| # taz.de -- Nachruf auf Architekten Lucien Kroll: Abrüsten der Moderne | |
| > Der belgische Architekt Lucien Kroll ist gestorben. Seine partizipativen | |
| > und ökologischen Baukonzepte sind heute so aktuell wie nie. | |
| Bild: La MéMé am Rande von Brüssel: Gestaltet von Lucien Kroll in Gemeinscha… | |
| Lucien Kroll war einer der wichtigsten und zugleich maßlos unterschätzen | |
| Architekten der späten Moderne. Mit 95 Jahren ist er nun am 2. August | |
| gestorben, wie ein enger Mitarbeiter mitteilte. Der 1927 geborene Belgier | |
| und sein Atelier d’Urbanisme, d’Architecture et d’Informatique entwickelt… | |
| schon vor Dekaden partizipative und ökologische Konzepte, die heute im | |
| Wohn- und Städtebau wieder diskutiert werden. | |
| Der ikonisch wuchernde Komplex La MéMé einer Medizinischen Hochschule am | |
| Rande von Brüssel ist eine lebendige Landschaft studentischen Lebens: In | |
| den 1968er Jahren kam der Auftrag von Studierenden, die – abgeschreckt | |
| durch den monströsen Klinikneubau – gegen eine hohldrehende Moderne | |
| opponierten. | |
| Kroll nahm die Wünsche der künftig dort Lebenden ernst und baute mit ihnen | |
| eine anpassbare Hochstapelei aus Räumen, Ausblicken und Trefforten. | |
| Parallel sorgte sich seine Frau Simone noch lange um die wilden Gärten, | |
| während die Bauarbeiter skulpturale Ornamente beisteuerten. | |
| Der aus einer schlesisch-luxemburgischen Familie stammende | |
| Atelier-Patriarch realisierte zahlreiche Wohnkomplexe, Kinderhorte oder | |
| Schulgebäude in Benelux und in Frankreich. Ein Schul-Internat für | |
| Trebegänger bei Waterloo, ein Komplex aus Wohnen und Supermärkten in | |
| Dordrecht oder eine klug zusammengewürfelte Siedlung in Marne-la-Vallée | |
| zeigen die Spannbreite seiner Arbeit. Schon früh nutzte er den Computer, um | |
| mit selbstgeschriebenen Programmen eine Vielfalt von Variationen | |
| kostengünstig herzustellen. | |
| ## Transformation der Plattenbaulandschaft | |
| Nach der Wende berief die Ostberliner Wohnbaugesellschaft WoGeHe das | |
| Brüsseler Büro [1][in die Hellersdorfer Großsiedlungen.] Kroll traf 1994 | |
| geschockt in Berlin ein und wollte erst einmal die militärische Ansammlung | |
| von Plattenbauten zivilisieren. Doch als Vorkämpfer gegen die Verschwendung | |
| der grauen Energie des Gebauten war nicht Tabula rasa angesagt; vielmehr | |
| trat er mit den dort ja längst Wohnenden einen über 25 Jahre projektierten | |
| Prozess der permanenten Umwandlung los. | |
| Um ein Bild davon zu geben, baute er mit ihnen eine Stadtlandschaft aus | |
| Pappe, trug auf Papier manche Stockwerke ab und ließ woanders die Platte | |
| rhizomatisch wuchern. | |
| Krolls Entwurf artikuliert beispielhaft eine Zukunftsvision für die | |
| Großsiedlungen am Rande unserer Städte, die an Aktualität nichts eingebüßt | |
| hat. Das Atelier Kroll entwickelte einen architektonischen und ökologischen | |
| Werkzeugkasten, [2][um schlau auf Veränderungen zu reagieren.] Zudem | |
| sollten von Anwohner_innen selbstdefinierte Erweiterungen die Siedlung am | |
| Leben erhalten. | |
| Leider scheiterte das Projekt schon früh an der schnöden Realität, weshalb | |
| nur mehr Rankgitter, Vordächer und Palisadenwände zu sehen sind. Allerdings | |
| hinterließ Kroll eine Publikation, die noch 30 Jahre später wie ein | |
| Leitfaden in eine zivilere Zukunft weitergereicht werden kann. | |
| 3 Aug 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jochen Becker | |
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