| # taz.de -- Besuchssperren wegen Corona: „Bleib bloß weg, hat sie gesagt“ | |
| > Wie gehen Angehörige und Bewohner:innen damit um, dass sie wegen der | |
| > Corona-Pandemie ihre Lieben nicht sehen können? Fünf Protokolle von | |
| > Betroffenen. | |
| Bild: Darf sie noch Besuch empfangen? Eine ältere Frau in einem Senioren-Wohns… | |
| ## Bettina Peters besucht ihre Mutter normalerweise vier Mal pro Woche in | |
| einem Pflegeheim in Bremen-Schwachhausen. Als Heimfürsprecherin vertritt | |
| sie die Interessen der Menschen im Heim | |
| Seitdem ich sie nicht mehr besuchen kann, telefoniere ich jeden Tag mit | |
| meiner Mutter. Die Heimleitung hat mich telefonisch über das Besuchsverbot | |
| informiert, das ich verstehe. Auf keinen Fall möchte ich das Virus in die | |
| Pflegeeinrichtung tragen. | |
| Meine Mutter, die 78 ist, findet die Entscheidung ebenfalls richtig. „Bleib | |
| bloß weg“, hat sie gesagt. Für andere Menschen im Heim ist es jedoch | |
| teilweise nur schwer nachvollziehbar, [1][was draußen passiert]. | |
| Wir sind alle verunsichert aufgrund der Situation und haben alle ein | |
| bisschen Angst. Ich bin dankbar, dass Politik und Heimleitung diese | |
| Maßnahmen ergriffen haben. Das Pflegepersonal ist sehr liebevoll und im | |
| Moment ist eine Einrichtung schließlich auch ein Ort, wo sich jemand um die | |
| Menschen kümmert. Ich finde es wichtig, Pflegeheime als Orte zu betrachten, | |
| wo Menschen gut aufgehoben sind, oft besser als bei sich zu Hause. Die | |
| alten Menschen, die jetzt isoliert zu Hause sind, vereinsamen total. Bei | |
| meinem Vater etwa kommt zwar noch der Pflegedienst, der ist aber nicht da, | |
| um Gesellschaft zu leisten, dafür fehlt die Zeit. Im Heim versucht man so | |
| gut wie möglich aufzufangen, was jetzt an Kontakt fehlt. | |
| Bei mir hat sich bisher auch noch niemand gemeldet und sich über die | |
| Maßnahmen beschwert. Die Trauer, sich nicht mehr sehen zu können, ist | |
| natürlich trotzdem da. Aber wir müssen unsere Alten schützen, sie sind nun | |
| mal Risikogruppe. | |
| ## Michaela Babitzke, besucht ihren Sohn normalerweise täglich in seiner | |
| Einrichtung in Bremen-Nord | |
| Mein Sohn lebt in einem Heim für junge Erwachsene mit Schädel-Hirn-Trauma. | |
| Wir als Angehörige wurden schon vor zwei Wochen telefonisch über die | |
| Besuchssperre informiert, weil es einen Verdachtsfall gab, der sich | |
| allerdings nicht bestätigt hat. Am Anfang hielt ich das für übertrieben, | |
| das hat sich im Laufe der Zeit aber geändert. Es ist natürlich traurig und | |
| es fällt mir extrem schwer, dass ich meinen Sohn nicht sehen kann, | |
| andererseits möchte ich auch, dass er geschützt wird. | |
| Normalerweise sehen wir uns täglich, das letzte Mal ist jetzt zwei Wochen | |
| her. Eigentlich haben wir ihn an einem Wochenendtag bei uns zu Hause, auch | |
| das geht nicht mehr. | |
| Auch für das [2][Pflegepersonal] ist die Situation nicht leicht, einige | |
| Angehörige machen sich so große Sorgen, dass sie durch die Fenster schauen, | |
| da gibt es durchaus auch Misstrauen. Mein Sohn ist zwar aus dem Wachkoma | |
| raus, braucht aber wie die anderen Patienten jeden Tag Therapie und | |
| Mobilisierung. Auch diese Therapien sind aber nur noch sehr, sehr | |
| eingeschränkt möglich, obwohl gerade junge Menschen ganz besonders viel | |
| Input brauchen. Die Sozialpädagogin im Haus versucht da gerade, ein | |
| Programm aufzubauen. | |
| Ich habe das Gefühl und bin froh darüber, dass man sich über die Lage | |
| Gedanken macht. Mein Sohn kann nicht sprechen, aber er bekommt viel mit, | |
| mithilfe eines Pflegers konnte ich zumindest am Telefon mit ihm reden. Wir | |
| sind gerade erst am Anfang, eine Kommunikation über Pupillenbewegungen am | |
| Computer aufzubauen. Das pausiert jetzt allerdings alles und es wird | |
| Rückschritte geben. | |
| Gestern konnte ich meinen Sohn kurz sehen, eine Pflegerin hat seinen | |
| Rollstuhl vor eine Zwischentür geschoben. Es gibt Schilder, auf denen „Bis | |
| hierhin und nicht weiter“ steht. Das war für mich okay. Zwar war das eine | |
| Ausnahme, aber da mein Sohn nächste Woche Geburtstag hat, ist es dann | |
| hoffentlich wieder möglich, ihn zumindest auf diese Art zu sehen. | |
| ## Jonas Korte, besucht seinen Vater normalerweise vier Mal pro Woche in | |
| einem Pflegeheim in der Bremer Neustadt | |
| Schon das letzte Mal vor einer Woche waren Besuche bei meinem Vater nur | |
| noch eingeschränkt möglich. Es wurde darum gebeten, sie auf zwei Mal pro | |
| Woche und auf eine Kontaktperson einzuschränken. Das hatte ich auch für | |
| sinnvoll gehalten. Wegen der schnellen Veränderungen ist die | |
| Informationslage momentan etwas schwierig: Einen Tag, nachdem der Brief mit | |
| der Ankündigung der moderaten Einschränkungen kam, wollte ich meinen Vater | |
| noch einmal besuchen. Das war dann schon nicht mehr möglich und ich habe | |
| den Kuchen, den ich ihm mitgebracht hatte, dem Pflegepersonal übergeben. | |
| Das soll wohl auch weiterhin gehen. | |
| Vor der Einrichtung stehen große Schilder, auf denen „Stopp, keine Besuche“ | |
| steht. Ich mache mir keine wahnsinnigen Sorgen, sondern gehe mit der Sache | |
| eher pragmatisch um, man kann an der Situation mit Corona derzeit nichts | |
| ändern. Eine andere Frage ist allerdings, wie das weitergehen soll. | |
| Irgendwann werden die Maßnahmen gelockert werden müssen und ich frage mich, | |
| ob es dann zu einer zweiten Welle kommt. Mit den geschlossenen Heimen ist | |
| die Lage relativ sicher, aber das Risiko erhöht sich wahrscheinlich, wenn | |
| die Pflegeheime die Tore wieder öffnen. | |
| Ich versuche, meinen Vater momentan täglich anzurufen. Er ist 69 und durch | |
| seine Krankheit eingeschränkt, ist aber [3][im Pflegeheim] mobil und | |
| besitzt ein Handy. Es klappt allerdings nicht immer, ihn zu erreichen. | |
| Bisher sind die Telefonate eher oberflächlich, ich glaube aber, dass er mit | |
| der Situation momentan relativ gut zurechtkommt. | |
| ## Sabine Albrecht, geht normalerweise wöchentlich mit ihrem Sohn | |
| schwimmen, der in einem Wohnheim für schwerstbehinderte Menschen in der | |
| Bremer Neustadt lebt | |
| Gestern wurden mein Mann und ich angerufen und über die Besuchssperre | |
| informiert. Unser Sohn ist 36 Jahre alt und lebt seit 17 Jahren in einem | |
| Wohnheim mit 25 schwerstbehinderten Menschen. Das letzte Mal habe ich ihn | |
| vor einer Woche gesehen, als wir wie jeden Freitag mit ihm schwimmen | |
| gegangen sind. Wie viele im Wohnheim, sitzt er im Rollstuhl, als Gehörloser | |
| ist er noch einmal besonders eingeschränkt, weil die körperliche Zuwendung | |
| dann besonders fehlt und es auch keine Möglichkeiten gibt, zu telefonieren. | |
| Es fällt uns schwer, ihn jetzt nicht mehr sehen zu können. Die Einrichtung | |
| hat allerdings angeboten, dass Angehörige mit den Menschen im Rollstuhl | |
| spazieren gehen können, wenn sie die Abstandsregeln einhalten. Das ist | |
| natürlich erst mal gut, allerdings halte ich es bei schwerbehinderten | |
| Menschen für schwer umsetzbar, wirklich nur hinter dem Rollstuhl zu | |
| bleiben. | |
| Meine anderen Kinder sind außerdem strikt dagegen, dass wir Eltern das | |
| machen, da wir ebenfalls zur Risikogruppe gehören. Das Virus macht uns | |
| durchaus Angst. Wir hatten auch überlegt, unseren Sohn zu uns nach Hause zu | |
| holen, aber auch das ist keine Lösung, weil wir das körperlich über einen | |
| längeren Zeitraum schlicht nicht können. Unsere beiden anderen Kinder | |
| kümmern sich auch und können jetzt also mit ihrem Bruder spazieren gehen, | |
| dieses Glück haben nicht alle. | |
| ## Herwarth Poppe, bekommt normalerweise regelmäßig Besuch in seinem | |
| Pflegeheim in Bremen Horn, wo er Vorsitzender des Bewohnerbeirats ist | |
| Seit gestern sind auch hier die Besuche gesperrt worden. Ich kann das | |
| gutheißen, denn wir sehen ja, wie es in Italien aussieht und ich glaube, | |
| dass wir den Ausgangssperren auf diese Weise aus dem Weg gehen könnten. Ich | |
| bin nicht immer der Meinung der Bundeskanzlerin, diesmal stimme ich aber | |
| voll und ganz mit ihr überein. Ich habe viele Kontakte, aber es ist nicht | |
| so, als ob ich von der Menge von Besuchen abhängig wäre. Man kann | |
| schließlich telefonieren und ich fühle mich außer dem Essen hier ganz wohl. | |
| Natürlich gibt es Leute, die das Besuchsverbot bejammern und mit denen ich | |
| deswegen auch diskutiert habe. Auch ich habe Kinder, die gerne kommen | |
| würden, aber wir sollten uns jetzt so diszipliniert verhalten, dass wir | |
| einer Ansteckung aus dem Weg gehen. Das fällt mir durchaus nicht leicht, | |
| aber ich habe mich in meinem Leben schon auf viele Situationen einstellen | |
| müssen. Ich bin 84 und hab noch das Ende des zweiten Weltkriegs | |
| mitgekriegt. Es ist, wie es ist. | |
| Weil die Risikogruppen geschützt werden sollen, gibt es mittlerweile auch | |
| in Pflegeheimen und Wohneinrichtungen eine Besuchssperre. Mehr darüber, was | |
| das für die Betroffenen und Pflegeinrichtungen bedeutet, lesen Sie in der | |
| Wochenendausgabe der taz nord und in unserem [4][e-Kiosk]. | |
| 20 Mar 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Teresa Wolny | |
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