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# taz.de -- Obachlosigkeit in Corona-Krise: Zeltplätze gefordert
> Kaum noch Spenden, Tafeln dicht, Angst vor Ansteckung in engen
> Notunterkünften: Gerade Wohnungslose brauchen in der Corona-Krise mehr
> Hilfe.
Bild: Behandelt, „als wären sie das Virus persönlich“: Obdachlose leiden …
Bochum taz | „Bleibt zu Hause“, so der Rat von PolitikerInnen und
MedizinerInnen an die Bevölkerung. So soll die Ausbreitung des
[1][Coronavirus] verlangsamt werden. Doch wo bleiben Wohnungslose? Sie, die
zu den Schwächsten der Gesellschaft gehören, geraten nun noch stärker unter
Druck. „In den Fußgängerzonen werden Wohnungssuchende angeschaut, als wären
sie das Virus persönlich“, sagt Iris Rademacher vom Düsseldorfer
Straßenmagazin [2][fiftyfifty]. „Die Zeitung wollen die Leute nur noch
ungern kaufen, und gespendet wird auch kaum noch.“
Dazu kommt die massive Einschränkung der Hilfsangebote. Bundesweit stellen
immer mehr [3][Tafeln] die kostenlose Verteilung von Lebensmitteln ein.
Ihre oft älteren, ehrenamtlichen Unterstützer*innen gelten selbst als
Risikogruppe. „Jetzt zeigt sich die Labilität des Systems“, sagt Heike
Moerland, Leiterin des Geschäftsfelds Soziale Integration bei der
Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe. Natürlich sei der Rückzug des Staats
aus der Lebensmittelversorgung für die Ärmsten ein Fehler gewesen: „Im
Notfall können Ehrenamtliche die Tafeln eben nicht offen halten.“
Auch immer mehr Drogenberatungsstellen böten keinen kostenlosen
Mittagstisch mehr, berichtet Marion Gather von der Altstadt-Armenküche in
Düsseldorf. „Wir selbst haben noch nicht geschlossen – und wollen das auch
nicht“, sagt sie. Um das Ansteckungsrisiko der Wohnungssuchenden, deren
Immunsystem nach langer Zeit auf der Straße oder in Notunterkünften oft
geschwächt sei, zu schützen, habe die Armenküche die Essensausgabe aber ins
Freie verlegt: „Wir haben Biertische aufgestellt, damit die Menschen mehr
Abstand halten können“, sagt Gather.
Massive Ansteckungsgefahr herrscht auch in den Notunterkünften. Dort ist
zwar die Unterbringung in Schlafsälen zurückgegangen. Zimmer, die sich vier
Fremde teilen müssen, sind aber nicht selten. In Hamburg sitzen nach einem
ersten positiven Test auf das Coronavirus bereits 300 Wohnungssuchende bis
Ende März [4][in „häuslicher Quarantäne“] fest und dürfen die Unterkunft
nicht verlassen.
## „Platte machen“
Das Straßenmagazin fiftyfifty fordert nun, den mehr als 500
Wohnungssuchenden in Düsseldorf zumindest während der Epidemie zu
erlauben, „Platte zu machen“ – also sich in Zelten zu isolieren und damit
selbst zu schützen. Bisher war aber nicht nur Nordrhein-Westfalens
Landeshauptstadt äußerst rigoros gegen wild campende Obdachlose
vorgegangen.
„Möglich wäre doch auch eine seriöse Unterbringung auf Zeltplätzen“, sa…
deshalb Andreas Sellner, stellvertretender Vorsitzender der katholischen
Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. Allerdings sei bis heute
unklar, wo erkrankte Obdachlose in Quarantäne gehen könnten und wo viele
der mehr als 600.000 Menschen ohne eigene Wohnung in Deutschland im Fall
einer drohenden Ausgangssperre bleiben sollen.
In Düsseldorf gibt es über 200 Plätze in Notunterkünften. Mehr als 300
Menschen aber leben buchstäblich auf der Straße. Am verletzlichsten seien
dabei Frauen, sagt Heike Moerland von der Diakonie. Manche könnten sich
gezwungen sehen, bei sogenannten Bekannten unterzukommen – die dafür
teilweise „Dienstleistungen“ erwarteten – auch sexuelle.
Die Hilfsorganisationen fordern daher: „Als Allererstes müssen
Zwangsräumungen unverzüglich gestoppt werden“, sagt Moerland. „Es dürfen
nicht noch mehr Menschen aus ihren Wohnungen geworfen werden. Wir müssen
neue Fälle von Obdachlosigkeit verhindern.“
## Nachsicht in der Justiz?
Allerdings: Aus Respekt vor der Unabhängigkeit der Justiz hat etwa das
NRW-Justizministerium darauf verzichtet, Zwangsräumungen per Erlass zu
verbieten. Die Entscheidung liegt damit weiter bei den Gerichtspräsidenten
und ihren Gerichtsvollziehern vor Ort. Man setze aber darauf, dass diese in
Zeiten der Corona-Krise eigenverantwortlich handelten, ist aus Düsseldorf
zu hören.
Außerdem müssten die Hartz-IV-Regelsätze angehoben werden. Schließlich
sind in den Supermärkten preiswerte Lebensmittel besonders schnell
ausverkauft.
Die Vertreter*innen der kirchlichen Hilfsorganisationen fordern, auch die
Sozialarbeiter*innen in den Katalog der systemrelevanten Berufe
aufzunehmen und ihnen so [5][Zugang zur Kinderbetreuung] zu ermöglichen.
„In der Wohnungslosenhilfe sind überdurchschnittlich viele Frauen aktiv,
viele haben Kinder“, sagt Andreas Sellner: „Wenn sie nicht weiterarbeiten
können, bricht das Hilfssystem zusammen.“
20 Mar 2020
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746
[2] https://www.fiftyfifty-galerie.de/artikel/6342/corona-meiden-ja-obdachlose-…
[3] /Hilfe-in-Corona-Zeiten/!5668729
[4] /Corona-Fall-in-Obdachlosen-Unterkunft/!5668620
[5] /Schulen-und-Kitas-schliessen-wegen-Corona/!5668414
## AUTOREN
Andreas Wyputta
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