# taz.de -- Corona-Geschichten: Geschlossene Gesellschaft | |
> Das Land steht still. Doch unter der Oberfläche bewegt sich so einiges: | |
> Fünf Schlaglichter auf den Virus-Shutdown von taz-Redakteurinnen. | |
Bild: 12.März, Berlin | |
Wenn der Zirkus schließt | |
Seit Freitag prasseln auf mich die Hilferufe von Freund:innen und Bekannten | |
ein, die freiberuflich arbeiten und unser kulturelles Leben bereichern. | |
Natürlich wusste ich, wie prekär meine Schauspielfreundin lebt, die sich | |
von Auftritt zu Auftritt hangelt, [1][oder mein Musikerfreund, der nach | |
mühseliger Akquise mir stolz erzählte, dass seine Bands die nächsten Monate | |
fest gebucht seien.] Und nun: aus und vorbei. Wie sie ihren Lebensunterhalt | |
finanzieren sollen, lässt sie verzweifeln. Ich habe versprochen, zu anderen | |
Zeiten Soli-Konzerte und Auftritte zu unterstützen. Aber wann wird das | |
sein? | |
Für mich als Erwachsene ist die aktuelle Lage schon schwer verständlich. | |
Mein Kind ist noch entspannt. Die Siebenjährige wird erst nach und nach | |
verstehen, dass auch ihre Freizeitspäße nicht mehr stattfinden. Zum | |
Beispiel ihr Zirkusunterricht. Und damit sind auch die Artist:innen ab | |
sofort ohne Job. Die Kinder in Jonglage oder Akrobatik zu unterrichten hat | |
ihr Leben wenigstens einigermaßen bezahlbar gemacht. | |
Also trudelt auch vom Zirkusverein eine Mail ein, die die existenzielle | |
Bedrohung für die Künstler:innen deutlich macht. Projekte müssen abgesagt | |
werden, Förderungen sind weg, Veranstaltungen gibt es keine. Zugleich | |
müssen Mieten, Gehälter und Honorare weiter bezahlt werden. Mir bleibt erst | |
einmal nichts weiter, als meinen Monatsbeitrag weiter zu bezahlen. | |
Dass das andere Eltern auch machen, sollte keine Frage sein. Denn: | |
Irgendwann bekommen wir unser altes Leben zurück. Was jetzt kaputtgeht, ist | |
dann nur schwer zu kitten. Tanja Tricarico | |
## Das Virus und meine Mutter | |
Die Alten- und Pflegeheime lassen gerade keinen Besuch zu – mich entlastet | |
das. Meine Mutter ist 83 und seit einem Schlaganfall vor ein paar Jahren | |
ein Pflegefall. Sie ist nicht nur halbseitig gelähmt, sie kann auch nicht | |
mehr sprechen und lebt in einem Heim. Ich bin ihre gesetzliche Betreuerin, | |
regle also alle ihre Angelegenheiten und bringe sie zu den Ärzten. | |
All das ist nun nicht möglich. Es wäre viel zu gefährlich für die alten, | |
zum großen Teil bettlägerigen Menschen, auch nur einen Fußbreit über die | |
Heimschwelle zu setzen. [2][Ebenso wäre es viel zu riskant, meine Mutter im | |
Rollstuhl ins benachbarte Klinikum zu schieben, so wie es in dieser Woche | |
wieder der Fall gewesen wäre.] Eine größere Virenschleuder als viele | |
Menschen in einem Krankenhaus gibt es nicht. | |
Mir kommt das entgegen, Zynismus hin oder her. Denn trotz Schließungen und | |
eingeschränkter Sozialkontakte wird die Arbeit für viele Menschen gerade | |
nicht weniger, sondern mehr. Ein Alltag im Homeoffice ist eben kein Leben | |
in der Hängematte. Im Gegenteil, er fordert allen Beteiligten viel ab: | |
Kommunikation wird komplizierter, es muss noch mehr als sonst geredet | |
werden, alles muss laufen, alle müssen sich aufeinander verlassen können. | |
Am Ende eines langen Arbeitstages radle ich nach Hause, gehe unter die | |
Dusche und dann ins Bett. Wie gut, dass ich nicht auch noch von einem Ende | |
der Stadt bis ans andere fahren muss, um meine Mutter mit dem Rollstuhl | |
über einen löchrigen Bürgersteig zu einem ihrer Ärzte zu schieben. Simone | |
Schmollack | |
## Von wegen Selbstisolation | |
Manchmal kann man sich noch so sehr anstrengen, sich vorbildlich und dem | |
Protokoll nach verhalten – und trotzdem geht alles schief. Es sollte mein | |
vorerst letzter Arbeitstag im taz-Gebäude sein, ab Montag würde ich von zu | |
Hause aus arbeiten. Man solle öffentliche Verkehrsmittel meiden, empfahl | |
die Bundeskanzlerin, also bestellte ich mir ein Taxi. Ich saß auf der | |
Rückbank, berührte kaum etwas, nicht mal mein Handy traute ich mich in die | |
Hand zu nehmen, denn überall könnte ja der Virus sein. | |
Berlin schlief noch, oder traute sich nicht raus, es war 9 Uhr morgens und | |
mein Taxifahrer wirkte noch etwas verschlafen. Kurz vor der nächsten Ampel | |
überholte uns ein Auto, viel zu schnell, streifte uns seitlich und | |
versetzte meinen Fahrer in Panik. Panik, weil er einen Kratzer an seinem | |
Auto vermutete. Er hupte, startete dann eine Verfolgungsjagd und im | |
nächsten Kreisverkehr drifteten wir vor das andere Auto, um es zu stoppen. | |
Irgendwann kam die Polizei, und ich stand da also auf der Straße, plötzlich | |
Zeugin in einem Verkehrsunfall, neben mir mein Taxifahrer, die andere | |
Fahrerin, ihr zu Hilfe geeilter Freund, zwei Beamte und viele interessierte | |
Passant*innen. Ich fing an zu lachen. Selbstisolation hatte ich mir echt | |
anders vorgestellt. | |
Vor kurzem las ich, dass Selbstisolation auch deshalb so wichtig sei, weil | |
man so als mögliche Beteiligte eines Verkehrsunfalls nicht unnötig Polizei | |
oder Pflegepersonal belaste. Also mal sehen, wie ich wieder nach Hause | |
komme. Erica Zingher | |
## Und nun bist du ganz allein | |
Die Ansage im Büro, dass wir bitte alle gern im Homeoffice bleiben dürfen, | |
habe ich fast schon jubelnd quittiert. Ich bin gern allein, arbeite lieber | |
von zu Hause als in einem Raum, wo sich ständig jemand räuspert, murmelt | |
oder gar hustet. Alleine wohnend, habe ich es mir sofort sehr heimelig | |
ausgemalt, direkt aus dem Bett noch im Schlafanzug vor dem PC zu sitzen und | |
völlig friedlich für mich zu sein. | |
Doch sobald ab Freitag klar war, dass diese Maßnahme nun auf unbestimmte | |
Zeit verlängert werden würde, begannen innere Freude und Ruhe einer | |
Rastlosigkeit zu weichen. Zum ersten Mal in langer Zeit rief ich | |
Freund*innen an, verschickte Sprach- und Videobotschaften. Zum ersten Mal | |
fühlte sich in meine Anderthalb-Zimmer-Wohnung-Zurückkommen nicht mehr wie | |
die Rückkehr in mein Refugium an, sondern verdeutlichte mir nur die zu | |
erwartende Isolation der kommenden Tage. | |
Ein Gefühl, alles noch mal aufsaugen zu müssen, trieb mich raus. Im Park | |
waren Zweier- und Dreierkonstellationen von Menschen mit ihren Kindern, | |
Hunden und Partner*innen unterwegs. Nie war mir dieses Gefühl von „du hast | |
nichts von alldem“ so präsent wie in diesem Augenblick. Und so überrumpelt, | |
begann ich zu hamstern: Ideen, was man alles zur Ablenkung tun kann, und | |
Balkonpflanzen im nächsten Baumarkt meines Vertrauens. | |
Denn, wie uns die Social-Media-Trends aus Italien und Spanien zeigen, sind | |
Balkone und Fenster die Orte, an denen wir in der nächsten Zeit | |
zusammenkommen werden. Sophia Zessnik | |
## Australien ist nur ein Traum | |
Es sollte unser Coup des Jahres werden. Eine Auszeit in Australien. Ganze | |
vier Wochen zu Besuch bei guten Freunden – und endlich mal wieder richtig | |
viel quality time mit meinem Mann. Wann hatte es das zuletzt gegeben? | |
Um die Flugzeit zu verkürzen, hatten wir auf dem Hinweg auch einen | |
mehrtägigen Zwischenstopp in Thailand eingeplant. Als sich das Virus dann | |
Anfang Februar immer weiter von China in Richtung Westen ausbreitete und | |
positive Corona-Fälle in Bangkok gemeldet wurden, wurden wir leicht nervös. | |
Regelmäßig schauten wir nun auf die Corona-Virus-Echtzeitkarten und sahen | |
dabei Anfang März, dass es keinen einzigen Coronafall in Indonesien gab. | |
Also wurde – Bali! Hurra! – umgebucht. | |
Vergangene Woche dann erreichte uns die Nachricht von ersten | |
Corona-Infizierten auf Bali. Auch schien nun immer unsicherer, inwieweit | |
Europäer überhaupt noch nach Australien einreisen dürften. Also baten wir | |
unsere Freunde, einen Termin für einen Coronatest nach der Ankunft für uns | |
zu verabreden und verfolgten die Nachrichten nur noch mit angehaltener | |
Luft. Als dann am Freitagabend das öffentliche Leben deutschlandweit | |
runtergefahren wurde, fragten wir uns, inwieweit eine Fernreise in dieser | |
Zeit überhaupt noch angemessen ist. | |
Am Samstagmorgen schließlich erfuhren wir, dass Länder wie Singapur einen | |
Einreisestopp für Passagiere aus Deutschland erlassen haben. Unser Rückflug | |
ging über Singapur. Wir gaben uns geschlagen. Und nun? Träumen wir bald an | |
der Ostsee von der Südsee. Julia Boek | |
15 Mar 2020 | |
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[2] /Seniorenheimleiter-ueber-Coronakrise/!5668374 | |
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