# taz.de -- Corona ist weiblich: Eine Krise der Frauen | |
> In fast allen sozialen Aspekten trifft die Krankheit Frauen härter. Und | |
> das, obwohl oder gerade weil die den Laden wesentlich am Laufen halten. | |
Bild: Ein „Danke“ ist nett, reicht aber nicht aus | |
Ein blauer Kittel kleidet sie, ihr Mund und ihre Nase sind von einer | |
Atemmaske verdeckt. Mit gesenktem Blick und geschlossenen Augen legt sie | |
ihre Arme kümmernd um Italien. Dieses Wandbild des venezianischen Künstlers | |
Franco Rivolli ziert die Fassade eines Krankenhauses in der italienischen | |
Kleinstadt Bergamo. Und es fasst die Krise, in der wir stecken, gut | |
zusammen. [1][Denn die Pandemie ist eine Krise der Frauen.] Eine Krise, um | |
die sich Frauen sorgen und kümmern. Aber auch eine Krise, unter der | |
besonders Frauen leiden – und zwar nicht nur in Italien oder Deutschland, | |
sondern auf der ganzen Welt. | |
Auf den ersten Blick scheint diese Aussage falsch zu sein. Denn aktuelle | |
Zahlen legen nahe, dass Covid-19 für Männer tödlicher ist als für Frauen. | |
Doch in vielen Aspekten trifft die Pandemie sie härter. | |
[2][Laut Bundesagentur für Arbeit] arbeiten in den Berufszweigen, die in | |
einer Krise wichtig sind, vermehrt Frauen: Das betrifft den Einzelhandel | |
mit Nahrungsmitteln, die Krankenhäuser, Kindergärten oder Vorschulen. In | |
einem durchschnittlichen deutschen Krankenhaus sind mehr als drei Viertel | |
aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten weiblich. Und das ist | |
nicht nur hier so. [3][Laut der WHO] arbeiten in dem Arbeitsbereich „Health | |
Workforce“ 70 Prozent Frauen, das hat die Weltgesundheitsorganisation bei | |
einer Untersuchung von 104 Ländern herausgefunden. | |
Es sind systemrelevante Berufe, die meist schlecht bezahlt sind und keine | |
guten Arbeitsbedingungen mit sich bringen. Pflegerinnen berichten von | |
Überstunden und hoher körperlicher Belastung, seit Jahren wird von einem | |
Notstand gesprochen. [4][Nach Angaben von Verdi aus dem Jahr 2018] fehlen | |
aktuell 80.000 Pflegekräfte in deutschen Krankenhäusern, das macht sich | |
während einer Pandemie besonders bemerkbar. Erschwerend kommt hinzu, dass | |
aufgrund des intensiven Kontakts mit Menschen die Ansteckungsgefahr in | |
diesen Jobs extrem hoch ist. Während sich also viele Arbeitende ins | |
Homeoffice verlegen konnten, sind Kassierer:innen, Pfleger:innen oder | |
Erzieher:innen ständig mit hustenden oder vielleicht infizierten Menschen | |
in Kontakt. | |
## Mehr Fürsorge, weniger Geld | |
Frauen halten nicht nur in der Öffentlichkeit den Laden zusammen, sondern | |
meist auch im eigenen Daheim. Viele Angestellte haben ihren Arbeitsort in | |
den vergangenen Tagen und Wochen nach Hause verlegt. Da Schulen, Kitas und | |
andere Einrichtungen geschlossen sind, müssen Kinder rund um die Uhr | |
betreut werden. | |
Und nicht nur die – eine Pandemie fordert auch mehr Fürsorge um Kranke oder | |
Alte, seien es die Eltern, Großeltern, Freund:innen oder Nachbar:innen. | |
Neben der Lohnarbeit steigt die Care-Arbeit, und die übernehmen laut | |
Umfragen meist Frauen. Denn die Entscheidung darüber, wer die | |
Fürsorgearbeit übernimmt, folgt meist „logischen“ Überlegungen. Wer ist | |
flexibler im Job? Wer Hauptverdiener:in? Wer kann beruflich eher | |
zurückstecken? Da Frauen vermehrt in Teilzeit oder in Minijobs arbeiten, | |
führt das dazu, dass sie vermehrt Care-Arbeit übernehmen und damit | |
bestehende Strukturen verfestigt werden. | |
Besonders hart trifft die Situation dabei Alleinerziehende. Und davon gibt | |
es viele. 2018 gab es 1,5 Millionen Alleinerziehende – die große Mehrheit | |
davon Frauen. Für sie besteht meist nicht die Möglichkeit, die Care-Arbeit | |
mit eine:r Partner:in zu teilen. Selbst die, die es sich finanziell leisten | |
könnten, können nicht mehr auf Nannys oder Tagesmütter zurückgreifen, da | |
diese aus Risikogründen nicht mehr arbeiten dürfen. | |
## Trigger für Gewalt | |
Kontaktverbote oder Ausgangssperren sollen gegen die schnelle Ausbreitung | |
des Virus helfen. Doch gleichzeitig zwingt es Menschen, auf engstem Raum | |
viel Zeit mit Partner:innen, Familie oder Mitbewohner:innen zu verbringen. | |
Diese Isolation fördert häusliche Gewalt – und das eigene Zuhause ist laut | |
einer aktuellen UNO-Studie ohnehin schon [5][der gefährlichste Ort] für | |
Frauen. Kaum einer bekommt mit, was hinter den geschlossenen Türen | |
passiert. Die Frauenhäuser sind überfüllt und auch andere Angebote, wie | |
Nottelefone, können häufig nicht genutzt werden, da der Partner es | |
mitbekommen würde. In einer Quarantänesituation steigt zudem der | |
Alkoholkonsum, der Stress und es kommt zu finanziellen Schwierigkeiten. | |
Das sind Trigger für Gewalt. Studien zufolge ist die Partnerschaftsgewalt | |
nach Krisen wie dem Hurricane „Katrina“ in den USA um 53 Prozent gestiegen. | |
Und auch in Deutschland rechnen Frauenberatungsstellen aktuell mit einer | |
Zunahme von häuslicher und sexualisierter Gewalt und schlussendlich auch | |
mit Femiziden. In chinesischen Städten sind laut der Frauenrechts-NGO | |
Weiping die Notanrufe im letzten Monat um ein Dreifaches gestiegen. | |
Für ungewollt Schwangere wird es zudem schwieriger, einen | |
Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen, das legt eine [6][gemeinsame Recherche | |
von taz und Buzzfeed] nahe. Denn um einen Abbruch durchzuführen, müssen die | |
Schwangeren verschiedene Termine außer Haus wahrnehmen. Das betrifft | |
Pflichtberatung, eine gynäkologische Untersuchung, eine | |
Ultraschalluntersuchung, den Abbruch selbst und eine Nachuntersuchung außer | |
Haus. Das ist mit den Isolationsvorgaben nur schwer zu vereinbaren. Aus | |
diesem Grund warnen Netzwerke wie Doctors for Choice und Pro Choice in | |
einem gemeinsamen Brief: „Wir befürchten, dass Frauen wieder zu ‚unsicheren | |
Abtreibungsmethoden‘ greifen – mit der Gefahr von gesundheitlichen Schäden | |
wie Entzündungen, Sterilität und Blutungen bis hin zum Tod.“ In Bayern | |
weigern sich laut Pro Familia die Krankenkassen beispielsweise gerade, | |
Formulare für die Kostenübernahme für einen Schwangerschaftsabbruch digital | |
zur Verfügung zu stellen, obwohl es nicht mehr möglich ist, sie persönlich | |
abzuholen. Wer also nicht genügend finanzielle Ressourcen hat, kann | |
momentan keinen Abbruch vornehmen lassen. | |
Und nicht nur bei diesem Aspekt spielt die finanzielle Lage eine Rolle. Die | |
Coronapandemie ist auch schon längst eine Wirtschaftskrise: Alle | |
Geschlechter sind bedroht von Jobverlust, Selbstständige von weniger | |
Aufträgen, viele Betriebe gehen in Kurzarbeit. Laut einer | |
Marktforschungsstudie in den G7-Staaten erwarten oder spüren bereits 70 | |
Prozent der Bevölkerung negative Auswirkungen auf ihr Einkommen. | |
Doch langfristig gesehen sind es vor allem Frauen, die finanziell unter | |
einer Epi- oder Pandemie leiden. Das geht aus einer Studie hervor, die sich | |
die wirtschaftliche Entwicklung in Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit | |
nach Ebola 2014, Zika 2015 und 2016 sowie nach Sars, der Schweine- und der | |
Vogelgrippe angeschaut hat. Demnach finden Männer nach einer Krise viel | |
schneller zu ihrem eigentlichen Einkommen zurück als Frauen. Da Frauen | |
häufiger als Männer in Teilzeit, Minijobs und oder im informellen Sektor | |
arbeiten, verlieren sie in wirtschaftlich schwierigen Phasen auch schneller | |
ihre Jobs. | |
Vor dem Virus sind eben nicht alle gleich. Und obwohl Geschlechter | |
unterschiedlich betroffen sind, spielt es in den Maßnahmen bisher keine | |
Rolle. Fakt ist: Diskriminierende Strukturen werden in der Krise verstärkt. | |
Wer ohnehin von Rassismus, Klassismus oder Sexismus betroffen ist, wird | |
diese Diskriminierung während Covid-19 noch stärker spüren. Das trifft dann | |
eben nicht nur Frauen, sondern auch Menschen anderer Geschlechter, BPoC | |
oder arme Menschen. | |
Was also tun? Über der Zeichnung an der Krankenhausfassade in Bergamo | |
steht: „A tutti voi … Grazie“ (An euch alle … Danke!). Es ist schön und | |
richtig, wenn diese (Mehr-)Arbeit sichtbar gemacht wird. Doch ein | |
abendlicher Applaus vom Balkon aus reicht nicht. Alles, was Feminist:innen | |
seit Jahren fordern, wird in Krisenzeiten wie der Coronapandemie noch | |
notwendiger. Es braucht mehr Schutzräume für Frauen, mehr Ärzt:innen, die | |
Schwangerschaftsabbrüche durchführen, bessere Bezahlung und | |
Arbeitsbedingungen nicht nur in der Pflege. Es braucht ein | |
gesellschaftliches Umdenken, in denen das Rollenbild der Frau als Kümmerin | |
schwindet. Die Coronakrise stellt das Leben fast aller Menschen auf den | |
Kopf. Vielleicht kann dieses Moment ein Auslöser für einen echten Wandel | |
sein – hin zu einer gerechteren Gesellschaft. | |
26 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4046247/ | |
[2] https://de.statista.com/infografik/21148/anteil-der-sozialversicherungspfli… | |
[3] https://www.who.int/hrh/resources/gender_equity-health_workforce_analysis/e… | |
[4] https://gesundheit-soziales.verdi.de/themen/entlastung/++co++74e9e2e2-5be7-… | |
[5] /Debatte-um-sexualisierte-Gewalt/!5606491 | |
[6] /Schwangerschaftsabbrueche-und-Corona/!5673197 | |
## AUTOREN | |
Carolina Schwarz | |
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