# taz.de -- Star-Architekt Gottfried Böhm gestorben: Meister des modernen Sakr… | |
> Zum 100. Geburtstag widmete ihm das Deutsche Architekturmuseum noch eine | |
> Ausstellung. Nun ist der Star-Architekt Gottfried Böhm gestorben. | |
Bild: Wallfahrtskirche in Neviges, Nordrhein-Westfalen. Die Protestanten nennen… | |
Gottfried Böhms Sohn Peter steht vor der [1][Wallfahrtskirche in Neviges] | |
und sinniert, was wohl seinen Vater zu dem expressiven Sakralbau geführt | |
haben mag. Immerhin hat der Mariendom am Rand des Bergischen Landes | |
Gottfried Böhm auf einen Schlag weltberühmt gemacht. Die Kirche im Vorort | |
des rheinischen Velbert gilt seither als die bekannteste moderne | |
Sakralarchitektur Deutschlands. „Mein Vater“, erzählt Peter Böhm, „hatte | |
schon früh den Willen, den Glauben in Form auszudrücken.“ | |
Peter Böhm erinnert daran, dass das kleine Neviges mit der großen Kirche in | |
diesen Tagen wieder in den Schlagzeilen steht. Denn anlässlich von | |
Gottfried Böhms 100. Geburtstag richtet das [2][Frankfurter | |
Architekturmuseum (DAM)] dem Kölner Architekten eine Werkschau aus. | |
In einer konzentrierten Ausstellung mit historischen Fotos aus der Bauzeit | |
der Kirche, einer Collage mit Innenraumfotos, expressiven Zeichnungen | |
Gottfried Böhms, neuen Archivfunden aus der Entstehungszeit sowie einer | |
Dokumentation über die Sanierung des Dachs, die Peter Böhm vor einigen | |
Jahren mit einer innovativen Textilbetonschicht durchführte, feiern die | |
Frankfurter die Wallfahrtskirche als Hauptwerk des Kölner Architekten – des | |
einzigen lebenden Deutschen, der jemals die international höchste | |
Architekten-Auszeichnung, den Pritzker Award, erhalten hat und mittlerweile | |
in den Heiligenstand aufgerückt ist. | |
Gottfried Böhm gehörte in der Nachkriegszeit zur jungen | |
Architektengeneration der Bundesrepublik, die nach den Erfahrungen des | |
megalomanen Bauens der NS-Zeit und den Bombenorgien der Alliierten nach | |
einer Architektur suchte, die für einen Prozess der Heilung einsteht. Das | |
zeigte sich unmittelbar nach dem Krieg, als er die „Madonna in den | |
Trümmern“ in der durch Bomben zerstörten Kölner Kolumba-Kirche barg und um | |
sie herum eine kleine Kapelle errichtete. Mit seinen zeltartigen | |
Konstruktionsformen setzte er sich auch in Gegensatz zu seinem Vater | |
Dominikus, der erdenschwere, steinerne Gebäude bevorzugte. | |
## Sohn Gottfried | |
Sohn Gottfried schlug andere Wege ein: Im Sakralbau erkundete er möglichst | |
leichte Konstruktionen, St. Albert in Saarbrücken (1953) ist ein markantes | |
Beispiel. Leichtfüßiger als in den gotischen Kathedralen entspringen aus | |
der konischen Deckenschale, die sich über dem ovalen Kirchenraum wölbt, 14 | |
spielerisch wirkende Strebebögen: Sie verlängern den filigranen Säulenwald, | |
der den Altarraum eingrenzt und über dem sich ein Oberlicht-Tambour | |
öffnet. | |
Gottfried Böhm variierte kontinuierlich die Bauformen: Die Hängedecken gab | |
er bald auf, aber es blieben die leichten, skulpturalen Konstruktionen. | |
„Mein Vater, der neben dem Architekturstudium an der TU München auch | |
Bildhauerei an der Kunstakademie belegt hatte, beharrte auf seiner eigenen | |
künstlerischen Position, die sich dauernd wandelte“, kommentiert der Sohn | |
Peter Böhm. | |
Viele [3][Nachkriegskirchen, die Böhm in den Neubausiedlungen der | |
rheinischen Groß- und Kleinstädte errichtete], orientierten sich noch an | |
der Formgebung der Bauhaus-Architektur, die damals durch Walter Gropius in | |
der neuen Bundesrepublik großen Einfluss genoss. „Zahlreiche seiner | |
Sakralbauten entstanden in den neu errichteten Wohnsiedlungen. Der Bedarf | |
war groß“, ergänzt Peter Böhm. Dieser Bedarf an Sakralbauten machte es | |
möglich, dass die Architekten zum Experimentieren ermuntert wurden und ohne | |
große Sachzwänge die neuen architektonischen Tendenzen erproben konnten. | |
Es erscheint heute kurios, dass unter experimentierfreudigen Architekten | |
ausgerechnet das Erzbistum Köln äußerst beliebt war. Das war aber | |
keineswegs zufällig, denn Dombaumeister Willy Weyres und | |
Erzdiözesesanbaumeister Wilhelm Schlombs förderten die neuen | |
Architekturtendenzen. Die offene Kirchenpolitik hing mit dem beliebten | |
Erzbischof Josef Kardinal Frings zusammen. | |
## Lebendiger Geist | |
„Dass mit dem Kirchenboom auch zahlreiche moderne Sakralbauten entstanden, | |
wurde toleriert und passte zum lebendigen Geist, der sich im kulturellen | |
Bereich manifestierte“, erinnert sich Peter Böhm und verdeutlicht damit die | |
Grundausrichtung der Frankfurter Ausstellung. „Allerdings interessierte | |
sich mein Vater weniger fürs Sakrale als für die Gestaltungsmöglichkeiten, | |
die die Sakralarchitektur bot.“ | |
1962 rief Papst Johannes XXIII. zur pastoralen und ökumenischen Erneuerung | |
auf, wodurch sich die katholische Kirche zu öffnen begann. „Die | |
Zeitumstände beeinflussten stark das Denken und die Architektur meines | |
Vaters. Das war eine bewegte Zeit, es war die Hochphase der | |
Studentenrebellion, die bei ihm deutlich Spuren hinterlassen hat. Rein | |
äußerlich zeigte sich das an Namen wie Gandhi und Che Guevara, die er auf | |
dem Pilgerweg verewigte.“ | |
1959 stand die Entscheidung der Kölner Erzdiözese fest, im kleinen Neviges | |
den zweitgrößten Sakralbau im gesamten Erzbistum zu errichten. [4][Kardinal | |
Frings] – auch das macht die Böhm-Ausstellung deutlich – war auf der Suche | |
nach einem emblematischen Sakralbau, der die Möglichkeit bieten sollte, | |
durch seine Anziehungskraft die gesunkene Zahl der Pilger auszugleichen. | |
Unter den Protestanten in Neviges setzte sich später die Rede vom | |
„Betonfelsen“ durch. | |
Gottfried Böhm kam das entgegen, weil er die Wallfahrtskirche den | |
natürlichen Formationen des Bergischen Landes anpasste. Die Pilger sollten | |
die gepflasterte Anhöhe hinaufsteigen, dann einen gewaltigen Innenraum | |
betreten, in dem sich die Pflastersteine des Pilgerwegs fortsetzen. Böhm | |
gestaltete den Sakralraum wie einen Marktplatz, umstellt von hoch | |
aufragenden, schlichten Leuchten, die an Straßenlaternen erinnern. | |
## Expressionistischer Stil | |
Während der Bauzeit in Neviges erprobte Böhm seinen expressionistischen | |
Stil auch an anderen Sakralbauten. Zu seinen gelungensten Projekten gehört | |
zweifellos St. Matthäus in Düsseldorf-Garath. Am Südrand des Stadtviertels | |
errichtete Böhm den Sakralbau mit einem unregelmäßigen Faltwerk aus | |
Stahlbeton, direkt daneben fügte er ein Altenheim an. Beide Bauwerke | |
entwarf Böhm als Teile eines homogenen Ensembles. Offenbar wollte er die | |
kleine Siedlung, die zu seinen großartigsten Bauwerken gehört, deutlich von | |
den heranrückenden Metastasen des neuen Garath abschirmen. | |
In Köln lässt sich bestens studieren, dass Gottfried Böhm dazu tendierte, | |
sowohl Sakral- als auch öffentliche Bauten nach Maßgabe mittelalterlicher | |
Kirchenbaumeister wie Stadtkronen zu gestalten. Was ihm im kleinen Neviges | |
sinnbildlich gelang, war auch am Rathaus von Bensberg nachvollziehbar. | |
Peter Böhm erinnert sich, dass er in der Spätphase von Funktionalismus | |
und CIAM vehement eine an den menschlichen Bedürfnissen orientierte | |
Architektur entwickelte: „Mein Vater ließ sich nicht von den modernen | |
Stadtsilhouetten der Banken beeindrucken. Er dachte an Bauwerke, die unsere | |
Gemeinschaft zusammenhalten, er dachte an die Menschen, die in diesen | |
Gebäuden leben.“ | |
Symptomatisch für diese architektonische Ethik, die sich in den Schriften | |
von AutorInnen wie Kevin Lynch, Jane Jacobs und Alexander Mitscherlich | |
ausdrückte, war das Kinderdorf Bethanien in Bergisch Gladbach-Refrath, das | |
eine ähnlich geschlossene architektonische Gestalt besitzt wie das Garather | |
Ensemble. In Refrath vertraute Böhm der gemeinschaftsbildenden und | |
heilenden Wirkung von Architektur auf Kinder aus schwierigen sozialen | |
Verhältnissen. | |
## Siedlungseuphorie und Massenwohnungsbau | |
Gottfried Böhm wich nicht vor schwierigen, ja sogar unmöglichen Aufgaben | |
zurück. Zweifellos gehört dazu das Wohnprojekt für Köln-Chorweiler, das | |
Mitte der 1970er fertiggestellt wurde, also zu einer Zeit, als die | |
Architekten noch von der Siedlungseuphorie und noch nicht von der Malaise | |
des Massenwohnungsbaus angesteckt waren. | |
Zu spät war Böhm aufgegangen, dass die farbenfrohen Balkone wenig gegen die | |
Grundstimmung in Chorweiler ausrichteten. Seine vereinzelten Spätwerke | |
passen sich dem Zeitgeschmack der Glasarchitekturen an und lassen die | |
frische Kraft der skulpturalen brutalistischen Architektur vermissen. | |
Doch die späten Jahre sind nur eine Episode, gemessen an dem überbordenden | |
Werk der Aufbruchsjahre. Dass der Kölner Architekt in 15 Jahren über | |
sechzig Kirchen in fast ausnahmslos herausragender Qualität entwarf, macht | |
ihm keiner nach. Chapeau! | |
23 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Klaus Englert | |
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