Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Der Stall als architektonische Aufgabe: Schweine im Schwimmbad
> Wie kann das gehen, „Architektur für Schweine“? In Berlin sind nun
> Entwürfe zu sehen, die auf die Perspektive der Tiere einzugehen
> versuchen.
Bild: Katharina Münch erhielt für die „Schweine Villa“ den ersten Preis
Natürlich, kein Schwein hätte wohl selbst einen der sieben prämierten
Entwürfe des Ideenwettbewerbs „Vom Stall zur Theke. Tierwohl bis zum Ende
gedacht“ der Technischen Universitäten Braunschweig, Darmstadt und München
sowie der Uni Stuttgart abgeliefert. Denn das finale Ziel ist ja schon im
Titel markiert: Die Fleischtheke, ob im Massenbetrieb im Supermarkt oder
individueller und stallnäher im Hofladen. Die [1][Umwandlung von
Schweinefleisch in Menschennahrung] ist weiterhin der Handlungsrahmen.
Innerhalb dieses Rahmens kommen die insgesamt 49 Studierenden aber doch zu
interessanten und über die konventionelle Stallhaltung hinausgehenden
Entwürfen. Xiarong Yu von der TU Darmstadt etwa konzipierte „ihren“
Schweinen einen Swimmingpool, in dem sie baden, schwimmen, sich säubern und
einfach herumtollen können. Zudem trennt sie Bereiche für ganz junge und
ältere Schweine, kreiert also eine Art Schweinekindergarten.
Die Trennung von verschiedenen Funktionen wie Liegen, Fressen und Aktivität
und die damit verbundenen größeren Auslaufbereiche zeichnen auch andere
Entwürfe aus. Mengye Feng und Guisong Zhang von der TU Braunschweig setzen
drei begrünte Schrägdächer über Stallanlagen, Schlachthaus und Hofladen.
Auf denen können nicht nur die Schweine grasen, sondern auch besuchende
Menschen ihnen dabei zugucken.
## Wechselnde Äcker zum Weiden
In mehreren Entwürfen fällt auch die elegante Integration von
Schweinehaltung in die umgebende Landschaft und Landwirtschaft auf. Verena
Klotzner und Sophia Richwien von der TU München etwa entwickelten einen
zweigeschossigen „Schweinestadl“ mit Fress- und Aktivitätsbereich unten und
Liegebereich oben, der in eine Vierfelderwirtschaft eingefügt ist. Der
„Schweinestadl“ befindet sich am Schnittpunkt von vier Ackerflächen. Und je
nach Fruchtfolge ist je eine vom Stadl aus zugängliche Ackerfläche der
Weidegrund für die Tiere.
Christoph Ammer und Matthias Delueg, ebenfalls TU München, integrieren den
Schweinemastbetrieb gar in eine Permakulturanlage mit Waldflächen,
Pflanzstreifen und Obstbäumen. Die Schweine selbst können sich in mobile
Unterstände zurückziehen, die auf den Weideflächen platziert werden.
Ein noch ausgefeilteres Mobilitätskonzept – ausgefeilt aber eher aus
Menschensicht – präsentierten die mit dem 2. Preis geehrten Jakob Köppel
und Benedikt Stoib von der TU München. Die Liegekisten, die in einem
Multifunktionsstall mit angeschlossener Weidefläche den Ruhe- und
Liegebereich für die Schweine konstituieren, können auch gleich als
Transportkisten für den Weg zum Schlachthof genutzt werden. Abgewandelt
aufs menschliche Dasein bedeutete dies: Das Bett wird Sarg. Interessant ist
an diesem Entwurf vor allem aber die Integration von Hofladen und Wirtshaus
in den Dorfkern – eine Maßnahme zur Wiederbelebung ländlicher Gebiete.
## Transparenz im Mastbetrieb
Noch stärker an menschlichen Bedürfnissen ausgerichtet ist der mit dem 3.
Preis gewertete Entwurf von Jessica Vetter und Pepe Fritz (Uni Stuttgart).
Die in S-Form angelegte Stallanlage ist von einem mit Lamellen
abgetrennten, also halb durchsehbaren Gang umgeben. Ihn entlanglaufend
können Besucher Einblicke in den kompletten Mastbetrieb erhalten: höchste
Transparenz also.
Die „Schweine Villa“ von Katharina Münch (TU Darmstadt und 1.
Preisträgerin) vereinigt viele der Ansätze der anderen Entwürfe. Sie teilt
den Stall in sieben sogenannte Landschaftsinseln mit Weideflächen,
Gemüsebeeten, Obstbaumrainen und jeweils drei kleineren zweistöckigen
Ställen, ebenden „Schweine Villen“, auf. Das verspricht weitgehend
ungebundenes Landleben für Schweine – bis dann der Schlachter in die
„Villa“ kommt.
Besucher können sich nicht nur im Hofladen im Eingangsbereich des
großräumigen Areals am Fleisch bedienen, sondern dürfen auch das Obst und
Gemüse von den Beeten und Gehölzen selber ernten. Ein Rundum-Natur- und
Ernte-Erlebnis also.
## Aufmerksamkeit für Familienbetriebe
Geplant wurden die Anlagen für einen Betrieb von 500 Schweinen. Das war
eine der Bedingungen der Ausschreibung. Bei dem von der Stiftung LV Münster
und dem Kuratorium für Technik und Bauwesen (KTBL) initiierten Wettbewerb
wurde vorab von allen Teilnehmenden auch ein Bauernhof in Münster besucht,
um sich Kenntnisse über den Betriebsablauf anzueignen.
Der Wettbewerb ist nicht nur Studierenden-Spielerei. Denn die Projekte
lenken die Aufmerksamkeit auch auf die [2][landwirtschaftlichen
Familienbetriebe.] Deren Zahl sinkt angesichts des Preisdrucks des
Großhandels und der Marktmacht der landwirtschaftlichen Großbetriebe immer
weiter.
Modernere und stärker auf das Tierwohl sowie größere regionale Verankerung
ausgerichtete architektonische Strukturen könnten mittelfristig die
Attraktivität solcher Familienbetriebe erhöhen und auch zu einer deutlichen
Verbesserung des Tierwohls selbst führen. Laut Mitteilung des
Deutschlandfunks gab es bereits die Anfrage eines Ökobauern für die
Realisierung des Siegerentwurfs.
Zielkonflikt in Zeiten des Klimawandels bleibt allerdings, dass größere
Flächen und freie Lüftung der Ställe höhere Emissionen erwarten lassen. Die
Landwirtschaft ist in Deutschland laut Umweltbundesamt zweitgrößter
Produzent von Treibhausgas-Emissionen, noch vor den prozessbedingten
Emissionen der Industrie.
Ein Großteil der Emissionen geht zwar auf Rinderhaltung zurück – den
Methanausstoß beim Wiederkäuen. 19 Prozent der Methangasemissionen im Jahre
2017 gingen aber auch auf das Düngemanagement, unter anderem mit
Exkrementen von Schweinen, zurück. Die prognostizierte Klimabilanz der
einzelnen Entwürfe gehörte bedauerlicherweise nicht zu den Kriterien des
Wettbewerbs.
9 Feb 2020
## LINKS
[1] /CDU-will-zu-enge-Kaefige-legalisieren/!5644969
[2] /Hoefesterben-in-der-Landwirtschaft/!5655955
## AUTOREN
Tom Mustroph
## TAGS
Architektur
Landwirtschaft
Tierhaltung
Wettbewerb
Universität
Ausstellung
Architektur
Interview
Design
Schwerpunkt Bio-Landwirtschaft
Architektur
Schwerpunkt Klimawandel
Großstadt
## ARTIKEL ZUM THEMA
Architektur auf dem Land: Was ein gutes Leben braucht
Welche Architektur passt in die Provinz? Mit vielen Beispielen nähert sich
eine Ausstellung des Frankfurter Architekturmuseums dieser Frage.
Architektin über Klimakrise und Stadt: „Der Baubranche bleibt keine Zeit“
Warum ist Nachverdichtung in der Stadt so kompliziert? Wie kann man
Ressourcen und Grünräume schonen? Ein Gespräch mit der Architektin Imke
Woelk.
Werkschau in der Stiftung Louis Vuitton: Forever Young
Sie war eine Avantgardistin eigenen Ranges: die französische Architektin,
Möbeldesignerin und Fotografin Charlotte Perriand (1903–1999).
Mehrkosten für Verbraucher*innen: Bund erwägt Fleischsteuer
40 Cent pro Kilo Fleisch als Zusatzabgabe? Warum nicht, meint ein von
Bundesagrarministerin Julia Klöckner eingesetztes Gremium.
Star-Architekt Gottfried Böhm gestorben: Meister des modernen Sakralbaus
Zum 100. Geburtstag widmete ihm das Deutsche Architekturmuseum noch eine
Ausstellung. Nun ist der Star-Architekt Gottfried Böhm gestorben.
Neue Perspektiven für das Bauen: Handbuch für das Haus der Erde
Aktuelle Standards westlicher Architektur tragen wesentlich zur
Klimaerwärmung bei. Eine Berliner Ausstellung sucht nach Alternativen.
Erziehungswissenschaftler über Schulbau: „Architektur wird soziale Geste“
Weil Hamburg wächst, wird es eng an den Schulen. Erziehungswissenschaftler
Christian Rittelmeyer findet, Schulen müssen für Kinder überschaubar sein.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.