| # taz.de -- Notübernachtung für Frauen in Berlin: Corona killt die Anlaufstel… | |
| > Für obdachlose Frauen wird das Überleben schwieriger. In der | |
| > Notübernachtung in Mitte halten ehrenamtliche Helferinnen die zehn | |
| > Schlafplätze offen. | |
| Bild: Eine der wenigen Anlaufstellen für obdachlose Frauen in Berlin | |
| Berlin taz | Angst vor Corona hat sie eigentlich keine. „Wenn ich's krieg, | |
| dann krieg ich's“, sagt Melanie mit einem Schulterzucken, hinter dem sich | |
| eher Resignation als Gleichgültigkeit zu verstecken scheint. Es gibt viele | |
| andere Sorgen im Moment. Die 44-Jährige sitzt in einem Korbstuhl in der | |
| Notübernachtung für Frauen in der Tieckstraße und wärmt sich die Hände an | |
| einem Becher Pfefferminztee. | |
| Melanie, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte, war lange draußen heute. | |
| Um 19 Uhr öffnet die Unterkunft, vorher muss man gucken, wo man bleibt. Für | |
| sie war das bisher kein Problem: Tagsüber besuchte sie eine „Maßnahme“, d… | |
| das Jobcenter über sie verhängt hatte: „Da lernt man ein bisschen was am | |
| Computer.“ Und man sitzt im Warmen. | |
| Die Nachmittage verbrachte Melanie meistens in öffentlichen Räumen. Oder, | |
| wenn die finanzielle Lage es erlaubte, auch mal im Café. „Die | |
| Stadtbibliothek, das war schon gut, da konnten wir das Handy laden. Und da | |
| sind kleine Sofas zum Sitzen.“ Nun fällt das alles weg. | |
| Quarantäne zu Hause – wie soll das gehen, [1][wenn man kein Zuhause hat]? | |
| Ende März ist es immer noch kalt draußen. Die letzten zwei Tage sei sie mit | |
| der U- und der S-Bahn umhergefahren, erzählt Melanie. Was sie tun wird, | |
| sollten auch noch die öffentlichen Verkehrsmittel schließen, will sie sich | |
| nicht ausmalen. Und bei Ausgangssperren haben Obdachlose in anderen Ländern | |
| schon Geldstrafen erhalten, weiß sie. Melanie hofft auf einen Job, den sie | |
| ab dem 1. April beginnen sollte. Andere, weiß sie, können auf so etwas | |
| nicht hoffen. | |
| Auch der Verkauf von Straßenzeitungen in den U-Bahnen wird schwierig. Petra | |
| Nelken, Sprecherin der BVG, sagte der taz, dass das Verkaufen von | |
| Straßenzeitungen bisher toleriert wurde, obwohl es offiziell nicht erlaubt | |
| sei. In Coronazeiten sei das anders. Fahrgäste hätten sich beschwert, dass | |
| die Abstände nicht eingehalten würden. „Da haben wir die Zeitungen explizit | |
| kontaktiert und gesagt: Ihr müsst eure Leute jetzt zurückziehen. Das geht | |
| jetzt nicht.“ | |
| Gegen 18 Uhr kommt Meltem Katırcı in der Tieckstraße an. Sie ist | |
| ehrenamtliche Betreuerin in der Notübernachtung für Frauen. Im Treppenhaus | |
| sitzen drei Wartende auf den Stufen. Sie scheinen schon lange da zu sein, | |
| dabei werden die Räume für sie erst in einer Stunde geöffnet. | |
| Normalerweise, erzählt Katırcı, kämen tagsüber Sozialarbeiterinnen her, die | |
| vom Senat bezahlt werden. Im Zuge der Maßnahmen gegen die Verbreitung des | |
| Coronavirus wurden sie alle nach Hause geschickt. Nun kommen nur noch je | |
| zwei ehrenamtliche Mitarbeiterinnen für die Nachtschichten. | |
| Es stehe in ihrem eigenen Ermessen, ob sie weiterhin arbeiten oder nicht. | |
| „Gerade konnten wir jede Nacht belegen und es läuft“, erzählt sie. „Abe… | |
| ist natürlich auch eine psychische Belastung. Nicht zu wissen: Hab ich | |
| dieses Scheiß-Virus, stecke ich die Frauen an? Kann ich immer die Distanz | |
| halten, die man halten muss?“ In der Unterkunft gibt es Frauen, deren Angst | |
| vor Corona weit größer ist als bei Melanie. Marina, Anfang 40, fürchtet, | |
| dass sie mit ihrem schwachen Immunsystem vom Virus schwer getroffen würde. | |
| „Social Distancing“, das ist in den Räumen der Notübernachtung nicht | |
| wirklich umsetzbar. Es gibt einen Flur, von dem die Übernachtungszimmer | |
| abzweigen. Pro Zimmer zwei Frauen. Außerdem einen Gemeinschaftsraum zum | |
| Essen und Fernsehgucken, eine Küche, weiter hinten zwei kleine Badezimmer. | |
| Und ein Büro, in dem die Betreuerinnen übernachten. | |
| Unmöglich für zwölf Personen, sich in diesem Flur nicht über den Weg zu | |
| laufen. Im Gemeinschaftsraum kommen die Frauen zum Essen zusammen und | |
| gucken gemeinsam Nachrichten. An diesem Abend: Merkel in Quarantäne. Und | |
| Nudeln. | |
| ## Freie Schlafplätze? Fehlanzeige | |
| Bis 19 Uhr sind die Ehrenamtlerinnen noch alleine in den Räumen und | |
| bereiten die Notübernachtung vor. Während Ina Hoffmann sich ans Kochen | |
| macht, hört Eva Habermann den Anrufbeantworter ab; es gibt ja keine | |
| Sozialarbeiterin mehr, die die Anrufe tagsüber entgegennehmen kann. Viele | |
| Anruferinnen fragen nach freien Schlafplätzen – doch es gibt keine. Eine | |
| Frau bittet um Hilfe, weil sie zu Hause bedroht werde und auf keinen Fall | |
| in ihre Wohnung könne. Häusliche Gewalt, befürchten Frauenhäuser, nehmen in | |
| Zeiten kollektiver Quarantäne zu. | |
| Eva Habermann ruft stets zurück. Und verweist auf andere Anlaufstellen, bei | |
| denen man es noch versuchen könne. Selbst wenn in der Tieckstraße am Abend | |
| doch noch ein Schlafplatz frei würde, dürften auf Anweisung des Senats | |
| keine neuen Frauen mehr eingelassen werden, um das Ansteckungsrisiko zu | |
| minimieren. | |
| Für die Maßnahmen gegen die Ausbreitung von Corona hat Meltem Katırcı zwar | |
| Verständnis. Allerdings fordert sie genau deshalb, dass für Obdachlose mehr | |
| Geld in die Hand genommen wird. „Wenn ich mir angucke, wie schnell | |
| Hilfspakete für die Wirtschaft und andere Sachen überlegt wurden, dann | |
| wundere ich mich schon.“ | |
| Sie verweist auf Großbritannien: Dort hat die Regierung die Unterbringung | |
| von Obdachlosen in Hotels organisiert. In Zeiten einer Pandemie die einzig | |
| richtige Übergangslösung, findet Katırcı, die auch in der Initiative „Sta… | |
| von unten“ aktiv ist. „Da könnten die Frauen sich selber isolieren und zur | |
| Ruhe kommen.“ Danach sieht es aber erst mal nicht aus. Der Paritätische | |
| Wohlfahrtsverband etwa beklagt aktuell, dass für soziale Einrichtungen in | |
| der Coronakrise kein Budget freigegeben wird. | |
| Um 19 Uhr macht Eva Habermann die Tür der Notunterkunft auf. Zwei der | |
| wartenden Frauen laufen als Erstes zu den Badezimmern, als könnten sie es | |
| kaum mehr aushalten. Hinter ihnen stellen sich andere in die Schlange. Es | |
| gibt draußen für sie kaum noch Möglichkeiten, zur Toilette zu gehen. „Jedes | |
| Mal am Bahnhof 1 Euro, das ist zu teuer“, sagt Melanie. | |
| Bis acht Uhr am nächsten Morgen dürfen die zehn obdachlosen Frauen in der | |
| Notübernachtung bleiben. Dann beginnt für jede ein neuer Tag auf der Suche | |
| nach Toiletten und warmen Orten. | |
| 23 Mar 2020 | |
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| Lea Fauth | |
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