus Sorge vor Corona abgeben | |
möchten. Die meisten finden ihre Arbeit auch in dieser Situation sinnvoll. | |
Wenn die Gäste auf der Straße übernachten müssten, wäre die | |
Ansteckungsgefahr für sie noch größer. Solange die Notübernachtung offen | |
hat, wollen wir helfen, das ist unser Ziel. | |
Es eine schwierige Situation für unsere Leute, aber die Gäste befolgen alle | |
Regeln und bieten sogar an, zu helfen. Sie haben die Situation gut | |
verstanden. Bis jetzt ist alles noch in Ordnung. Ich habe von den Gästen | |
aber schon gehört, dass sie sich Sorgen machen, dass die Notübernachtung | |
frühzeitig schließt. Da sollte ich der Regierung von Deutschland vertrauen. | |
Bei der Arbeit habe ich eigentlich keine große Sorge, wir tragen Mundschutz | |
und Handschuhe, wir haben auch von den Hauptamtlichen eine Einführung | |
bekommen, worauf zu achten ist. Ich trage auch beim Einkaufen und in der | |
U-Bahn einen Mundschutz. Manche lachen dann über mich und sagen, nur Kranke | |
würde so einen Mundschutz tragen. Ich glaube, das ist ein kultureller | |
Unterschied zwischen Asien und Europa, zwischen Hongkong, wo ich herkomme, | |
und Berlin.“ Protokoll: Stefan Hunglinger | |
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## „Wir alle führen ein Symptomtagebuch“ | |
Anonym, Gesundheits- und Krankenpfleger, 22, Rettungsstelle eines | |
Krankenhauses in Berlin | |
„Unsere oberste Aufgabe ist es den normalen Alltag in der Rettungsstelle | |
trotz Corona zu erhalten. Denn wir behandeln dort erstmal alles: von | |
Herzinfarkt bis Hundebiss. Daher wurde nun eine, der Notaufnahme | |
ausgelagerte, Teststelle für Corona-Verdachtsfälle eingerichtet. | |
Verständlicherweise wollen sich viele Menschen testen lassen, denen müssen | |
wir kommunizieren, dass sie das dort machen sollen, um die | |
Ansteckungsgefahr innerhalb der Notaufnahme zu minimieren und | |
funktionsfähig zu bleiben. | |
Wenn aber PatientInnen mit schwerwiegenderer respiratorischer Symptomatik | |
eingeliefert werden, findet die Behandlung natürlich trotzdem in der | |
Rettungsstelle statt. Das führt mitunter zu Herausforderungen, da die | |
baulichen Gegebenheiten nicht auf ein so hohes Aufkommen streng zu | |
isolierender PatientInnen ausgelegt sind. Dann müssen wir | |
Behandlungszimmer, die für mehrere PatientInnen ausgelegt sind, zu | |
Einzelzimmern umfunktionieren, was die adäquate Behandlung anderer | |
PatientInnen erschwert. | |
Um die Ausbreitung des Virus unter dem Personal zu erschweren, gilt nun | |
eine generelle und permanente Mundschutzpflicht für MitarbeiterInnen der | |
Notaufnahme. Außerdem sollen alle für mindestens zwei Wochen ein | |
Symptomtagebuch führen, inklusive eigener Temperaturkontrollen während | |
jeder Schicht. | |
Ich halte es trotz all dieser Maßnahmen für durchaus wahrscheinlich, mich | |
selbst zu infizieren. Solange eine ausreichende Versorgung mit | |
Schutzkleidung, Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel gewährleistet ist, | |
kann das Risiko zwar geringgehalten werden, ausschließen kann man es jedoch | |
nicht. Sorgen mache ich mir vor allem darum, dass ich noch gesunde | |
PatientInnen während der Inkubationszeit anstecken könnte. Außerdem um | |
meine Eltern und meine Oma. Deshalb werde ich vorerst auf direkten Kontakt | |
mit ihnen verzichten. | |
Wenn man den Blick auf andere Staaten wirft, bei denen die Infektionen | |
schon weiter vorangeschritten sind, hoffe ich, dass alles irgendwie | |
glimpflicher verläuft. Richtig vorstellen kann mich mir eine Lage wie | |
momentan in Italien nicht. In den kommenden Wochen wird sicherlich noch | |
deutlicher werden, wie wichtig eine gute und gesicherte pflegerische | |
Versorgung ist. | |
Das Resultat dieser Pandemie muss eine Umstellung des Gesundheitssystems | |
sein, dass nicht schon bei normaler Belastung an seine Grenzen gerät, | |
sondern genügend Reserven und Puffer hat, um auch in Krisensituationen die | |
Versorgung aufrechtzuerhalten.“ Protokoll: Judith Rieping | |
* * * | |
## „Wir moderieren 24/7“ | |
Daniel Plötz, 36 Jahre, Administrator der Facebook-Gruppe „#Coronahilfe | |
Hamburg“ | |
taz am wochenende: Herr Plötz, die Facebook-Gruppe #Coronahilfe Hamburg ist | |
stark gewachsen. Wie behalten Sie den Überblick? | |
Daniel Plötz: Die Gruppe soll für die Vermittlung von Helfenden und | |
Hilfesuchenden dienen. Wir sind mittlerweile ein Team von dreizehn Leuten | |
und 24/7 dran, die Beiträge zu moderieren und strukturieren. | |
Wie funktioniert das? | |
Wir ordnen die Beiträge nach Postleitzahl. Anfangs gab es Leute, die durch | |
die ganze Stadt gefahren sind, um zu helfen. Das ist auf der einen Seite | |
super cool … | |
… aber auf der anderen Seite nicht der Sinn von Nachbarschaftshilfe. | |
Genau. Wir versuchen mit der Ärztin, die wir an Bord haben, den Helfern an | |
die Hand zu geben, was sie beachten müssen. An vielen Fronten müssen wir | |
jetzt den Überblick behalten. Es wenden sich nun Menschen an uns, die | |
eigene regionale Gruppen bilden wollen, die wir auch mit Tipps und einem | |
Headerbild unterstützen. | |
Welche Hilfe wird in der Gruppe angeboten? | |
Hauptsächlich Einkaufs- und Botengänge. Oder mit dem Hund eine Runde zu | |
gehen. Es gibt aber auch sehr vielfältige Angebote: Einer hat sich bereit | |
erklärt, Fahrräder fit zu machen, um öffentliche Verkehrsmittel zu meiden. | |
Eine andere Person hat angeboten, Selbstständigen beim Ausfüllen von | |
Jobcenter-Formularen zu helfen. Eine Zahnarztpraxis auf der Suche nach | |
Masken erhielt sofort einige Anlaufstellen. | |
Die Hilfsbereitschaft wird also in Anspruch genommen? | |
Ja! Es ist leichter Hilfe anzubieten, als sich einzugestehen diese zu | |
benötigen. Wir versuchen die Betroffenen daher zu ermutigen, sich privat an | |
uns zu wenden, wenn sie es nicht öffentlich machen wollen. Dann vermitteln | |
wir den Direktkontakt, um vertrauensvoll mit den Daten umzugehen. | |
Wie fühlt sich die Solidarität und Unterstützung an? | |
Es ist ein super Gefühl, etwas so Sinnvolles zu tun. Alle von uns haben | |
einen Job, aber packen jetzt an, wo wir können. Wir wollen auf keinen Fall, | |
dass das als Geschäftszweck genutzt wird. Es ist pures Ehrenamt. | |
Wird die Gruppe auch nach der Corona-Krise für Nachbarschaftshilfe | |
bereitstehen? | |
Auf jeden Fall! Niemand kann einschätzen, wie die Gesellschaft nach der | |
Krise sein wird, aber ich glaube, dass Viele merken, wie wertvoll es ist, | |
füreinander da zu sein. Ich glaube, dass die Werkzeuge, die wir jetzt | |
nutzen weiterhin ihre Daseinsberechtigung haben werden. Jemand meinte | |
schon, dass alle sich – wenn alles vorbei ist – an der Elbe treffen und in | |
den Arm nehmen sollten. Interview: Sarah Zaherr | |
* * * | |
## „Corona wirft uns auf uns selber zurück“ | |
Christine Schlund, 53, Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinde am | |
Weinberg, Berlin | |
Als Christine Schlund am vergangen Sonntag die Kirchentür hinter sich ins | |
Schloss fallen ließ, wusste sie: Das war es erstmal. Was die Behörden zwei | |
Tage später offiziell anordneten, war der Pastorin da längst klar: Es war | |
ihr vorerst letzter Gottesdienst in der Berliner Sophienkirche. Für wie | |
lange? Keiner weiß es. | |
Schon dieser letzte Gottesdienst am 15. März stand ganz im Zeichen der | |
Krise, erzählt die 53-jährige Pastorin am Telefon. Besucher*innen mussten | |
sich in eine Liste eintragen. Es kamen weniger als sonst, etwa 50 Menschen. | |
Mehr wären auch nicht erlaubt gewesen. Auf den Kirchbänken wurde Abstand | |
zueinander gehalten. Man betete zusammen, und doch irgendwie jeder für | |
sich. | |
Seit Montag arbeitet also auch Pfarrerin Christine Schlund von zuhause aus. | |
Eine Hirtin im Homeoffice. Geht das überhaupt? | |
„Die Woche war sehr diffus und hektisch“, sagt Schlund. In | |
Telefonkonferenzen bespricht sie sich mit ihren Pfarrkolleginnen und | |
-kollegen aus Evangelischen Gemeinde am Weinberg. Wie umgehen mit dem | |
Ausnahmezustand? Sie planen ein Video-Streaming, der Gottesdienste über das | |
Internet überträgt. Sie beraten den Haushalt, der durch den zu erwarteten | |
Konjunktureinbruch und die fehlenden Kollekten, obsolet geworden ist. Und | |
sie telefonieren mit vielen Gemeindemitgliedern, singen und beten zusammen. | |
Sie spüre viel Enttäuschung und Sehnsucht, aber auch Verständnis, sagt | |
Schlund. | |
Natürlich könne sich die Kirche keine Extrarolle herausnehmen. Das sei eine | |
Frage der Solidarität. Sie sagt aber auch: „Gerade jetzt ist es nötig, | |
Menschen Halt zu geben.“ Immerhin: Ganz geschlossen ist die Kirche nicht. | |
Die Tür steht, Stand jetzt, weiter offen. Wer will kann hinein gehen, ein | |
wenig Ruhe außerhalb der eigenen vier Wände finden, eine Kerze anzünden. | |
Religion wird – wie so Vieles im Moment – eine sehr private Angelegenheit. | |
„Corona wirft uns auf uns selber zurück“, sagt auch Schlund. „Jetzt merk… | |
wir erst, wie sehr wir uns über Arbeitsbezüge und unser Sozialgefüge | |
definieren.“ Theologisch stellen sich durch die Krise neue Fragen. Und auch | |
organisatorisch ist das Corona-Virus zwar zunächst eine Herausforderung, | |
könnte aber auch neue Wege ebnen. „Wir werden nach dieser Krise definitiv | |
eine andere Kirche, eine andere Gemeinde sein“, sagt Schlund. | |
Wann das sein wird, ist momentan kaum abzusehen. Bis zum größten und | |
wichtigsten Fest des Christentums sind es nur noch drei Wochen. Schlund | |
hegt vage Hoffnungen auf einen kleinen Gottesdienst an Ostern – im Freien, | |
mit Abstand und Teilnehmerbegrenzung. | |
Die Fastenzeit, die Christen bis dahin begehen, steht bei der evangelischen | |
Kirche in diesem Jahr unter dem Motto: „Zuversicht! Sieben Wochen ohne | |
Pessimismus!“ | |
„Das fordert uns durchaus heraus in dieser Zeit“, sagt Schlund. „Aber wir | |
werden dieses Motto nicht vergessen.“ Text: Daniel Böldt | |
* * * | |
## „Keiner meckert, alle sind motiviert“ | |
Ingeborg Vries*, 50, arbeitet als Anästhesie-Schwester in einem Berliner | |
Klinikum | |
„Wir fahren zurzeit sämtliche OP-Termine runter, um Platz auf den | |
Intensivstationen zu schaffen. Alle Operationen, die nicht wirklich nötig | |
sind, werden abgesagt oder verschoben. Dringende Krebs-Operationen | |
durchaus. Zwei Intensivbetten halten wir dauerhaft frei für Notfälle. Es | |
wird also wirklich ernst, wie ernst, werden wir sehen. Im Moment haben wir | |
Extra-Schulungen für den Umgang mit den Beatmungsgeräten, wenn es losgeht, | |
muss ich auf die Intensivstation. | |
Angst habe ich keine, aber ich habe Respekt vor diesem Virus. Und ich | |
glaube, dass die Maßnahmen noch immer nicht ausreichen: Wir haben zum | |
Beispiel längst ein Besuchsverbot in der Klinik, es kommt niemand mehr rein | |
außer Personal mit Ausweis. Aber stattdessen treffen sich dann Patienten | |
und Besucher draußen. Unten auf dem Rasen stehen sie, das kann man vom | |
Fenster aus sehen. Ich verstehe auch nicht, warum die Maßnahmen so spät | |
kommen: Am Potsdamer Platz sitzen alle in den Cafés draußen. Zu meinen | |
Nachbarn habe ich gestern Abend gesagt: Sie müssen nicht jeden Tag | |
einkaufen gehen! Es reicht doch einmal die Woche. | |
Wie ich es finde, dass jetzt über unser Gehalt diskutiert wird? Also: Das | |
Gefühl, dass wir schlecht bezahlt werden, benutzt werden, das ist schon | |
immer da. Da brauche ich keine Corona-Krise. Und es wird auch nicht besser | |
werden. Wenn das vorbei ist, werden sie genau so weitermachen, wie immer. | |
Es geht immer ums Geld. Ich bin jetzt 50 und zu alt für eine Umschulung. | |
Wir machen ja auch weiter: Keiner meckert, alle sind motiviert, zu tun, was | |
zu tun ist. Und ich persönlich wünsche mir einfach nur, dass meiner Mutter | |
nichts passiert und wir da alle heil rauskommen.“ Protokoll: Martin | |
Reichert | |
*Name geändert | |
* * * | |
## „Es herrscht Ratlosigkeit“ | |
Elisa Lindemann, 28, ist Leiterin der Notunterkunft „Marie“ für obdachlose | |
Frauen in Berlin | |
taz am wochenende: Frau Lindemann, Sie leiten eine Übernachtungsunterkunft | |
für obdachlose Frauen in Berlin. Haben Sie daran gedacht, die Einrichtung | |
wegen des Coronavirus zu schließen? | |
Elisa Lindemann: Ja, auch bei uns in der Stiftung gab es solche | |
Überlegungen. Wir haben uns aber dagegen entschieden, da wir unseren | |
Nutzerinnen so lange wie möglich eine sichere Anlaufstelle bieten wollen. | |
In der derzeitigen Situation überlegen wir jedoch jeden Tag neu, wie wir | |
unser Angebot zum Wohle der Nutzerinnen bestmöglich aufrechterhalten | |
können. | |
Was hat sich konkret verändert bei Ihnen in den vergangenen Tagen? | |
Normalerweise haben wir hier zehn Plätze, die mussten wir auf sechs | |
reduzieren, um die geforderten Abstände einhalten zu können. Die Vorgabe, | |
dass die Frauen maximal 14 Nächte am Stück hier schlafen können, haben wir | |
ausgesetzt. Die Frauen, die hier sind, können jetzt erst mal unbefristet | |
bei uns bleiben, um mögliche Infektionsketten zu vermeiden. | |
Das öffentliche Leben macht derzeit eine Vollbremsung. Was bedeutet das für | |
obdachlose Menschen? | |
Es gibt viel weniger Anlaufstellen für die Menschen. Orte, an denen sie | |
ansonsten auch mal zur Ruhe kommen, ein Buch lesen können, haben auf einmal | |
geschlossen. Das belastet. Wir merken, dass die Stimmung unter den Frauen | |
gereizter ist. Sie fangen schneller an zu streiten. Diskussionen werden | |
schneller lauter. | |
Haben Sie das Gefühl, dass die Menschen gut über das Coronavirus informiert | |
sind? | |
Ja, die Informationspolitik ist ja schon sehr umfassend. Die Frauen sind | |
untereinander sehr aufmerksam, erinnern sich gegenseitig an die | |
Händehygiene und ans richtige Niesen und Husten. Das Hauptthema ist aber: | |
Was bedeuten diese Einschränkungen für mein Leben? Die Angst ist groß, dass | |
auch noch Parks geschlossen werden. Dann gibt es kaum noch Orte, wo die | |
Menschen hinkönnen. Und was passiert bei einer Ausgangssperre? Da gibt es | |
bis jetzt noch keine Antworten. | |
Was würde passieren, wenn eine von Ihren Bewohnerinnen sich nachweislich | |
mit dem Virus infiziert hat? | |
Das ist eine der vielen Fragen, die noch ungeklärt sind. Unsere Einrichtung | |
müsste dann schließen, weil natürlich auch unsere Mitarbeiterinnen in | |
Quarantäne müssten. Aber was passiert mit den Bewohnerinnen? Die können ja | |
nirgendwo in Quarantäne. Ehrlich gesagt herrscht da Ratlosigkeit. Sowohl | |
bei uns als auch bei den Behörden. Keiner weiß wirklich, wie es dann | |
weitergehen soll. Interview: Daniel Böldt | |
21 Mar 2020 | |
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