| # taz.de -- Corona: Sorge vor häuslicher Gewalt: In vielen Familien wird es en… | |
| > Geschlossene Schulen, Kitas, Jugendeinrichtungen – gerade für belastete | |
| > Familien bricht damit mehr weg als nur die Betreuung während der | |
| > Arbeitszeit. | |
| Bild: Privatsphäre wird Luxus, wenn alle immer zuhause sind | |
| Berlin taz | Bis zu 1.000 Kinder und ihre Angehörigen kamen bislang jeden | |
| Tag in die sechs Berliner Häuser des Kinder- und Jugendnetzwerks Die Arche. | |
| Gegründet wurde die christliche Organisation vor 25 Jahren in Hellersdorf, | |
| um Kinder aus sozial benachteiligten Familien zu stärken. In vielen Fällen | |
| auch einfach mit einem Mittagessen. Seit dieser Woche sind die Arche-Häuser | |
| wegen der Coronakrise dicht, wie alle anderen Kinder- und | |
| Jugendeinrichtungen. | |
| „Bis jetzt berichten alle nur über wirtschaftliche Folgen“, sagt | |
| Arche-Sprecher Wolfgang Büscher. Dabei habe der Shutdown für Kinder aus | |
| belasteten Familie Folgen, die sich viele gar nicht ausmalen könnten. „Wir | |
| rechnen damit, dass die Gewaltquote in den Familien erheblich steigen | |
| wird“, sagt Büscher. Familienhelfer und Streetworker teilen diese Sorge. | |
| Außer dem Mittagessen bieten die Arche-Häuser Nachhilfeunterricht, | |
| gemeinsame Spiele oder Sport. Alles kostenfrei, finanziert aus Spenden. In | |
| den letzten Tagen und Wochen hätten die Mitarbeiter:innen den Kindern, auch | |
| manchen Eltern erklärt, was es mit der Krankheit auf sich habe, über die | |
| jetzt alle sprechen und die den Familien so viele Einschränkungen | |
| abverlangt. | |
| „Manche Eltern hatten tatsächlich noch nichts davon gehört, auch das gibt | |
| es“, so Büscher. Dass nun zur Eindämmung des Virus neben vielen Geschäften | |
| auch Schulen, Kitas und andere Betreuungseinrichtungen geschlossen wurden, | |
| treffe viele Familien und vor allem die Kinder hart, die sonst in | |
| Einrichtungen wie die Arche kommen. | |
| Da ist zum einen das Essen. Weil viele prekär lebende Familien mit den | |
| warmen Mahlzeiten in Schule oder auch der Arche kalkulierten, sei nun das | |
| Geld noch knapper als ohnehin. Die nächste Auszahlung von | |
| Transferleistungen gibt es erst zum Monatswechsel. Am Dienstag habe eine | |
| weinende Mutter bei ihm angerufen, sie habe noch 12 Euro und kaum mehr | |
| Essen zu Hause. | |
| Zumindest diese Sorge will man trotz geschlossener Häuser mildern. „Wir | |
| haben unsere Familien informiert, dass wir ab sofort auch Lebensmittel nach | |
| Hause bringen.“ Die Teams der jeweiligen Häuser, die auch aus vielen | |
| Ehrenamtlichen bestehen, wollen sich nun jeden Morgen zusammensetzen – mit | |
| Sicherheitsabstand, versteht sich –, um Touren und Maßnahmen zu planen. | |
| ## Tafeln schließen fast alle Ausgabestellen | |
| Auch die Berliner Tafel musste einen Großteil [1][ihrer 45 | |
| Lebensmittelausgabestellen schließen] und will nun trotzdem eine Art | |
| Notversorgung für Menschen aufrechterhalten. „Wir arbeiten mehr als je | |
| zuvor“, sagt Vereinsvorsitzende Sabine Werth. Am Mittwoch habe man mit der | |
| Auslieferung an die registrierten Kund:innen begonnen – allerdings maximal | |
| einmal pro Woche, vielleicht sogar nur alle 14 Tage könnten sie künftig | |
| Lebensmittel nach Hause gebracht bekommen. | |
| 50.000 Menschen kommen jährlich zu den Ausgabestellen der Tafel, darunter | |
| ebenfalls viele Familien mit Kindern. Das werde eine wahnsinnige | |
| logistische Herausforderung, sagt Werth. „Eigentlich ist die Versorgung | |
| eine staatliche Aufgabe, aber wir können die Menschen ja jetzt nicht im | |
| Stich lassen.“ In der vergangenen Woche hatte Werth noch darüber berichtet, | |
| dass aufgrund der Hamsterkäufe immer weniger Lebensmittelspenden bei der | |
| Tafel eingingen. „Das hat sich eingepegelt.“ Zudem kommen zusätzliche | |
| Spenden, etwa aus Hotels, die ihren Betrieb dichtmachen müssen. | |
| Fast noch größere Sorge macht den Akteur:innen der Unterstützungssysteme | |
| aber die Frage, wie sich die vielen Schließungen, vor allem die fehlenden | |
| Betreuungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche auf das Miteinander in | |
| den Familien auswirken. Henry Block ist Familienhelfer und zweiter | |
| Vorsitzender des Berufsverbands für Soziale Arbeit Berlin. In Wedding | |
| betreut er mehrere Familien im Auftrag der Jugendämter – weil sie selbst um | |
| Hilfe gebeten haben oder weil das Jugendamt aus Schutzgründen aktiv werden | |
| musste. | |
| ## Aggression und Überforderung | |
| Es sind Familien, in denen Aggressionen und Überforderung an der | |
| Tagesordnung sind, die häufig mit vielen Personen auf engem Raum leben und | |
| für die die fehlende Kinderbetreuung eine weiterreichende Herausforderung | |
| ist als die Frage, wie man ungestört im Homeoffice arbeiten kann. | |
| „Für diese Familien ist die externe Betreuung Teil des | |
| Stabilisierungssystems“, sagt Block. Auch er befürchtet eine Zunahme von | |
| Krisen und Gewalt, rechnet mit Polizeieinsätzen und einem Ansturm auf den | |
| Kinder- und Jugendnotdienst. Er und seine KollegInnen sind weiter im | |
| Einsatz, zumindest bei Familien, in denen das Jugendamt aus | |
| Kinderschutzgründen aktiv wurde. „Wir treffen uns jetzt vorwiegend draußen | |
| mit unseren Klienten“, sagt Block. | |
| Auch die Streetworker des Trägers Outreach suchen kreative Wege, mit der | |
| Krise umzugehen. Berlinweit sind sie mit 114 Mitarbeiter:innen vertreten, | |
| um Jugendliche und ihre Familien zu unterstützen. Seine Jugend- und | |
| Mädchenstadtteilläden musste Outreach schließen. „Aber wir arbeiten alle | |
| weiter“, sagt Geschäftsführer Ralf Gilb. Man habe quasi digitale | |
| Jugendzentren gegründet, kommuniziere per Whatsapp und Instagram. | |
| Durch virtuelle Fitnessgruppen, Buchvorstellungen, Lieder, Filme, | |
| Challenges versuchten die Streetworker, den Kontakt zu den Jugendlichen | |
| trotz sozialer Distanz nicht abreißen zu lassen. „Wir leisten auch viel | |
| Aufklärungsarbeit, wie man sich jetzt verhalten, was man unterlassen | |
| sollte“, sagt Gilb. Und in Krisenfällen, die auch Gilb vermehrt befürchtet, | |
| werde man selbstverständlich weiter persönlich mit den Jugendlichen | |
| arbeiten. | |
| ## Sponsor gefunden | |
| Auch bei der Arche will man belasteten Familien über Lebensmittel hinaus | |
| Unterstützung anbieten, damit in der Enge des ständigen Beisammenseins die | |
| Situation nicht zum Schaden der Kinder eskaliert. „Wir haben zum Beispiel | |
| gerade einen Sponsor gefunden, der uns eine Vielzahl von | |
| Gesellschaftsspielen zur Verfügung stellt“, sagt Arche-Sprecher Büscher. | |
| Per Messengerdiensten will man auch hier mit den betreuten Familien in | |
| Kontakt bleiben. | |
| Ob das reichen wird? „Wir sind ja gerade erst am Anfang, ich möchte gar | |
| nicht wissen, wie es in einer Woche aussieht“, sagt Büscher. Vor allem wenn | |
| es zu noch schärferen Maßnahmen wie einer Ausgangssperre kommen sollte. | |
| 21 Mar 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Manuela Heim | |
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