| # taz.de -- Architektur auf dem Land: Was ein gutes Leben braucht | |
| > Welche Architektur passt in die Provinz? Mit vielen Beispielen nähert | |
| > sich eine Ausstellung des Frankfurter Architekturmuseums dieser Frage. | |
| Bild: Eine von Künstlern designte Bushaltestelle in Krumbach, Österreich im J… | |
| Wer gute Architektur auf dem Land sehen möchte, muss aufs Land fahren. | |
| Wenngleich man die gut 30 Kilometer vor den Toren Frankfurts in anderen, | |
| weitläufigeren Teilen der Welt wohl noch gar nicht unbedingt als Provinz | |
| betrachten würde. „Schön hier! Architektur auf dem Land“ heißt die | |
| [1][Ausstellung des Deutschen Architekturmuseums (DAM)], das nicht wie | |
| gewohnt am Mainkai oder im aktuellen Interimsquartier am Osthafen zu sehen | |
| ist, sondern im [2][Hessenpark in Neu-Anspach]. | |
| Im DAM freut man sich über die ungewöhnliche Präsentationsmöglichkeit: Die | |
| Ausstellung soll nicht (nur) das übliche Museumspublikum erreichen, das | |
| ohne Auto ob des bescheidenen öffentlichen Nahverkehrs tatsächlich eine | |
| etwas längere Anreise unternehmen müsste. Sondern vor allem auch jene | |
| Menschen, die das Thema unmittelbar selbst betrifft. | |
| Entscheidungsträgerinnen und -Träger, Bewohnerinnen und Bewohner. Und da | |
| das eigene Haus des DAM derzeit ohnehin umgebaut wird, bot das | |
| Freilichtmuseum mit seinen großzügigen historischen Bauwerken und den | |
| beachtlichen Besucherzahlen eine gute Gelegenheit zur Präsentation. | |
| Im Anschluss wird die Schau als Wanderausstellung in weitere Orte ziehen, | |
| 15 sollen bereits bestätigt sein. Wer es trotzdem nicht hinschafft, findet | |
| im Katalog zur Ausstellung reichlich Anregungen für Bauen auf dem Land – | |
| klug gestaltet, sozial oder ökologisch nachhaltig oder beides. Fachpublikum | |
| soll außerdem in Online-Seminaren abgeholt werden. Der Hessenpark bietet | |
| mit dem „Kompetenzzentrum Fachwerk“ zudem eine Anlaufstelle für nachhaltige | |
| Baustoffe und Fachwerksanierung. | |
| Erstaunlich ist daran aber gar nicht so sehr, wo und wie die Schau | |
| präsentiert wird. Sondern dass sie tatsächlich die erste ihrer Art ist. | |
| Schließlich sind rund 90 Prozent der Fläche in Deutschland als ländlich | |
| charakterisiert – und mit 47 Millionen Menschen wohnt über die Hälfte der | |
| Bevölkerung jenseits der großen Städte. Ähnlich sieht es im europäischen | |
| Durchschnitt aus. | |
| Das Thema sei im Architekturmuseum schon länger virulent gewesen, erzählt | |
| Direktor Peter Cachola Schmal. Als die Pandemie dann voll zuschlug, das | |
| Homeoffice kurz einmal zum Standard zahlreicher Bürojobs avancierte und der | |
| Traum vom Leben mit Fläche und Aussicht auch die Großstädter erfasste, | |
| wurden die Pläne konkreter. | |
| ## Bürohaus oder Ziegenstall | |
| Siebzig Bauten aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie | |
| einigen Nachbarländern hat das kuratorische Team als Fallbeispiele für gute | |
| Architektur auf dem Land ausgewählt. Bewusst beispielhaft, nicht umfassend. | |
| Hinzu kommen Schwerpunktregionen, zum Beispiel im Schwarzwald oder in | |
| Thüringen, die die Umgestaltung ihrer Lebensumgebung besonders umfassend | |
| entwickelt und vorangetrieben haben (der Süden Deutschlands ist ebenso | |
| überdurchschnittlich vertreten wie der Osten). Vorgestellt wird das Bauwerk | |
| von Menschen, die unmittelbar mit ihm zu tun haben: Bürgermeister, | |
| Architektin, Büchereidirektorin, Hausbesitzer. | |
| Es sind größere Architekturen dabei und auch ganz kleine. Bürogebäude, | |
| Wohnsiedlungen und Grundschule ebenso wie Schneiderei, Waldhaus oder | |
| Ziegenstall. Ein vierstöckiges Gemeindezentrum mit weitreichendem Platz für | |
| Sport- und Freizeitangebote, einschließlich Bibliothek und zehn | |
| Wohneinheiten – und eine winzige Bergkapelle als Rast für Wanderer, erbaut | |
| aus den Überresten ihrer Vorgängerin, die eine Lawine niedergewalzt hatte. | |
| Interessanterweise teilen Stadt und Land auch dieses Problem: die Verödung | |
| der Innenstädte respektive Ortskerne, das Anwachsen der Speckgürtel. Teures | |
| Bauland, versiegelte Flächen. In der Ausstellung wird hierfür das Bild vom | |
| Donut gewählt – das kreisrunde Gebäck mit seinem Loch in der Mitte ist | |
| erklärtes Negativbeispiel für die Entwicklung in zahlreichen Gemeinden. | |
| ## Im Kern zusammenhängen | |
| Gute Gestaltung hingegen bedeutet: Orte und Kleinstädte sollen (wieder) zum | |
| Kreppel, Berliner, Krapfen, in Berlin entsprechend Pfannkuchen werden. Mit | |
| einem zusammenhängenden Kern, in dem sich das Leben abspielt. Und weil der | |
| Handel eben dazugehört, wird der Tante-Emma-Laden auch schon einmal ins | |
| Gemeindezentrum integriert – einleuchtend, wo sich der Betrieb allein | |
| vermutlich kaum noch rentieren dürfte. | |
| Zwar zeigt die Ausstellung durchaus Neubauprojekte und solche in | |
| Einzellage, vor allem aber Beispiele gelungener Umnutzung, Umgestaltung | |
| oder von Erweiterungsbauten. Wohnen, Arbeiten und Freizeit spielen ebenso | |
| eine Rolle wie Kultur und, wenngleich in deutlich geringerem Maßstab, | |
| Tourismus. Spannend ist die Umgestaltung kompletter Dorfkerne, in denen | |
| neuer Wohnraum im Zentrum des Geschehens geschaffen wird – lang gezogene | |
| Dächer sorgen für Privatsphäre trotz unmittelbarer Nähe. | |
| Nebenbei lehrt die Schau einige regionale Besonderheiten. So lernt man hier | |
| beispielsweise die Tradition des Stöckli beziehungsweise Auszugshauses, das | |
| in der Schweiz als Altersstätte für pensionierte Altbauern und -Bäuerinnen | |
| dient, kennen. Überhaupt nimmt eine nachhaltige Gestaltung des ländlichen | |
| Lebensraums nicht allein die junge, einkommensstarke Familie – beliebter | |
| Prototyp des neuen Landbewohners, mit ihren bekannten Bedürfnissen – in den | |
| Blick, sondern fragt auch, was ältere oder kranke Menschen benötigen, um in | |
| ihrer gewohnten Umgebung gut leben zu können. Freundlich gestaltete | |
| Therapiezentren oder eine Tagespflege sind weitere Positivbeispiele der | |
| Ausstellung. | |
| ## Keine Nostalgie, keine Postkartenidylle | |
| Das Fazit ist keine Überraschung, aber wohl überraschend selten umgesetzt: | |
| Gute Land-Architektur muss keine hübschen Postkartenmotive liefern, sondern | |
| Lebensqualität für ihre Bewohnerinnen und Bewohner. Die hier vorgestellten | |
| Bauwerke sind so auch kaum nostalgisch, wie das in den deutschen | |
| Großstädten ja bisweilen zu spüren ist, oder ausgesprochen spektakulär | |
| gestaltet. Was umgekehrt nicht heißt, dass es hier mit viel Holz, zu | |
| Zwecken der Behaglichkeit eingezogenen Zwischendecken oder Naturstein nicht | |
| auch sehr malerisch ausschauen kann. | |
| „Schön hier!“ geht es natürlich um gute Architektur auf dem Land. Aber | |
| mindestens ebenso um Entwicklungen, die eine gute Gestaltung ebenda | |
| anstoßen kann. Dazu braucht es mindestens ein engagiertes Architekturbüro, | |
| aber nicht nur. Fast immer ist die erfolgreiche Entwicklung ländlicher | |
| Lebensräume an den Einsatz ziviler Initiativen, von Kommunalpolitik, | |
| Bewohnerinnen und Bewohnern gebunden. So wie im sächsischen Wülknitz, wo | |
| der einst trostlose Ortskern durch eine neu gestaltete Kegelbahn | |
| wiederbelebt werden konnte, wie der Bürgermeister im Ausstellungs- und | |
| Katalogtext erzählt. | |
| Oder, um es mit dem ironischen Witz von Max Otto Zitzelsberger zu sagen, | |
| der als Architekt die multifunktionale „Erkläranlage“ für behinderte und | |
| nichtbehinderte Kinder in Berngau zu verantworten hat: „Man braucht nur | |
| einen visionären Bürgermeister, einen weitsichtigen Soziologen, | |
| außergewöhnliche Schulleiter und Schulleiterinnen, kreative Mitarbeitende | |
| der zuständigen Behörden, Handwerker und Handerwerkerinnen, die ihrem Beruf | |
| alle Ehre erweisen, und eine mutige Gemeinde – schon lässt sich ein Projekt | |
| realisieren, das so in Bayern eigentlich undenkbar wäre.“ | |
| 5 Apr 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Architekturmuseum-Frankfurt-am-Main/!5756961 | |
| [2] https://www.hessenpark.de/veranstaltungen/sonderausstellungen/ | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina J. Cichosch | |
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