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# taz.de -- Protokoll zu Corona im Pflegeheim: „Ein Gefühl der Traurigkeit“
> Der Heimbewohner Roderich Gräff leidet darunter, dass er wegen des
> Corona-Virus keinen Besuch bekommen darf. Telefonieren sei kein Ersatz.
Bild: Hier geht es nicht weiter: Altenheim schließt die Türen
Die Auswirkungen des Besuchsverbots merke ich sehr stark. Ich bekam ein
Gefühl der Traurigkeit und verstand es erst gar nicht. Und dann merkte ich,
dass es damit zusammenhängt, dass [1][die Besucher nicht mehr kommen]. Ich
habe dadurch erst gemerkt, wie wichtig sie für mich sind. Vorher bekam ich
vielleicht drei, vier Besuche von verschiedenen Leuten in der Woche. Jetzt
sind es null. Stattdessen Kontakt per Telefon zu haben, nützt nichts, für
mich ist das persönliche Gespräch enorm wichtig.
Die Besucher sind ein früherer Nachbar und Freund, ein Professor im
Ruhestand und ein Schüler. Der frühere Nachbar ist Heilpraktiker und wir
sprechen viel über seine Klienten und sein tägliches Leben. Mit dem
Professor geht es eher um Gott und die Welt, etwa um Politik oder unsere
Einstellung zur Religion. Und es gibt eine alte Freundin, die kam, um mir
aus einem Buch vorzulesen. Das war eine sehr angenehme Atmosphäre und wir
sprachen über das Vorgelesene. Sie meinte, dass sie es per Telefon machen
will, aber ich sagte, das hat keinen Zweck.
Die Pfleger machen ihre Arbeit wunderbar, sie helfen uns beim Aufstehen,
Waschen, sie bringen das Essen, alles sehr angenehm, aber sie dürfen sich
nicht um private Dinge kümmern. Das ist alt – sie durften sich auch vor dem
Corona-Virus nicht über private Dinge mit uns unterhalten, sie sollen keine
Zeit verschwenden. Das war vorher auch nicht so schlimm, ich hatte ja meine
persönlichen Besucher. Jetzt kann ich kaum etwas tun, um das aufzufangen.
Ich hatte einen Schüler, der ein-, zweimal pro Woche kam, um mir bei meiner
physikalischen Forschungsarbeit und allem, was ich mit einer Hand allein
nicht machen kann – ich bin ja halbseitig gelähmt – zu helfen. Der darf
jetzt auch nicht mehr kommen und das ist sehr nachteilig für mich. Er half
mir mit den Versuchen, mit dem Computer, mit dem Schriftverkehr und das ist
jetzt alles tot. Die Heimleitung hat inzwischen zugegeben, dass ich die
Versuche hier im Zimmer machen darf, vorher hatten sie gesagt, das sei hier
doch keine Universität, sondern eine Station für alte Menschen.
## Ein geschlossenes Leben
Ich traf kürzlich mittags einen Pfleger und fragte ihn, wie geht’s, das
übliche Hin und Her, dann sagte ich: „Mich beschleicht ein Gefühl der
Traurigkeit.“ Am Abend trafen wir uns wieder und ich fragte: „Wie war Ihr
Tag?“ „Schrecklich“, sagt er. Ich sagte: „Wieso?“ „Heute Morgen hab…
ja gesagt, dass Sie solch ein Gefühl von Traurigkeit haben.“ Das fand ich
höchst interessant, dass er das als etwas Schreckliches empfand.
Ich kann nicht wirklich sagen, wie die anderen Bewohner auf das
Besuchsverbot reagieren. Ich vermute, dass es sie weniger trifft. Die
meisten haben ein sehr geschlossenes Leben, sie sind nicht so abhängig von
Besuchern.
Ich kann mich jetzt nicht im Internet über die Pandemie informieren, für
den Computer brauche ich den Schüler. Ich habe einen Freund aus
Studienzeiten, den ich morgens anrufe und frage: „Wie geht es dir und was
gibt es Neues in der Welt?“. Ich fühle mich durch das Corona-Virus nicht
bedroht.
Wenn ich gefragt würde, dann würde ich sagen, dass die Leute, die wollen,
zu mir kommen sollen. Das sind verantwortungsbewusste Leute, wenn sie
glauben, sie hätten es, würden sie von sich aus nicht kommen oder sie
würden fragen: Willst du, dass wir dich besuchen? Dann kann ich selber
entscheiden, wie groß oder klein das Risiko ist.
## Gespräche ohne Tiefe
Ich denke nicht viel darüber nach, [2][wie lange die Epidemie dauern wird].
Ich denke, dass es eher schlimmer werden wird. Für mich bedeutet es viel,
wenn meine Besucher wieder kommen könnten und wenn mein Helfer wieder
kommen könnte.
Die Leute rufen mich etwas häufiger an. Aber es lohnt sich nicht, sich am
Telefon über ernste Dinge auszutauschen. Man kann die Reaktion des anderen
nicht wahrnehmen, nicht den Gesichtsausdruck und die Gefühle. Ich habe
gedacht, wenn die ersten Menschen auf dem Mond leben, werden die anderen
sie anrufen und wollen wissen, wie es auf dem Mond ist. Und die Menschen
auf dem Mond werden dann vermutlich ein Gefühl der Traurigkeit haben, so
wie ich es habe.
21 Mar 2020
## LINKS
[1] /Seniorenheimleiter-ueber-Coronakrise/!5668374
[2] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746
## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Schutz
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