# taz.de -- Argentinien in Doppelkrise: Corona trifft auf Wirtschaftskrise | |
> Die Corona-Pandemie breitet sich auch in Argentinien aus. Die Regierung | |
> verspricht massive finanzielle Hilfe. Doch woher nehmen? | |
Bild: Eine Verkäuferin in einem Supermarkt hinter eine Plastikfolie in Buenos … | |
BUENOS AIRES taz | Argentiniens Regierung reißt das Steuer herum. Statt | |
strenger Haushaltsdisziplin verkündete sie am Dienstag ein | |
Milliarden-Euro-Hilfsprogramm. „Heute ist die Wirtschaft das Wichtigste und | |
nicht das Haushaltsdefizit“, sagte Präsident Alberto Fernández | |
[1][angesichts der ökonomischen Konsequenzen von Corona und Covid-19]. | |
Neben Investitionen in Infrastruktur und Steuererleichterungen sowie | |
günstige Kredite für Unternehmen sind auch die Erhöhung des Kindergeldes | |
für arme Familien und die Anhebung der Mindestrente vorgesehen. [2][Woher | |
die Regierung die veranschlagten 700 Milliarden Peso (10 Mrd. Euro) nehmen | |
wird, ist allerdings noch offen.] | |
Derzeit gibt es 79 positiv getestete Personen im Land, zwei Menschen sind | |
bisher gestorben. Alle Fälle sind auf Rückreisende zurückzuführen. | |
Präsident Fernández hatte bereits vergangene Woche die Aussetzung von | |
internationalen Passagierflügen aus den vom Coronavirus betroffenen Ländern | |
Europas, USA, Südkorea, Japan, China und dem Iran verfügt. Seit Dienstag | |
gilt dies auch für die Nachbarländer Chile und Brasilien. | |
Zugleich verhängte der Präsident für ein Jahr den Gesundheitsnotstand über | |
das Land. Die Schulen sind geschlossen, lediglich die Schulspeisungen sind | |
erlaubt. Für Kinder armer Familien ist das oftmals die wichtigste Mahlzeit | |
am Tag. Alle Bürger*innen sind verpflichtet sich bei auftretenden | |
Krankheitssymptomen zu melden. Personen, die in den letzten zwei Wochen aus | |
den betroffenen Ländern eingereist sind oder noch einreisen werden, müssen | |
sich einer 14-tägigen Quarantäne unterstellen. | |
Vergangenen Sonntag waren 270 Ausländer*innen des Landes verwiesen worden, | |
weil sie dies nicht befolgen wollten. Zuwiderhandlungen können im härtesten | |
Fall mit einer Gefängnisstrafe geahndet werden. Inzwischen wird auch der | |
interne Reiseverkehr nach und nach eingeschränkt. | |
## Das Land befand sich schon vorher in der Krise | |
Argentinien erlebt nicht erst seit dem Auftauchen des Virus eine | |
Wirtschafts- und Finanzkrise. Schon vor Corona konnte der Staat seine | |
Schuldenlast von rund 310 Milliarden Dollar nicht meistern. Deshalb fielen | |
die Kurse argentinischer Staatsanleihen und Firmenaktien seit dem Ausbruch | |
Pandemie noch dramatischer als anderswo. „Das Einzige was hier steigt, sind | |
die Infektionen und das Länderrisiko“, so der Galgenhumor an der Börse in | |
Buenos Aires. | |
Argentiniens Länderrisiko, aufgestellt von der US-amerikanischen Bank JP | |
Morgan für die Vergabe von Krediten, kletterte innerhalb eines Monats von | |
2.000 auf 3.800 Punkte. Die von der Regierung angestrengten | |
Schuldenneuverhandlungen sind ins Stocken geraten. Gegenwertig niemand | |
sagen kann, wie viel argentinische Anleihen überhaupt noch wert sind. | |
Finanzminister Martín Guzmán kann den Gläubiger*innen kein verhandelbares | |
Umschuldungsangebot vorlegen. Und dass die Regierung jetzt ihre | |
Haushaltsdisziplin aufgegeben hat, kommt bei ihnen nicht gut an. | |
## Devisen sind jetzt schon knapp | |
Dabei wird die Zeit immer knapper. Spätestens wenn im April der | |
Schuldendienst bei den Dollarkrediten nicht geleistet werden kann, werden | |
die internationalen Ratingagenturen Argentinien das Etikett der | |
Zahlungsunfähigkeit anhaften. Dann ist der Zugang zu den internationalen | |
Kreditmärkten ganz versperrt. Schon jetzt verschärft sich die | |
Devisenknappheit. Da China kaum noch was kauft, ist der Preis für Soja mit | |
rund 300 Dollar pro Tonne auf ein Zehnmonatstief gefallen. Soja ist | |
Argentiniens wichtigster Devisenbringer, 33 Prozent davon gehen als | |
Exportsteuern direkt an den Fiskus. | |
Dagegen hat der Ölpreissturz eher langfristige Konsequenzen. Die Ausbeutung | |
der riesigen Schieferöl- und Gasvorkommen im Süden Argentiniens durch | |
Fracking ist bei diesem Preis nicht rentabel. Angesichts dieses Panoramas | |
greift die Regierung zur Notenpresse. Deren Drehzahl lag schon in den | |
vergangenen Monaten hoch. Jetzt wird sie beschleunigt. Dass dies bisher | |
nicht zu einem Inflationsschub führte, ist den eingefrorenen Tarifen für | |
Strom, Gas und Transport und den rigorosen Devisenrestriktionen geschuldet, | |
die den offiziellen Dollarkurs im Zaum halten. Kaum jemand zweifelt daran, | |
dass früher oder später Inflationsrate steigen wird. | |
## Reiche horten | |
Leiden werden darunter die ärmeren Schichten. Vielen Familien hat die | |
zweistellige Inflationsrate in den vergangenen Jahren die Kaufkraft | |
weggefressen. Wer als vierköpfige Familie heute nicht über ein monatliches | |
Einkommen von 41.000 Pesos (585 Euro) verfügt, gilt als arm. Dazu gehören | |
34 Prozent der Bevölkerung. Weniger leiden werden die Mittel- und | |
Oberschichten. | |
Nach einer privaten Schätzung, die sich auf Untersuchungen der US-Regierung | |
und Daten lokaler Wechselstuben stützt, lagern unter argentinischen | |
Matratzen und in Schließfächern rund 130 Milliarden Dollar. Kein Zweifel, | |
dass deren Eigentümer*innen zur Mittel- und Oberschicht gehören, die sich | |
zum Schwarzmarktkurs ihre benötigten Pesos besorgen können. Die Kluft | |
zwischen dem offiziellen und dem inoffiziellen Kurs ist mit gegenwärtig 22 | |
Pesos ein guter Inflationsausgleich. | |
19 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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